G7-Treffen „G7-Format ist in der jetzigen Form nicht zeitgemäß“

Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, spricht mit Justin Trudeau, Premierminister von Kanada vor dem G7-Gipfel. Quelle: dpa

Vor dem Gipfel in Kanada ist die Stimmung schlecht, entsprechend niedrig sind die Erwartungen. Annegret Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erklärt, warum der Gipfel zu Politikverdrossenheit führt.

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Frau Bendiek, schon im vergangenen Jahr stand der G7-Gipfel auf Sizilien ganz im Zeichen von US-Präsident Trump. Das gemeinsame Kommuniqué wäre damals beinahe geplatzt. Letztlich haben die Beteiligten ihre Differenzen niedergeschrieben – was es bis dato noch nie gab. Was erwarten Sie von diesem Gipfel?
Annegret Bendiek: Nicht besonders viel, ehrlich gesagt. Sollte diesmal doch unerwartet ein gemeinsames Kommuniqué entstehen, wäre das ein positives Zeichen. Trump müsste dafür allerdings erst einmal zu der Einsicht gelangen, dass er seine Partner und Verbündeten brüskiert und dass das nicht von Vorteil für ihn ist. 

Sie glauben aber nicht, dass das geschieht, oder?
Zu erwarten ist das nicht. Letztlich sollten wir uns bei unserer Bewertung des Gipfels aber auch nicht zu sehr auf das Kommuniqué konzentrieren. Im Zweifel ist das ohnehin immer nur der kleinste gemeinsame Nenner.

Ist das G7-Format noch zeitgemäß, um multilaterale Politik effizient zu gestalten?
Ich will das G7-Format nicht abschreiben, denke aber, es ist in seiner jetzigen Form und der aktuellen Situation nicht zeitgemäß. Es gehört irgendwie zu einer vergangenen Zeit der Großmachtpolitik, in der es wichtig war, welcher Staat sich gegen welchen durchsetzt. Im 21. Jahrhundert sind die Herausforderungen vernetzter wie die Digitalisierung zeigt und Staaten sollten dort multilateral handeln, wo sich etwas bewegen lässt. Dann geht eben auch eine Politik der G6.

Zur Person

Für den aktuellen Gipfel werden die Ausgaben auf 400 Millionen Euro geschätzt. Was erhalten wir dafür?
Politikverdrossenheit. Wenn die führenden Staatslenker der demokratischen Welt zusammenkommen und sich nicht einigen, sendet das negative Zeichen an die eigenen Wähler, genauso wie an den Rest der Welt. Im Zweifelsfall legt das nur die Schwächen der liberalen Ordnung offen.

Nun soll es in diesem Gipfel um wichtige Themen gehen, unter anderem um mehr Bildung für Mädchen und Frauen, Gleichberechtigung oder saubere Energien. Themen, die ein Land alleine kaum angehen kann. Braucht es dafür nicht Formate wie G7?
Wir müssten die Art und Weise, wie die G7 Politik macht, völlig anders aufziehen. Die einzelnen Mitglieder müssten sich darauf verpflichten, innenpolitisch in gewissen Bereichen voranzugehen, etwa in puncto Gleichberechtigung oder Digitalisierung. Auf diesen Gipfeln sollten die einzelnen Länder einander vorstellen, welche Maßnahmen sie probiert haben und ihre Fortschritte darstellen, damit die anderen Mitgliedsländer von ihnen lernen können, quasi ein Austausch von Best-Practice-Beispielen. Multilateraler Fortschritt fängt immer im eigenen Land an, man geht mit gutem Beispiel voran.  

Theoretisch klingt das gut. Was bringt es, wenn man einen Partner wie die USA hat, die alles bisher erreichte vom Tisch wischen?
Ich glaube nicht, dass wir die Schuld für die Schwäche der G7 einzig und allein den USA zuweisen können. Auch die EU sind nicht gerade ein Vorreiter in puncto Freihandel, denken wir nur an die Handelsbeziehungen zu Afrika. Wir messen die verschiedenen G7-Partner mit unterschiedlichem Maß. Als die G7 in 1975 gegründet wurde, waren die Währungspolitik nach dem Zusammenbruch des Wechselkurssystems von Bretton Woods und die Reaktion auf die erste große Ölkrise die bestimmenden Themen. Es war der Gipfel, um in kleinem Kreis über Finanz- und Währungsfragen zu diskutieren. Die Agenda wurde bis heute auf viele außen- und sicherheitspolitische Themen ausgeweitet. Es wäre überlegenswert, die G7 auf große Herausforderungen unserer Zeit wie den Multilateralismus in Bezug auf Handel oder die Klimapolitik oder die Digitalisierung zu refokussieren. 

Das sind die Hauptakteure des G7-Treffens
Justin TrudeauDer liberale Premierminister Kanadas, der mit seinem strahlenden Aussehen als Darling der weltpolitischen Bühne und neuer „Kennedy Nordamerikas“ gilt, ist Gastgeber des G7-Gipfels. Es ist ein schwieriger Balanceakt: Einerseits die Nachbarschaft mit den USA pflegen, andererseits US-Präsident Donald Trump bei Themen wie dem Klimaschutz zähmen, um den Gipfel zum Erfolg zu führen. Quelle: AP
Angela MerkelMit bald 13 Jahren als Kanzlerin ist die 63-Jährige dienstälteste Regierungschefin im G7-Kreis. Lange galt Merkel als mächtigste Frau der Welt. Obwohl Wahlkampf und schwierige Regierungsbildung sie bis März fast ein Jahr lang außenpolitisch lähmten, ist ihre Krisenerfahrung international nach wie vor gefragt. Mit Trump liegt sie bei wichtigen Themen wie Freihandel oder Iran über Kreuz. Quelle: dpa
Donald TrumpAls unumstrittene Hauptfigur wird der US-Präsident den Gipfel wieder spannend machen. Die G7: Was ist dieses Format des alten Westens noch wert? Wie wenig Trump von der Weltordnung alter Prägung hält, macht er mit seinen Strafzöllen deutlich. Kurz vor seinem 72. Geburtstag steht Trump bei seinen Anhängern bombig da. So wird er sein bolleriges Auftreten à la „Amerika zuerst“ kaum ändern. Quelle: dpa
Emmanuel MacronFrankreichs Staatspräsident scheut das offene Wort nicht und will auf dem Gipfel „freimütig“ mit Trump über die Differenzen im Handel, im Klimaschutz und über den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran sprechen. Wie Merkel ist der 40-jährige Politjungstar und Senkrechtstarter, der vor einem Jahr als Außenseiter die Wahl in Frankreich gewann, ein überzeugter Europäer. Quelle: AP
Theresa MayDie britische Premierministerin Theresa May sitzt auf wackeligem Posten. Noch immer ist es ihr nicht gelungen, das zerstrittene Kabinett auf eine Linie beim Austritt aus der EU einzuschwören. Mit einer Neuwahl vor einem Jahr wollte sie sich mehr Unterstützung für ihren Brexit-Kurs verschaffen. Doch May verzockte sich: Sie führt nun eine Minderheitsregierung an und ist für Revolten anfällig. Quelle: REUTERS
Giuseppe ConteFür Italiens neuen Regierungschef ist der G7-Gipfel ein Sprung ins eiskalte Wasser. Gerade mal wenige Tage im Amt und schon muss der Politik-Neuling beweisen, dass er Italiens Interessen auf der Weltbühne zu vertreten weiß. Der 53-jährige Jurist führt die Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega an. Italien dürfte auf mehr Unterstützung in der Migrationskrise pochen. Quelle: dpa
Shinzo AbeNeben Merkel ist Abe der am längsten amtierende Regierungschef in der G7-Gruppe. Wegen Skandalen um Günstlingswirtschaft steht er gerade unter Druck. Seine „Abenomics“ genannte Wirtschaftsagenda hat nicht alle Erwartungen erfüllt. Zwar erlebte Japan die seit Jahren längste Wachstumsphase, doch hat der Aufschwung vorläufig ein Ende gefunden. Zu Trump pflegt der Rechtskonservative ein gutes Verhältnis. Quelle: REUTERS

Nun tun die USA aber wirklich alles, um den Fokus von solchen Fragen wegzulenken. Larry Kudlow, Trumps wichtigster Wirtschaftsberater, sagte vor dem Treffen, Trumps Zollpolitik sorge für den größten Reformprozess im Welthandel, das Welthandelssystem sei kaputt, die USA würden es reparieren.
Die USA stellen das multilaterale Welthandelssystem massiv in Frage, das hat weitreichende Konsequenzen für die Liberalisierung. Das Welthandelssystem ist in der Tat hochgradig reformbedürftig. Allerdings bezweifle ich, dass wir ein System reformieren können, indem wir es erst einmal zertrümmern. Reformen wären besser innerhalb des Rechtsrahmens durchsetzen und nicht mit Brachialgewalt.

Der kanadische Präsident, Justin Trudeau, und sein französischer Kollege, Emmanuel Macron, treffen gemeinsam den US-Präsidenten im Vorfeld des Gipfels. Sind solche bi- beziehungsweise trilateralen Treffen ein Problem?
Ganz im Gegenteil. Wir sollten jeden Versuch nutzen, um Trump umzustimmen. Zumal Deutschland und Frankreich ja in einem sehr engen Austausch stehen. Wenn Trudeau und Macron einen besseren Zugang zu Trump haben, sollte dieser Weg gewählt werden. Aber ich, wie gesagt, bin nicht allzu optimistisch, dass Trump seine auf die Innenpolitik gerichtete Staatsführung von außen korrigieren lässt.

Macht der Vorschlag des SPD-Politikers Matthias Platzeck Sinn, Russland zurück an den Tisch zu holen? Könnte das Trump etwas einhegen?
Es bahnt sich bereits ein Treffen zwischen dem US-Präsidenten und Wladimir Putin an. Alles, was zu einer besseren Sicherheitslage führt, ist begrüßenswert. Das muss nicht immer zwischen der NATO und Russland laufen. Aber mit dieser Konstellation verbinde ich eine ganz andere Sorge, nämlich, dass die EU zwischen den USA und Russland unter die Räder gerät.

Inwiefern?
Beide Länder haben letztlich ein großes Interesse daran, die EU weiter zu spalten, da dürfen wir nicht naiv sein. Es geht darum, die Wirtschaftskraft und den Binnenmarkt der EU – und damit ihren Einfluss – zu schwächen. Russland finanziert nicht nur konservative und rechte Parteien, die die europäische Integration in Frage stellen. Die USA gehen Energiegeschäfte mit osteuropäischen Staaten ein, dafür erhalten die Staaten Sicherheitsgarantien der USA. Das ist keine kohärente EU-Politik. Das Gleiche gilt für die enge Kooperation Deutschlands mit Nordstream und Russland. All diese bilateralen Projekte schwächen die EU als maßgeblichen Akteur aus dem Innern der EU heraus.

Und wie ist dem zu begegnen?
Die EU wird nicht im Rahmen von G7 oder G8 gestärkt. Die EU muss sich selbst stärken, um eine wichtigere Stellung innerhalb der G7 einzunehmen. Deswegen plädiere ich sehr dafür, nicht nur im Rahmen der Vereinten Nationen einen EU-Sicherheitsrat zu schaffen, sondern wirklich dazu überzugehen, qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik umzusetzen.

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