Schon seit einiger Zeit kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die chinesische Regierung eine klar expansionistische Agenda hat. Sie will offenbar eine politische Vormachtstellung nicht nur im asiatisch-pazifischen Raum, sondern auch auf globaler Ebene. Die Methoden werden dabei zunehmend aggressiv, der Ton rauer. Ob im Umgang mit Bürgern Hong Kongs, mit Partnern in Afrika oder australischen Exporteuren, es zeigt sich immer stärker, dass die chinesische Regierung auf die schiere Größe des Landes setzt. Verträge spielen da nur eine untergeordnete Rolle.
Seit Ausbruch der Coronakrise vor rund einem Jahr hat sich auch das Verhältnis zu Australien wieder verschlechtert. Der verständliche Wunsch nach Aufklärung des Ausbruchs der Pandemie in China durch die australische Regierung hat in der kommunistischen Partei für sehr große Wut gesorgt. Anders kann man sich die Reaktionen nicht erklären, die von Aufforderungen zu Entschuldigungen über den Rückzug chinesischer Studierender aus australischen Universitäten und dem Boykott australischer Exportgüter bis hin zu gefälschten Fotos von australischen Soldaten in Afghanistan reihen. Australien ist kein Einzelfall. Auch berechtigte europäische Kritik an Chinas Umgang mit den Bürgern Hong Kongs oder den Uiguren wird mit immer härteren Kommentaren versehen.
Die Belt-and Road-Initiative, auch als die Neue Seidenstraße bezeichnet, kann vor diesem Hintergrund nur als machtpolitisches Instrument interpretiert werden. Chinesische Kredite an die Partnerländer sind dabei keineswegs mit Vorzugskonditionen versehen. Ein offenbar ausgeklügeltes System von Sicherheiten macht die Partnerländer, darunter zum Beispiel Sri Lanka oder Kenia, in hohem Maße abhängig von Wohlwollen der chinesischen Regierung.
Schließlich muss noch konstatiert werden, dass auch wirtschaftliche Beziehungen mit China immer stärker in dieses Machtstreben hineingezogen werden. Zwar machen die deutschen Unternehmen immer noch gute Exportgeschäfte mit China; es häufen sich jedoch die Klagen über Unternehmensspionage (zum Teil verübt von chinesischen Studierenden an deutschen Hochschulen in Praktika), Plagiate und den Zwang zum Technologietransfer in den chinesischen Tochterunternehmen in China. Dies alles ist Teil des Konkurrenzkampfes, den China mit den Ländern des Westens um die Technologieführerschaft eingegangen zu sein scheint. Henry Kissinger sieht hier die Gefahr des Anknüpfens an das sinozentrische Tributsystem, das bis zum frühen 20. Jahrhundert mehrere tausend Jahre chinesische Diplomatie (wenn man es so nennen mag) bestimmte.
Inzwischen hat sich die Erkenntnis einer eher feindlichen chinesischen Agenda auch in deutschen Ministerien und Firmenzentralen durchgesetzt. China wird nun in Europa nicht länger als Partner, sondern eher als Rivale eingeschätzt. Dabei ist es für deutsche Entscheidungsträger nicht leicht, sich zu dieser Erkenntnis durchzuringen. Denn es stellt sich auch heraus, dass eine aufrechte Haltung zu Menschen- und Bürgerrechten umso schwerer fällt, je stärker die Abhängigkeit vom chinesischen Absatzmarkt oder Investitionsstandort ist.
Dennoch macht die neue Interpretation des Verhältnisses zum Reich der Mitte Mut. Auch ist man in Deutschland damit nicht allein, wie das australische Beispiel zeigt. Die Skepsis und Unzufriedenheit Chinas Auftreten gegenüber wächst auch in den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Ländern. In den USA wird diese Haltung nicht nur vom scheidenden Präsidenten, sondern auch von seinem Nachfolger Joe Biden vertreten.
Das bietet die große Chance, dass der Widerstand gegen die chinesischen Expansionsgelüste in Zukunft wieder bündeln lässt. In den letzten vier Jahren hat die US-Administration sich dabei ausschließlich auf sich selbst verlassen und den Eindruck vermittelt, Europa sei nahezu im selben Ausmaß ein Rivale wie China. Diese abwertende Haltung wird von der Biden-Administration nicht erwartet. Insofern besteht die Möglichkeit einer gemeinsamen Strategie.
Ein solche Strategie ist in vielen Feldern vonnöten. Zuvorderst steht die Zukunft der Demokratie selber im Zentrum. Das chinesische autokratische Modell sollte nicht zum neuen Standard in der Weltpolitik werden. Das bedeutet auch, dass die Anstrengungen in der Entwicklungszusammenarbeit innerhalb des Westens koordiniert werden sollten, um den Regierungen in Entwicklungs- und Schwellenländern eine echte Alternative zu den Sirenengesängen der Neuen Seidenstraße zu bieten. Aus deutscher Sicht ist es zum Beispiel nötig, das Engagement deutscher Unternehmen in Afrika zu stärken; dazu hat die Diskussion gerade erst begonnen.