Wie sehr hat das Vertrauen in Ägypten durch den Sturz von Präsident Mohammed Mursi gelitten, der die ersten freien Wahlen Mitte 2012 gewonnen hatte und vom Militär aus dem Amt geputscht wurde?
Das Land stand kurz vor einem Bürgerkrieg, die Situation war sehr kritisch. Deswegen gab es den Militärputsch. Jetzt müssen sich die Menschen gegenseitig zuhören.
Passiert das denn?
Noch nicht. Die Menschen haben von allen Seiten Leid erlitten, jetzt muss ihnen Recht widerfahren. Momentan finden die Menschen aber noch nicht an einen gemeinsamen Tisch.
Noch einmal zurück zur Sicherheit in Ihrem Land. Können Touristen sorglos nach Ägypten reisen?
Ich glaube, die größten Probleme sind überwunden. Es gibt noch seltene Fälle von Gewalt, vor allem im Landesinneren, aber die Touristenhochburgen sind sehr sicher.
Wie groß ist in Ägypten die Angst vor den Terroristen vom Islamischen Staat (IS)?
Ich denke, jeder Staat und jeder Bürger in Nordafrika ist über den Vormarsch von IS besorgt. Die IS-Kämpfer wollen zurück in die Steinzeit: Sie morden, sie foltern, sie unterdrücken, sie dulden keine Widerrede. Das kann keiner unterstützen, der klar im Kopf ist. Die Angst ist da – aber auch die Bereitschaft, den Terroristen Einhalt zu gebieten.
Fakten zum Terror im Irak
Die Terrorgruppe ISIS („Islamischer Staat im Irak und in Syrien“) ist eine im Syrienkrieg stark gewordene Miliz. Die Gruppe steht seit 2010 unter Führung eines ambitionierten irakischen Extremisten, der unter seinem Kriegsnamen Abu Bakr al-Baghdadi bekannt ist. Die USA haben zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt. Ihm ist es in den vergangenen vier Jahren gelungen, aus einer eher losen Dachorganisation eine schlagkräftige militärische Organisation zu formen. Ihr sollen bis zu 10.000 Kämpfer angehören.
Die Gruppe nannte sich Ende Juni in IS um, da sie die Einschränkung auf den Irak und Syrien aufheben wollte.
ISIS sind Dschihadisten, Gotteskrieger. Sie kämpfen für eine strikte Auslegung des Islam und wollen ihr eigenes „Kalifat“ schaffen. Ihre fundamentalistischen Ziele verbrämt Isis bisweilen - wenn es in einzelnen Regionen gerade opportun erscheint. „Im Irak gerieren sie sich als Wahrer der sunnitischen Gemeinschaft“, weiß Aimenn al-Tamimi, ein Experte für die militanten Einheiten in Syrien und im Irak. „In Syrien vertreten sie ihre Ideologie und ihr Projekt weit offener.“ In der syrischen Stadt Rakka beispielsweise setzen die Extremisten ihre strikte Auslegung islamischer Gesetze durch. Aktivisten und Bewohner in der Stadt berichten, dass Musik verboten wurde. Christen müssen eine „islamische Steuer“ für ihren eigenen Schutz zahlen.
Ihre Taktik ist eine krude Mischung von brutaler Gewalt und Anbiederung - alles zwischen Abschreckung durch das Köpfen von Feinden und Eiscreme für die Kinder in besetzen Gebieten. Das alles dient der Al-Kaida-Splittergruppe Isis nur zu einem Ziel: den Islamischen Staat im Irak und Syrien zu bilden, den ihr Name verheißt. Die Gruppe, der bis zu 10.000 Kämpfer angehören sollen, hat diese Woche die irakischen Städte Mossul und Tikrit überrannt und den Marsch auf Bagdad angekündigt.
Zu Jahresbeginn hatte Isis bereits die Stadt Falludscha und Teile der Provinz Anbar westlich von Bagdad unter ihre Kontrolle gebracht. Inzwischen hat ISIS maßgeblichen Einfluss auf ein Gebiet, das von der syrisch-türkischen Grenze im Norden bis zu einem Radius von 65 Kilometern vor der irakischen Hauptstadt reicht. Der einstige Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, den US-Truppen vor ihrem Abzug aus dem Irak 2011 besiegt zu haben meinten, blüht in einer neuen Inkarnation wieder auf. Dabei profitiert Isis von den Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die ihre sunnitische Anhängerschaft radikalisieren.
Bislang drangen ISIS-Kämpfer bis zur Provinz Dijala knapp 60 Kilometer nördlich von Bagdad vor. Rund 50 Kämpfer sollen dort laut Medienberichten bei Gefechten mit der irakischen Armee getötet worden sein. Die Isis habe sich daraufhin zurückgezogen, hieß es. Mittlerweile haben die Kämpfer die Städte Dschalula und Sadija in der Provinz Dijala unter ihre Kontrolle gebracht. Die Städte liegen 125 beziehungsweise 95 Kilometer von Bagdad entfernt.
Nach dpa-Informationen erbeuteten ISIS-Kämpfer in Mossul 500 Milliarden irakische Dinar (318 Millionen Euro) in der Zentralbank. Damit wird Isis zur reichsten Terrororganisation vor Al-Kaida. Experten schätzen das Vermögen der Al-Kaida auf 50 Millionen bis 280 Millionen Euro. Auch schweres Kriegsgerät soll ISIS erbeutet haben. Im Netz kursierende Videos zeigen irakische Panzer und Helikopter mit der schwarzen Flagge der Isis bei einer Militärparade in Mossul.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Isis Bombenanschläge in Wohngebieten, Massenexekutionen, Folter, Diskriminierung von Frauen und die Zerstörung kirchlichen Eigentums vor. Einige Taten kämen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500.000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Ministerpräsident Al-Malikis Versuch, am 12. Juni 2014 den Notstand auszurufen, war am Parlament gescheitert, das eine Abstimmung wegen mangelnder Beteiligung verschob. Seit Monaten zeigt sich Al-Maliki praktisch machtlos gegen den Terror sunnitischer Extremisten im Land. Dieser kostete seit April 2013 Tausenden Menschen das Leben.
Der UN-Sicherheitsrat sagte der irakischen Regierung einmütig Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zu. Die Nato und Großbritannien schlossen einen militärischen Eingriff aus. Auch der iranische Präsident Hassan Ruhani hat dem Nachbarland die uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen die Terrorgruppe Isis zugesichert. Sowohl auf regionaler als auch internationaler Ebene werde der Iran alles im Kampf gegen die Terroristen im Irak unternehmen, sagte Ruhani dem irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki. Mittlerweile prüft die US-Regierung auch militärische Optionen.
Die Regierungen in Europa und Nordamerika reiben sich verwundert die Augen über den schnellen Vormarsch des IS. Hat die westliche Welt die Bewegung verschlafen?
Ich würde nicht sagen verschlafen, aber vielleicht unterschätzt. Ich muss gestehen, dass auch ich IS vor fünf Jahren kaum gekannt habe. Deren Aufstieg kam schnell, auch für mich. Aber: Der Islamische Staat ist nicht aus dem Nichts entstanden. Vergessen Sie nicht: Wir haben seit drei Jahren einen Bürgerkrieg in Syrien, bei dem bereits über 200.000 Menschen gestorben sind. Und nichts passiert, der Westen schaut weg. Dann haben wir den Irak, der geteilt ist. Ethnische Gruppen haben ihre Einflusssphären abgesteckt; Gewalt ist an der Tagesordnung. Dass in solch einem Umfeld Extremisten leichtes Spiel haben, ist im Endeffekt wenig überraschend.
Der Nahe Osten ist seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, ein Pulverfass. Wieso konnte IS gerade jetzt stark werden?
Es gibt im Nahen Osten viele Extreme. Es gibt stabile Staaten und weniger stabile Staaten. Es gibt Menschen, die in Wohlstand leben, aber auch bittere Armut und Hoffnungslosigkeit. Die Lebensbedingungen sind sehr unterschiedlich. Die Probleme in Syrien und dem Irak haben diese Dinge verschärft. Hinzu kommt, dass die Welt näher zusammengerückt ist. Dank Fernsehen und Internet sind Informationen überall zugänglich. Bilder aus dem Westen laufen über die Bildschirme. Und die Menschen haben den Wunsch, ähnlich zu leben. Sie begehren gegen die Machthaber auf – und bei Missfall radikalisieren sie sich. Dass IS ihre Not vergrößert, blenden viele leider aus. Sie glauben deren Versprechungen, dass IS für Gerechtigkeit sorgt und dass die Terroristen im Namen Gottes kämpfen.