G7-Gipfel Abenomics goes global – oder auch nicht  

Weltpolitik ist Innenpolitik: Japans Ministerpräsident Shinzo Abe feiert den G7-Gipfel als globalen Sieg der Abenomics. Doch nichts ist ferner von der Wahrheit entfernt. Die Gipfelerklärung ist ein Scheinkonsens.

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Obama und Merkel beim G7-Gipfel in Japan: Schöne Erklärungen und ein Scheinkonsens. Quelle: dpa

Tokio Die G7-Staaten sehen das ohnehin nur schwache globale Wirtschaftswachstum durch zahlreiche Risiken gefährdet. Dazu gehörten geopolitische Konflikte, Terrorismus und die anhaltenden Flüchtlingsbewegungen – aber auch ein drohender Austritt Großbritanniens aus der EU, wird in der am Freitag beschlossenen Erklärung des G7-Gipfels im japanischen Ise-Shima betont.

„Globales Wachstum ist unsere dringliche Priorität", erklärten die G7-Staaten deshalb. Dazu müssten alle zur Verfügung stehenden politischen Mittel genutzt werden, um die weltweite Nachfrage anzukurbeln. Die sieben wichtigsten westlichen Industrieländer betonten, das weltweite Wirtschaftswachstum sei weiterhin nur moderat und bleibe hinter den Möglichkeiten zurück. Die Runde vermied aber das Wort „Krise“, auf das der japanische Gastgeber Shinzo Abe gepocht hatte.

Angela Merkel gab sich am Freitagmorgen in Japan sehr zufrieden mit dem G7-Gipfeltreffen. „Ich glaube, dass die Erklärung sehr inhaltsreich ist“, teilte Bundeskanzlerin den deutschen Journalisten am Freitagmorgen im Tagungshotel mit. US-Präsident Barack Obama lobte die Diskussionen sogar als „extrem produktiv.“ 

Auch das Kommuniqué des Staats- und Regierungschef spiegelte dies in gewisser Weise wider. Es erfüllt die Wünsche aller Teilnehmer, wenigstens verbal. Und wo es mal Meinungsverschiedenheiten gab, wurden Streitfragen in einen Scheinkonsens verwandelt.

Das beste Beispiel dafür hob die Kanzlerin gleich hervor: die Diskussion über die Lage der Weltwirtschaft und mögliche Maßnahmen der Regierungen. Die G7-Staaten erwarten zwar Wachstum, aber auch mehr Konjunkturrisiken. Japans Regierungschef Shinzo Abe warnte sogar, dass die Welt ohne entsprechende Maßnahmen in eine Krise wie nach dem Lehman-Schock stürzen könne.

Damit wollte er die anderen Teilnehmer dazu bewegen, gemeinsam mehr für die lahmende Weltwirtschaft zu tun: Neben lockerer Geldpolitik und Strukturreformen fordert er auch großzügige staatliche Konjunkturprogramme – trotz hoher Staatsverschuldung. Das sind die drei Säulen seiner Abenomics genannten Wirtschaftspolitik.  

Ungeachtet einer Staatsverschuldung von bald 250 Prozent des Bruttoinlandsprodukts startete Abe im April mit einem neuen Rekordhaushalt ins Fiskaljahr und legt schon neue Konjunkturprogramme auf. Und mehr noch: Am Montag wird er offiziell ankündigen, eine für April 2017 angekündigte Erhöhung der Mehrwertsteuer von acht auf zehn Prozent zu verschieben, die ein Teil seines Haushaltsanierungsplan ist. 

Doch besonders Deutschland widersprach dieser Idee schon auf der Finanzministertagung am vergangenen Wochenende; die Bundesregierung setzte sich stattdessen für Haushaltssanierung und Strukturreformen ein. Die Überbrückung der Kluft oblag auf dem G7-Gipfel dann den Wortschmieden. 

 
„Kraftvollerer und balancierter Politikmix“ angestrebt

In der Abschlusserklärung las man dann, dass die Nationen in „kooperativer Weise“ einen „kraftvolleren und balancierten Politikmix“ einzusetzen gelobten, um „starke, nachhaltige und balancierte Wachstumsmuster“ zu erzielen. Im Nebensatz stand dann, dass dabei länderspezifische Umstände berücksichtigt würden. Außerdem stand in der Erklärung, dass die Länder sich weiterhin anstrengen würden, die Schulden auf einen „nachhaltigen Pfad“ zu bringen.

Sprich: Die von Abe gewünschte konzertierte Aktion staatlicher Konjunkturprogramme gibt es nicht. Jeder macht, was er für richtig hält. Aber Abe verwandelte den Formelkompromiss nun vor den Oberhauswahlen im Juli nonchalant in eine Zustimmung der G7-Nationen für seine „flexiblen fiskalischen Stimuli“. 

„Das bedeutet, dass Abenomics global umgesetzt werden,“ gab Abe in seiner Abschlusspressekonferenz zum Besten. Finanzminister Wolfgang Schäuble und Merkel würden dies wohl anders darstellen. Doch da war die Kanzlerin schon auf dem Weg zum Flugzeug und konnte nicht mehr widersprechen. 

An anderen Punkten gingen die Staats- und Regierungschefs beim G7-Gipfel sogar über den alten Streit zwischen fiskalpolitischen Tauben und Falken hinaus. Nicht nur griffen die Länder Abes Idee auf, Investitionen in Umwelt, Energie, Infrastruktur, Erziehung und die Förderung der Erwerbstätigkeit der Frauen in die Liste der Aktivitäten aufzunehmen. 

Darüber hinaus machten die Chefs auch die Nöte der Mittelschichten zum Thema. Die Mittelschichten können nicht länger auf eine bessere Zukunft hoffen, schilderte ein japanischer Diplomat ein Ergebnis der Diskussion. Die Einkommensunterschiede würden wachsen und so auch der Populismus. Die G7 wollen daher dafür sorgen, dass Wachstum wieder bei den Menschen ankommt.

Einigkeit herrschte auch in einem anderen Punkt, der durch die aufstrebenden Protestparteien und –kandidaten in vielen Ländern in Frage gestellt wird: dem Freihandel. Die G7 halten an offenen Märkten fest und wollen Protektionismus bekämpfen. Die Welthandelsorganisation und ihre Regeln sollen gestärkt werden, aber auch bi- und multilaterale Freihandelsabkommen ausgebaut werden. Merkel erwähnte zudem, dass die EU bis zum Jahresende sowohl ihr Abkommen mit den USA als auch mit Japan in den Grundzügen abschließen will. 

Eng verbunden mit dem Thema ist die Krise der Stahlindustrie. „Die globalen Überkapazitäten sind eine große Sorge für die EU“, hob EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor dem Gipfel hervor. Besonders die Stahlschwemme aus China sorgt die Regierungschefs. Juncker versprach daher, die Verteidigungsmaßnahmen der EU zu verschärfen. Die G7-Staaten gingen zwar nicht darüber hinaus. Aber die Vertreter der europäischen Stahlindustrie begrüßten schon, dass das Thema kurzfristig auf die Tagesordnung kam.

 
Mehr Geld für die Terrorismusbekämpfung und Flüchtlinge

Geld gibt es auch für einen Problemkomplex, der den Europäern unter den Fingernägeln brennt: die Bekämpfung von Terrorismus und Flüchtlingskrise. Die EU-Staaten forderten mehr Hilfe ein und bekamen Zusagen. 

Japan will in den kommenden drei Jahren sechs Milliarden US-Dollar in den Bürgerkriegsregionen für Wiederaufbau und Ausbildung ausgeben und 150 syrische Studenten aufnehmen. Insgesamt haben die G7-Staaten 3,6 Milliarden US-Dollar für den Irak zur Verfügung gestellt, sagte Merkel. Dabei handelt es sich aber nicht unbedingt um frisches Geld. Deutschlands Beitrag von 500 Millionen US-Dollar ist schon länger bekannt. 

Darüberhinaus einigten sich die Länder auf einen G7-Aktionsplan gegen Terrorismus und gewalttätigen Extremismus. Sie wollen den Informationsaustausch, den Grenzschutz und die Luftüberwachung verbessern und die Finanzierung der Terroristen erschweren.

Außerdem stärkten sich die G7-Staaten gegenseitig gegen andere äußere Bedrohungen den Rücken: Russlands Verhalten in der Ukraine-Krise und Chinas immer selbstbewusster vorgetragenen Gebietsansprüche im Süd- und im Ostchinesischen Meer. Ohne China beim Namen zu nennen, zeigten sich die G7 besorgt über die Lage in den Regionen. Und sie forderten, dass die Länder Konflikte friedlich managen und beilegen würden. Die Erklärung wirkt etwas zurückhaltend. Aber China ist nervös. Denn die Philippinen hatten aus Protest gegen Chinas Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer ein internationales Schiedsgerichts angerufen. Und das Urteil wird in naher Zukunft erwartet. 

Eines ist klar: Fällt das Urteil zugunsten der Philippinen aus, wird die G7 den Druck auf China erhöhen. Auch dies ist ein Erfolg für Abe, der Verbündete im Streit mit China sucht. Zeit zum Feiern hatte er nicht. Zuerst musste er nach Hiroshima weitereilen. Denn dort will Barack Obama um 17:40 Uhr Ortszeit als erster US-Präsident das Mahnmal für die Opfer des Atombombenabwurfs auf die Stadt besuchen. 

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