G7-Gipfel in Biarritz Zwei Clowns, zwei auf Abruf – und Angela Merkel

Beim G7-Gipfel in Biarritz haben US-Präsident Trump und der neue britische Premier Johnson sich erstmals getroffen Quelle: imago images

Nie zuvor war ein G7-Treffen so fragwürdig wie das in Biarritz: Der Westen ist zerstritten, mehr Teilnehmer denn je verwechseln Politik mit Unterhaltung – oder sind handlungsunfähig. Das Lager der Vernunft schrumpft.

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Vielleicht fragt sich selbst Angela Merkel zwischendurch, was sie eigentlich mehr als zwei Tage in Biarritz soll. Schließlich sind die G7-Treffen auch nicht mehr das, was sie mal waren. Es ist ja nicht nur so, dass die sieben Staats- und Regierungschefs längst nicht mehr die wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt repräsentieren: Kämen tatsächlich die zusammen, würde Merkel sich mit ihren Kollegen aus China, den USA, Indien, Japan, Russland und Indonesien austauschen.

Weder Großbritannien noch Frankreich noch Italien wären dabei. Nur Deutschland, sonst kein europäischer Staat – entsprechend gäbe es auch keinen Gipfel an der französischen Atlantikküste.

Dass die G7 im Jahr 2019 eine Welt der Siebzigerjahre vorgaukeln, ist derzeit allerdings noch das geringste Problem der Treffen. Schließlich tun einige Teilnehmer, was sie können, um den Einfluss der G7 weiter zu reduzieren. Zu dem notorischen Quertreiber aus Washington gesellt sich neuerdings auch noch der britische Premierminister Boris Johnson, der bislang ebenfalls nicht gerade als Repräsentant hochseriöser Politik in Erscheinung getreten ist.

Mehr Clownerie als Politik – dass die G7 keine großen Linien mehr vorgeben können, liegt in diesem Jahr auch daran, dass mit dem italienischen Premier Giuseppe Conte und dem kanadischen Regierungschef Justin Trudeau zwei Politiker in Biarritz dabei sind, die möglicherweise ihren letzten Gipfel erleben: Conte ist nur noch geschäftsführend im Amt, Trudeau muss im Herbst Wahlen bestehen. Seine Wiederwahl ist alles andere als sicher.

Eine Welt, die es nicht mehr gibt, Donald Trump und Boris Johnson, mit denen man angesichts ihres Hoppla-Politikstils eh nichts vereinbaren kann, was den Moment überdauert, zwei Regierungschefs auf Abruf – sinnbildlicher lässt sich der Bedeutungsverlust des Westens kaum illustrieren.

Merkel weiß genau, vor welch tristem Panorama dieser G7-Gipfel aufgeführt wird. Und dennoch bleibt sie auch dieses Mal ihrem Prinzip treu: Hilft ja nichts. Deshalb predigt sie, was sie fast immer sagt: Es ist allemal besser, wenn wir miteinander als übereinander reden. Und jede/r sollte versuchen, die Dinge zu ändern, die sie/er ändern kann.

Das ist zwar Pragmatismus pur. Und es ist der Regierungsstil der Kanzlerin, der in Deutschland zu einem beachtlichen Reformstau beigetragen hat. Aber auf internationaler Bühne ist er wahrscheinlich noch immer der richtige Ansatz. Schließlich sind die Zeiten turbulent. Und ob es um die eskalierenden Handelskonflikte, die Unsicherheit in der Straße von Hormus oder die Krise in Syrien geht – keines dieser Themen kann ein Land allein lösen.

Und bei keiner Krise hilft Aktionismus weiter. Dieser erhöht zwar den Unterhaltungswert von Politik, verhindert aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sinnvolle Lösungen.

Warum der Merkel-Stil, Ergebnisse im Rahmen des Machbaren zu erzielen, zumindest im internationalen Geschäft etwas für sich hat, lässt sich am Beispiel des brennenden Amazonas-Regenwalds illustrieren.

Es gibt in Deutschland und international Forderungen, den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro unter anderem dadurch unter Druck zu setzen, dass die EU das geplante Freihandelsabkommen mit dem Mercosur nicht ratifiziert. Merkel dürfte das nicht für besonders klug halten. Sie würde wahrscheinlich argumentieren, dass dem Regenwald mit solchen Drohungen nicht geholfen ist – und man stattdessen Bolsonaro gesichtswahrend dazu bringen müsse, internationale Hilfe anzunehmen. Wirklich Unrecht hat sie damit nicht.

Und vielleicht denkt Angela Merkel in Biarritz manchmal daran, dass es auch ihr letzter G7-Gipfel sein könnte. Niemand weiß, wie lange die Koalition in Berlin hält. Man darf davon ausgehen, dass zumindest der diesjährige Gastgeber Emmanuel Macron hofft, dass Merkel im nächsten Jahr noch dabei ist.

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