G20-Gipfel in China Wider der „Quasselbude“

Die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen treffen sich zum G20-Gipfel. Chinas Präsident Xi Jinping will Taten sehen. Neben der Weltkonjunktur stehen TTIP, Flüchtlinge und das Klima auf dem Programm.

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Die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen treffen sich in China. Quelle: dpa

Hangzhou Im ostchinesischen Hangzhou hat das G20-Treffen begonnen. Chinas Präsident Xi Jinping empfing am Sonntag die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrie- und Schwellenländer, darunter auch US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zum Auftakt wollen die Politiker über Maßnahmen gegen die weltweite Konjunkturflaute beraten. Am Rande des zweitägigen Gipfels halten die Staats- und Regierungschefs zahlreiche separate Treffen ab. Dabei stehen drängende politische Fragen wie die Konflikte in Syrien und der Ostukraine im Mittelpunkt.

Xi Jinping hat die G20-Staaten zum Auftakt zu mehr Kooperation aufgerufen. Die Gruppe der führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) müsse nicht nur Krisenmanager sein, sondern sich zu einem langfristigen globalen Führungsinstrument entwickeln, sagte der gastgebende Präsident am Sonntag zu Beginn des Gipfels. „Wir sollten die G20 zu einem Aktionsteam anstelle einer Quasselbude machen.“

Die Gruppe stehe großen Erwartungen gegenüber, die Weltwirtschaft anzukurbeln. Xi plädierte in seiner Eröffnungsrede vor den Staats- und Regierungschefs für eine Liberalisierung der Wirtschaft, freien Handel, ungehinderte Investitionen und sprach sich gegen Protektionismus aus. „So lange wir zusammenhalten, können wir die schwere Last der globalen Wirtschaft tragen.“ Auch forderte der chinesische Präsident, die Entwicklungsländer stärker einzubeziehen.

Große Worte gab es im Vorfeld bereits reichlich. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker etwa verlangt von China einen Abbau der hohen Überkapazitäten auf dem Stahlmarkt. Vor Beginn des Gipfels sprach Juncker am Sonntag von einem „globalen Problem, aber mit einer speziellen chinesischen Dimension“. Die Volksrepublik müsse als weltweit größter Stahlproduzent ihrer Verantwortung gerecht werden und zu einer Lösung beitragen. Dazu solle sich das Land an einem internationalen Beobachtungssystem für Stahlkapazitäten beteiligen. Juncker unterstrich, die EU-Kommission werde nicht hinnehmen, dass China Produkte mit Niedrigstpreisen weltweit in den Markt drücke und damit Tausende Jobs in der europäischen Stahlwirtschaft gefährde.

Auch die US-Regierung und die Bundesregierung wollen das Thema beim Gipfeltreffen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) ansprechen, das am Nachmittag (Ortszeit) beginnen sollte. Amerikaner und Europäer gehen bereits mit Dumpingklagen gegen China vor.


Handelsabkommen im Fokus

Die Europäische Union fordert von ihren Partnern in der G20 auch eine gerechtere Verteilung der Lasten durch Flüchtlinge. Europa sei mit seiner Aufnahmefähigkeit „kurz vor dem Limit“, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Sonntag in der ostchinesischen Stadt Hangzhou. Derzeit seien 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, die Gründe für Flucht- und Migrationsbewegungen könnten nur global angegangen werden.

„Die G20 muss ihren Teil an Verantwortung übernehmen“, sagte Tusk und schloss China ausdrücklich darin ein. Die drei größten G20-Länder USA, Russland und China, der diesjährige Gipfelgastgeber, nehmen nur wenige oder gar keine Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien auf. Tusk schlug vor, alle Länder sollten mehr humanitäre Unterstützung und mehr Entwicklungshilfe leisten.

Ein Reizthema bleibt TTIP. Die Europäische Union wird trotz kritischer Stimmen aus mehreren Ländern weiter mit den USA über das Freihandelsabkommen verhandeln. Die EU habe dafür ein klares Mandat, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Sonntag vor dem G20-Gipfel in Hangzhou in China. „Für uns haben diese Handelsabkommen höchste Bedeutung.“ Es sei weniger gut, wenn Mitgliedsstaaten einzeln über Freihandel verhandeln wollten. Ausdrücklich lobte Juncker das Abkommen CETA mit Kanada. In Deutschland hatte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zuletzt die TTIP-Verhandlungen für „faktisch gescheitert“ erklärt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) distanzierte sich von dieser Äußerung.

Einen historischen Erfolg feierten die Gipfelteilnehmer schon am Samstag, denn das Inkrafttreten des weltweiten Klimaschutzabkommens von Paris ist ein entscheidendes Stück näher gerückt. Die beiden größten Produzenten von Treibhausgasen, China und die USA, schlossen sich formell der historischen Vereinbarung an. Vor Beginn des G20-Gipfels im chinesischen Hangzhou übergaben die Präsidenten Xi Jinping und Barack Obama am Samstag UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Ratifizierungsurkunden. Beide Staatschefs riefen die anderen Länder dazu auf, ihrem Beispiel möglichst schnell zu folgen, damit das Abkommen noch in diesem Jahr in Kraft treten kann.


Gipfel-Beschluss zum Kima dürfte enttäuschen

„Eines Tages werden wir das hier als einen Moment sehen, in dem wir uns entschieden haben, unseren Planeten zu retten“, sagte Obama. „Die Geschichte wird zeigen, dass die heutigen Anstrengungen entscheidend sind.“ Klimaschützer begrüßten die Ratifizierung als „Riesenschritt“, forderten aber mehr Anstrengungen der Industrie- und Schwellenländer (G20). Die bisher zugesagten nationalen Pläne reichten nicht aus, um die gefährliche Erderwärmung unter die notwendigen zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu bringen. Die G20-Staaten sind für drei Viertel der weltweiten Emissionen verantwortlich.

Der Entwurf des Gipfel-Kommuniqués, das am Montag zum Abschluss angenommen werden soll, dürfte allerdings enttäuschen. Es gebe darin bisher „kein starkes Signal“ für neue Anstrengungen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Sonntag aus informierten Kreisen. Für die Europäische Union sagte Präsident Donald Tusk, die Europäer wollten ihren Teil dazu beitragen, dass das Abkommen schnell umgesetzt werde. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon würdigte den „historischen Schritt“ der USA und Chinas. „Nur wenn wir handeln, bekommen wir mehr und mehr und immer bessere Ergebnisse.“

Mit der Entscheidung Chinas und der USA steigt die Zahl der zum Abkommen beigetretenen Länder auf 26. Zusammen sind sie für 39 Prozent des Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich. Die Vereinbarung tritt in Kraft, wenn sie mindestens 55 Länder angenommen haben, die zusammen mindestens 55 Prozent der weltweiten Treibhausgase produzieren. Ziel ist es, die Erderwärmung unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu halten.

Das Pariser Abkommen war im Dezember vergangenen Jahres von 195 UN-Mitgliedern beschlossen worden. In Deutschland hat das Kabinett zwar das Ratifizierungsgesetz schon verabschiedet, der Bundestag muss aber noch zustimmen. China und die USA sind die beiden maßgeblichen Länder im Kampf gegen den Klimawandel, weil sie für 38 Prozent des Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich sind.

Die bisher zum Abkommen beigetreten 24 Staaten kommen zusammen nur auf 1,08 Prozent. Es sind meist nur kleine Inselstaaten, die durch den Anstieg des Meeresspiegels besonders unter der Erderwärmung leiden. Klimaschutzorganisationen begrüßten den Vorstoß der beiden großen Wirtschaftsmächte. „Es braucht politischen Willen, um das Pariser Klimaabkommen von einer guten Idee zu einem wirklichen Plan zu machen“, sagt Greenpeace-Klimaexperte Martin Kaiser. „Obama und Xi haben diesen Willen heute bewiesen.“

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