Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei "Bomben besiegen nicht die Armut"

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"Die Angst vor IS ist groß – aber auch die Bereitschaft, zu kämpfen"

Wie sehr hat das Vertrauen in Ägypten durch den Sturz von Präsident Mohammed Mursi gelitten, der die ersten freien Wahlen Mitte 2012 gewonnen hatte und vom Militär aus dem Amt geputscht wurde?

Das Land stand kurz vor einem Bürgerkrieg, die Situation war sehr kritisch. Deswegen gab es den Militärputsch. Jetzt müssen sich die Menschen gegenseitig zuhören.

Passiert das denn?

Noch nicht. Die Menschen haben von allen Seiten Leid erlitten, jetzt muss ihnen Recht widerfahren. Momentan finden die Menschen aber noch nicht an einen gemeinsamen Tisch.

Noch einmal zurück zur Sicherheit in Ihrem Land. Können Touristen sorglos nach Ägypten reisen?

Ich glaube, die größten Probleme sind überwunden. Es gibt noch seltene Fälle von Gewalt, vor allem im Landesinneren, aber die Touristenhochburgen sind sehr sicher.

Wie groß ist in Ägypten die Angst vor den Terroristen vom Islamischen Staat (IS)?

Ich denke, jeder Staat und jeder Bürger in Nordafrika ist über den Vormarsch von IS besorgt. Die IS-Kämpfer wollen zurück in die Steinzeit: Sie morden, sie foltern, sie unterdrücken, sie dulden keine Widerrede. Das kann keiner unterstützen, der klar im Kopf ist. Die Angst ist da – aber auch die Bereitschaft, den Terroristen Einhalt zu gebieten.

Fakten zum Terror im Irak

Die Regierungen in Europa und Nordamerika reiben sich verwundert die Augen über den schnellen Vormarsch des IS. Hat die westliche Welt die Bewegung verschlafen?

Ich würde nicht sagen verschlafen, aber vielleicht unterschätzt. Ich muss gestehen, dass auch ich IS vor fünf Jahren kaum gekannt habe. Deren Aufstieg kam schnell, auch für mich. Aber: Der Islamische Staat ist nicht aus dem Nichts entstanden. Vergessen Sie nicht: Wir haben seit drei Jahren einen Bürgerkrieg in Syrien, bei dem bereits über 200.000 Menschen gestorben sind. Und nichts passiert, der Westen schaut weg. Dann haben wir den Irak, der geteilt ist. Ethnische Gruppen haben ihre Einflusssphären abgesteckt; Gewalt ist an der Tagesordnung. Dass in solch einem Umfeld Extremisten leichtes Spiel haben, ist im Endeffekt wenig überraschend.

Der Nahe Osten ist seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, ein Pulverfass. Wieso konnte IS gerade jetzt stark werden?

Es gibt im Nahen Osten viele Extreme. Es gibt stabile Staaten und weniger stabile Staaten. Es gibt Menschen, die in Wohlstand leben, aber auch bittere Armut und Hoffnungslosigkeit. Die Lebensbedingungen sind sehr unterschiedlich. Die Probleme in Syrien und dem Irak haben diese Dinge verschärft. Hinzu kommt, dass die Welt näher zusammengerückt ist. Dank Fernsehen und Internet sind Informationen überall zugänglich. Bilder aus dem Westen laufen über die Bildschirme. Und die Menschen haben den Wunsch, ähnlich zu leben. Sie begehren gegen die Machthaber auf – und bei Missfall radikalisieren sie sich. Dass IS ihre Not vergrößert, blenden viele leider aus. Sie glauben deren Versprechungen, dass IS für Gerechtigkeit sorgt und dass die Terroristen im Namen Gottes kämpfen.

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