G20-Gipfel Randale mit Ansage

Eine linke Demonstration in Hamburg eskaliert. Doch sie zeigt auch: Es sind weniger Gewalttäter in der Stadt als erwartet.

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Brennender Müll auf Hamburgs Straßen bei den G20-Protesten - im Hintergrund die Bereitschaftspolizei. Quelle: Reuters

Hamburg High-Noon auf der Hafenstraße am Donnerstag um kurz nach 19 Uhr: Bewegungslos stehen Hunderte Polizisten in schwarzer Schutzmontur Hunderten schwarz gekleideten Demonstranten in Blockformation gegenüber. Die Polizei verlangt: Vermummung weg. Zehn, zwanzig Minuten vergehen. Dann beginnen Demonstranten, eine Mauer zu erklettern. Polizisten laufen los, Wasserwerfer spritzen, gelbes Tränengas wabert, Schupsen, Rennen, Geschrei.
Es musste so kommen. Die Demonstration „Welcome to hell“ eskaliert nach wenigen Metern Demonstrationszug. Zwei lang angekündigte „Schwarze Blöcke“ und eine Null-Toleranz-Strategie der Polizei bei mehreren Kilometern genehmigter Demonstrationsroute – alles andere als Gewaltszenen war im Grunde ausgeschlossen. Die Szenen werden Diskussionen auslösen. Sie zeigen aber auch: Die Zahl der Randalierer ist begrenzt.
Der Abend verläuft höchst wechselhaft: Zwar betont die Polizei zunächst mehrmals auf Twitter, die Demonstration könne weitergehen, wenn der Schwarze Block abgetrennt werde. Schließlich drängen die Beamten die Demonstrationsspitze mit den Wasserwerfern zurück. Flaschen fliegen, lose Gehwegsteine liegen herum. Die Lage wird unübersichtlich. Die Polizei meldet, ihr Pressesprecher sei angegriffen worden.

Kurze Zeit später: Die Menge setzt sich in Gang, vorne Wasserwerfer, die Störer und Zuschauer im Park oberhalb der Hafenstraße vertreiben. Der Zug stockt erneut vor dem Alten Elbtunnel, lange Ungewissheit, dann die Durchsage: Eine neue Veranstaltung ist angemeldet. Es ziehen gegen 22 Uhr weiter: schwarz gekleidete Jugendliche, Reste aus dem Schwarzen Block, ein paar Senioren auch, viele „Normalos“, ein Rollstuhlfahrer.
Der Abend zeigt: Die Polizei bleibt bei ihrer Linie, sofort einzuschreiten – selbst dann, wenn es nicht unbedingt nötig scheint. Doch sie bleibt ambivalent, lässt überraschend nach Härte doch wieder Freiräume – wie schon in der Frage von Übernachtungszelten.
Kurz vor dem Protestmarsch war die Lage noch friedlich: Bei Sonnenschein rappte vor der Hafenkulisse die Hamburger Gruppe „Neonschwarz“, spielten die Alt-Punks „Goldene Zitronen“. Andererseits machten die Moderatoren – zwei „Polit-Tunten“ - klar, die Hamburger Polizei provoziere leicht. Heißt: Gewalt war einkalkuliert. Ein Aktivist aus den USA rief: „Welcome to hell, motherfuckers“. Regelmäßige Durchsagen betonten: „Ihr habt das Recht auf zwei Anrufe. Schaltet eure Smartphones aus. Jedes Foto kann ein Grund für Repression gegen euch oder andere sein.“ Gewalt als absehbares Polit-Spektakel in der berühmt-berüchtigten Hafenstraße.


Riesiges Polizeiaufgebot

Auch die Polizei hatte schon vorab deutlich erklärt, dass sie mit Gewalt rechne. Der Verfassungsschutz rief dazu auf, die Demo nicht zu unterstützen. Dennoch war ursprünglich eine extrem lange Route bis hin zur Sicherheitszone genehmigt worden – und zugleich Null Toleranz angekündigt. Deeskalation sieht anders aus.
Die Polizei behielt die Lage an der Demonstration trotzdem weitgehend im Griff. Große Teile des Polizeiaufgebots kamen nicht zum Einsatz. Mehrere Wasserwerfer standen bereit, auf der Elbe kreuzte ein Schiff der Küstenwache. Es gab jedoch etliche Verletzte, Zahlen liegen noch nicht vor. Mehrere Demonstranten wurden von Sanitätern getragen, andere wuschen sich die Augen aus.
Deutlich ist, und das ist ein gutes Zeichen für den G20-Gipfel: Die Zahl der Gewalttäter lag jedoch sicher unter den befürchteten 8.000, schließlich schätzte die Polizei die Zahl der Gesamtteilnehmer auf 12.000. Die meisten waren friedlich, teils heiter, oft eher erlebnishungrig. Auch schienen nur wenige Ausländer mitzulaufen – vielleicht auch, weil mehrere Busse bei der Fahrt nach Hamburg aufgehalten worden waren. Innenminister Thomas de Maizère hatte bereits zuvor gesagt, die Zahl 8.000 sei eher hoch gegriffen. Er befürchtete jedoch, Hamburg könne zum Treff von gewaltbereiten Extremisten aus ganz Europa werden.

Klar ist auch: Der von zahlreichen Medien dokumentiere Abend wird genau die Debatte über Polizeigewalt auslösen, die die Veranstalter erhoffen. Das ist die Kehrseite des schnellen Eingreifens: Unklar bleibt, wie stark die Lage eskaliert wäre, wenn die Ursprungsdemo hätte stattfinden können. Schließlich hatten die Organisatoren zuvor angedeutet, sie wollten möglichst lange laufen, bis es zu Gewalttaten kommen könnte - dann in der Nähe der Sperrzone an den Messehallen.
Der Verlauf gibt der Szene sicher die Vorlage, von Polizeiprovokation zu sprechen. Russische und türkische Medien könnten die Bilder nutzen, um Polizeieinsätze zu Hause zu rechtfertigen. Die Hamburger Beamten haben allerdings für ihren Kurs politische Rückendeckung in Landes- und Bundespolitik. Sie hat im Vorfeld klargemacht: Gewalttäter werden konsequent verhaftet. Dabei hilft ein eigens eingerichtetes Containergefängnis südlich der Elbe mit 400 Haftplätzen und angeschlossenen provisorischen Gerichtsräumen.
Randale gab es am Donnerstagabend auch an anderen Ecken der Stadt: Im Schanzenviertel meldete die Polizei Angriffe auf Beamte, in Altona zerschlugen Angreifer die Fensterscheiben von Ikea. Autos brannten. Zahlen zu Verhafteten meldete die Polizei noch nicht. Die Polizei forderte per Twitter dazu auf, sich in der gesamten Stadt von Gewalttätern zu distanzieren.
Für den Freitag sind weitere Aktionen angekündigt. Die sogenannte „Interventionistische Linke“ will Wege zwischen Flughafen und Messe blockieren. Womöglich sind die seit Wochen geplanten Aktionen jedoch wirkungslos: Die meisten Staatschefs sind bereits in der Stadt gelandet – während die Aktivisten noch auf dem Fischmarkt feierten. Donald Trump und andere Staatenlenker dürften von den Demonstrationen wenig mitbekommen – bis auf Fernsehbilder. Und das Geräusch der Hubschrauber.

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