
Aus kürzester Distanz schoss ihr ein Taliban ins Gesicht. Das Projektil schoss oberhalb von Malalas linkem Auge in den Kopf und zerfetzte ihre linke Gesichtshälfte. Dass sie das Attentat vom 9. Oktober 2012 überlebte, grenzte an ein Wunder.
Der Grund des Angriffs: Malala, die in Pakistan nahe der afghanischen Grenze lebte, saß im Schulbus. Sie wollte zum Unterricht.
Die Taliban aber hatten seit 2007 begonnen, Schulen für Mädchen zu zerstören und später den Mädchen verboten, zum Unterricht zu erscheinen. Malala ließ sich nicht schrecken - und bezahlte fast mit ihrem Leben.
Die Friedensnobelpreisträger der letzten zehn Jahre
Der Wirtschaftsfachmann Muhammad Yunus (Bangladesch) und die von ihm gegründete Grameen Bank - für die Idee, Kleinstkredite an Arme zu vergeben.
Ex-US-Vizepräsident Al Gore und der UN-Klimarat - für ihren Beitrag zur Mobilisierung gegen eine drohende Klimakatastrophe
Finnlands Ex-Präsident Martti Ahtisaari - für seine Vermittlung in Kriegen und Konflikten, etwa im Bürgerkrieg in der indonesischen Provinz Aceh.
US-Präsident Barack Obama - für seinen Einsatz zur Stärkung der internationalen Diplomatie und der Zusammenarbeit zwischen den Völkern.
Der Menschenrechtler Liu Xiaobo (China) - wegen seines langen und gewaltfreien Kampfes für die Menschenrechte in seiner Heimat.
Ellen Johnson-Sirleaf und Leymah Gbowee (beide Liberia) sowie Tawakkul Karman (Jemen) - für gewaltfreien Kampf zur Stärkung der Rechte von Frauen.
Die Europäische Union - für ihren 60 Jahre währenden Beitrag für Frieden, Demokratie und Menschenrechte in Europa.
Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen - für den Einsatz gegen die weltweit geächteten Massenvernichtungswaffen.
Das tunesische Quartett für einen nationalen Dialog. Dem Dialogquartett gehören der tunesische Gewerkschaftsverband UGTT, der tunesische Arbeitgeberverband, die Menschenrechtsliga des Landes und die Anwaltskammer an.
Das "Time"-Magazin zeigte sie auf dem Cover und kürte sie nach Barack Obama zur zweitwichtigsten Person des Jahres 2012. Ihre Geschichte ging um die Welt – und berührte selbst bis dato völlig unpolitische Menschen.
Wie meine junge Nichte Annalena. Bücher zu lesen, ist für sie meistens eine Qual. Für die Politikhausaufgaben fragt sie bei ihrem Großcousin nach – also bei mir.
Bis sie im Alter von 14 Jahren das Buch "Ich bin Malala" des pakistanischen Taliban-Opfers im Unterricht lesen sollte. Sie schrieb mir, wie "krass" das Buch sei und fragte, wer diese Taliban sind. Sie fragte mich aus und erkannte zum ersten Mal, wie privilegiert sie als deutsches Mädchen lebt.
Malala wurde von der pakistanischen Regierung ausgezeichnet, sie besuchte die Obamas im Weißen Haus und sprach im Juli 2013 vor der Jugendversammlung der UNO. Dort sagte sie: "Die Terroristen dachten, sie würden meine Bestrebungen ändern und meinen Absichten ein Ende machen, doch in meinem Leben hat sich nichts geändert, nur dies: Schwäche, Angst und Hoffnungslosigkeit sind gestorben. Stärke, Macht und Mut wurden geboren. Ich bin dieselbe Malala."
Sie erklärte, dass sie kein Rachefeldzug gegen die Taliban plane, sie "sei nicht hier, um die Stimme gegen die Taliban oder gegen irgendeine andere Terrorgruppe zu erheben".
Sondern: "Ich bin hier, um für jedes Kind das Recht auf Bildung einzufordern. Ich möchte Bildung für die Söhne und Töchter der Taliban sowie aller Terroristen und Extremisten."
Dieses Ziel ist längst nicht erreicht. In Afghanistan ist die Situation fragil, in Pakistan auch. In Syrien und im Irak errichten die IS-Milizen Terrorherrschaften. In eroberten Gebieten werden Frauen von den radikalen Islamisten aufgefordert, sich komplett zu verschleiern; Mädchen wird der Zugang zu Schulen verwehrt.
Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi – einem Inder, der die Organisation Bachpan Bachao Andolan (Bewegung zur Rettung der Kindheit) gründete und Tausende aus Sklaverei und Schuldknechtschaft rettete – ist auch ein Signal an die westliche Welt.
Zu lange haben die USA und Europa dem Vormarsch des IS zugeschaut. Die Türkei weiß noch immer nicht, wie sie sich verhalten soll. Sie lässt Panzer an der türkisch-syrischen Grenze auffahren und nimmt kurdische Flüchtlinge aus den Krisengebieten auf. Gleichzeitig sollen krumme Geschäfte mit IS-Kämpfern laufen, in Istanbul und in anderen Städten können Hassprediger ungestört für den "Islamischen Staat" werben.
Wer den Kampf von Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi unterstützen will, der muss den Kampf gegen den IS forcieren. Dazu bedarf es Mut und Entschlossenheit. Mut, den ein 15-jähriges Mädchen 2012 zeigte und dafür zurecht mit den Friedensnobelpreis 2014 ausgezeichnet wurde.