Wenn diese Gefahr nicht ernst genommen werde, „wäre das eine Tragödie“, sagte Kissinger dem Nachrichtenmagazin „SPIEGEL“. Russlands Präsident Wladimir Putin handele aus „strategischer Schwäche, die er als taktische Stärke tarnt“, sagte Kissinger dem Bericht vom Sonntag zufolge. Fortgesetzte Sanktionen gegen Moskau hält der 91-Jährige für kontraproduktiv. Von Berlin erwartet Kissinger mehr Initiative in der Außenpolitik: „Deutschland ist heute das wichtigste Land in Europa - und es sollte sich aktiver einbringen.“ Am Vortag hatte bereits der frühere sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow in Berlin angesichts der Spannungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt vor einem Rückfall in alte Zeiten gewarnt. „Die Welt ist an der Schwelle zu einem neuen Kalten Krieg. Manche sagen, er hat schon begonnen.“ In den vergangenen Monaten habe sich ein „Zusammenbruch des Vertrauens“ zwischen Ost und West vollzogen, sagte der 83-Jährige.
Auch der ehemalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow hat den Westen wegen seiner Russland-Politik scharf kritisiert und vor einem neuen Kalten Krieg gewarnt. Nach der deutschen Wiedervereinigung habe es so ausgesehen, als könnte Europa durch die Schaffung gegenseitigen Vertrauens ein Beispiel für Konfliktlösungen weltweit werden, sagte Gorbatschow am Samstag bei einer Veranstaltung zum 25. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin. Die Geschichte habe sich aber anders entwickelt. Europa und die internationale Politik hätten den Test der Erneuerung nicht bestanden. "Die Welt steht am Rande eines neuen Kalten Krieges. Einige sagen, er hat bereits begonnen", sagte Gorbatschow.
Der Westen und insbesondere die USA hätten ihre Versprechen nach der Wende von 1989 nicht eingehalten. Stattdessen habe man sich zum Sieger des Kalten Krieges erklärt. Den Politikern im Westen seien Euphorie und Triumphalismus zu Kopfe gestiegen. Sie hätten Russlands Schwäche ausgenutzt und das Monopol auf Führung in der Welt erhoben. "Die Ereignisse der vergangenen Monate sind die Konsequenzen aus einer kurzsichtigen Politik, die darauf abzielt, vollendete Tatsachen zu schaffen und die Interessen des Partners zu ignorieren", sagte der Friedensnobelpreisträger.
Im Ukraine-Konflikt warb er um Verständnis für die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin, den er früher oft kritisiert hatte. In jüngsten Äußerungen Putins sei trotz harscher Kritik am Westen und den USA das Bestreben zu erkennen, Spannungen abzubauen und eine neue Grundlage für eine Partnerschaft zu schaffen. Gorbatschow forderte eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen, die beiden Seiten nur schadeten. Vor allem die von der EU und den USA verhängten Strafmaßnahmen gegen Politiker müssten beendet werden.