Gaslieferungen Russland muss trotz Nord Stream 2 Gas durch die Ukraine schleusen

Eigentlich wollte Russland mit der Ostseepipeline die Ukraine als Transitland für Gas umgehen. Doch daraus wird nichts.

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Moskau Seit Jahren streiten sich Kiew und Moskau um das Gas. Die derzeitigen Liefer- und Transitverträge wurden 2009 geschlossen; nach dem bisher schärfsten Konflikt der beiden Nachbarn um den Brennstoff, in dessen Verlauf Russland der Ukraine den Gashahn abdrehte, diese wiederum sich tagelang am Transitgas für Europa bediente.

Erfüllt wird allerdings auch dieser Vertrag von beiden Seiten nicht, weshalb das Schiedsgericht in Stockholm unlängst erst den ukrainischen Energieversorger Naftogas zu zwei Milliarden Dollar Schadensersatz und später Gazprom gar zu 4,6 Milliarden Dollar Kompensation an die jeweilige Gegenseite verurteilte.

Da der russische Gasriese damit netto 2,6 Milliarden Dollar an Naftogas zahlen muss, reagierte Konzernchef Alexej Miller verschnupft: Das Urteil sei ungerecht, offenbar sollten die Probleme der ukrainischen Wirtschaft auf russische Kosten gelöst werden, klagte er.

Gazprom strich als Reaktion nicht nur die geplante und schon per Vorkasse bezahlte Wiederaufnahme der Gaslieferungen an die Ukraine, sondern leitete auch die Vertragskündigung in die Wege. Ein solcher Vertrag ergebe für Gazprom keinen Sinn, begründete Moskau den Schritt.

Die Kündigung hat eher symbolische Bedeutung. Die juristischen Formalitäten werden noch eine ganze Weile in Anspruch nehmen und der Vertrag läuft ohnehin Ende 2019 aus. Gazprom wollte aber damit auch noch einmal verdeutlichen, dass eine Verlängerung des Gastransits nach Europa durch die Ukraine für die Russen nicht in Frage kommt.

Umso ärgerlicher für Moskau, dass die geplante Umgehungsstrecke über die Ostsee, auch als Nord Stream 2 bekannt, nicht funktioniert – vorerst.

Zwar wird das acht Milliarden Euro teure Projekt Nord Stream 2 wird zwar Ende 2019 fertig, vorausgesetzt die Genehmigungsverfahren ziehen sich nicht noch weiter in die Länge. Doch die 55 Milliarden Kubikmeter Gas, die die Pipeline befördern kann, stecken dann erst einmal im Stau: Denn die Röhre, die das Gas im vorpommerschen Greifswald abnehmen soll, wird voraussichtlich erst 2020 fertig.

Die Pipeline Eugal soll von der Ostseeküste bis an die tschechische Grenze führen und vor allem die Weiterverteilung des Gases Richtung Südeuropa gewährleisten. Die 480 Kilometer lange Strecke kostet laut dem Betreiberkonsortium einen „kleinen einstelligen Milliardenbetrag“.

Gaslieferungen nach Europa sind lukrativer als die Lieferungen Richtung China

Federführend beim Bau ist der Gasnetzbetreiber Gascade, ein Joint Venture zwischen Gazprom und des deutschen Erdgasunternehmens Wintershall. Die übrigen 49,5 Prozent des Projekts wurden im Herbst an die Deutschland-Töchter der Energieversorger Fluxys und Gasunie sowie die VNG-Tochter Ontrans veräußert. Die Kapazität von Eugal liegt bei 50 Milliarden Kubikmeter – aber eben erst Ende 2020.

Ähnliche Verzögerungen gab es beim Bau der Leitung Opal, die auch erst ein Jahr nach dem Bau der ersten Ostseepipeline vollständig in Betrieb ging. Für Nord Stream 2 bedeutet das, dass zunächst maximal 34 Milliarden Kubikmeter durch die Pipeline fließen können. Das reicht bei weitem nicht, um den ukrainischen Transit zu ersetzen: 2017 sind dort immerhin 93 Milliarden Kubikmeter Gas durchgeschleust worden.

Auch der potenzielle Ausbau von Turkstream kann die Lücke nicht schließen. Angedacht ist, dass die derzeit nur in die Türkei geplante Pipeline durch das Schwarze Meer später verbreitert wird und eine Verlängerung Richtung Südeuropa bekommt. Diese zwei Stränge hätten dann noch einmal eine Kapazität von 33 Milliarden Kubikmeter.

Doch die Verwirklichung von Turkstream Richtung Europa steht ohnehin in den Sternen: In keinem der betroffenen Balkanstaaten sind die Genehmigungsverfahren für die Pipeline durch. Auch die Finanzierung ist nicht geklärt.

Gazprom, die sich mit Southstream vor Jahren schon die Finger verbrannt hat, will sich nicht selbst beim Bau der Verlängerung engagieren und fordert von den Europäern die Pipeline zu bauen. Viel Vertrauen hat Gazprom in das Projekt nicht mehr, denn der Konzern baut nun an der russischen Schwarzmeerküste Röhren wieder ab, die einst verlegt wurden, um den Gaskorridor Richtung Südeuropa zu gewährleisten.

Insgesamt 506 Kilometer Gasleitung und eine Gasmessstation werden auf dem Stück Potschinki – Anapa demontiert und konserviert. Die Verluste für den Konzern belaufen sich dadurch auf gut 650 Millionen Euro.

Will Russland weiter den europäischen Markt beliefern, bleibt dem Land nichts anderes übrig, als sich mit der Ukraine zu einigen. Darauf verzichten will Gazprom trotz allen Geredes über eine Wende gen Osten nicht. Gaslieferungen nach Europa sind für Russland deutlich lukrativer als die Lieferungen Richtung China, zumal auch der europäische Markt nach einer längeren Talfahrt wieder wächst.

„Möglicherweise müssen wir selbst nach der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 und Turkstream einen bestimmten Transitumfang beibehalten“, meinte der russische Energieexperte Konstantin Simonow.

Seinen Angaben nach wird allerdings der Umfang der Transitmenge durch die Ukraine nach 2020 deutlich sinken. Sind derzeit noch 110 Milliarden Kubikmeter pro Jahr festgelegt, so werden es seiner Einschätzung nach der Realisierung aller Projekte rund 15 Milliarden Kubikmeter sein.

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