Gastbeitrag China ist wieder die Werkbank der Welt – und das ist nicht in Pekings Sinne

Die Coronapandemie hat den weltweiten Bedarf an Waren made in China steigen lassen. Das kurbelt die chinesischen Exporte an. Statt wie von der Führung gewünscht zu sinken, wächst der Leistungsbilanzüberschuss des Landes - und mit ihm die Abhängigkeit Chinas von der Nachfrage des Auslands.  Quelle: dpa

Die Coronapandemie hat den Fünfjahresplan der chinesischen Führung durcheinander gewirbelt. Das hat weitreichende Folgen für die Weltwirtschaft. Ein Gastbeitrag.

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Im vergangenen Herbst brachte die Kommunistische Partei (KP) Chinas den 14. Fünfjahresplan für die Volksrepublik auf den Weg. Er soll dem Land den wirtschaftspolitischen Weg für die Zeit bis 2025 weisen. Peking sieht in dem Plan eines der wichtigsten Dokumente der Welt in Bezug auf Nachhaltigkeit, Umweltschutz und im Kampf gegen den Klimawandel. Die meisten westlichen Regierungen teilen dieses Urteil angesichts des enormen Ressourcenverbrauchs, der mit dem ökonomischen Aufstieg Chinas einhergeht. Gleichwohl stehen für den Westen andere Aspekte des Plans im Vordergrund. Drei Schwerpunkte lassen sich identifizieren. 

Erstens: Welchen Beitrag wird China in den nächsten Jahren zur Überwindung der von der Corona-Pandemie verursachten Weltwirtschaftskrise leisten? Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, wie China auf die zunehmende Skepsis beziehungsweise offene Ablehnung der westlichen Handelspartner gegenüber seinem staatskapitalistischen System reagiert. Die USA unter der neuen Regierung von Joe Biden dürften versuchen, mit Europa eine Allianz gegen Chinas wirtschaftlichen, politischen und technologischen Führungsanspruch zu schmieden. 

Zweitens: Wie wird China wirtschaftspolitisch auf das Auslaufen seines alten Erfolgsmodells des investitionsgetriebenen Wachstums reagieren? Der wachsende Sachkapitaleinsatz in den ländlichen Regionen geht mittlerweile mit sinkenden Produktivitätszuwächsen einher. 

Drittens: Welche Konsequenzen hat Chinas Fünfjahresplan für die deutsche Wirtschaft, deren Abhängigkeit von der chinesischen Nachfrage schon vor der Pandemie offensichtlich war. Jetzt, da sich die Schere zwischen langsamer Erholung im Westen und schneller Erholung im China weiter öffnet, wird diese Abhängigkeit augenfälliger denn je.

Die Pandemie hat den von Peking geplanten Wandel des Geschäftsmodells Chinas von der Weltmarktorientierung zu einem stärker binnenwirtschaftlich getragenen Wachstum vorerst gestoppt. China fuhr als erstes Land seine Güterproduktion wieder hoch, sprang in zerrissene Lieferketten ein, konnte die Weltnachfrage nach neuen Gütern (wie medizinischen Produkten) in der Pandemie befriedigen und verzeichnet nun auch wieder einen eigenen Nachfrageanstieg. 

Das hat den Leistungsbilanzüberschuss, der vor der Krise rückläufig war, steigen lassen. Der Umschwung hin zu einem Land mit einem Leistungsbilanzdefizit, also zu einem Nettokapitalimporteur, der eigentlich für 2022 erwartet worden war, dürfte nicht mehr vor dem Ende des Fünfjahresplans erreicht werden. China ist - zumindest vorübergehend - wieder zur industriellen Werkbank der Welt geworden. Das erhöht die Abhängigkeit des Landes von der Nachfrage des Westens, was nicht im Sinne der Pekinger Führung ist. 

Strategie der zwei Kreisläufe 

Daher strebt die KP eine Politik der zwei Kreisläufe an. Dahinter steckt der Versuch, die Integration des Landes in den Weltmarkt mit der Entwicklung einer krisenresilienten heimischen Nachfrage zu verknüpfen. Beteiligungen an globalen Lieferketten werden in diesem Zusammenhang auf ihre Belastbarkeit durch politische und wirtschaftliche Schocks geprüft. Das Ziel: die eigenen Bezugsquellen und Absatzkanäle möglichst breit diversifizieren. Aus Sicht der Pekinger Führung ist dies umso dringlicher als die US-Regierung unter Joe Biden ebenso wie ihre Vorgängerin dem wirtschaftlichen und technologischen Aufstieg Chinas kritisch gegenübersteht. 

So hält Biden an dem Abkommen der Trump-Regierung mit China über eine Verdopplung der chinesischen Importe aus den USA im Zeitraum 2021/22 gegenüber 2017 fest. Dabei fordern die USA von der EU, ihre kritische Haltung aktiv zu unterstützen. Die EU weist diese Aufforderung nicht zurück. Gleichwohl hat sie durch den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen mit China über ein Investitionsabkommen (ohne Konsultation der alten US-Regierung) Signale der Kooperation in Richtung Peking gesendet.

China wappnet sich in dieser Lage auf zweierlei Weise. Zum einen überprüft die Regierung chinesische Investitionen im Ausland und Lieferanten im Inland stärker als bisher darauf, ob diese mit dem Ziel der ökonomischen Unabhängigkeit von Lieferketten vereinbar sind. Zum anderen versucht Peking, ausländische Investoren mit Hochtechnologiekompetenz anzuziehen. Die Öffnung bislang geschlossener Sektoren im Bereich der Dienstleistungen und die weitere Liberalisierung des Zugangs zu Industriesektoren dienen diesem Ziel. Künftig dürfte die Regierung Investitionen in China den Direktexporten nach China noch stärker vorziehen. 

Wachsende Ungleichheit 

Chinas wirtschaftspolitische Strategie des investitionsgetriebenen Wachstums hat in den vergangenen Jahren die Urbanisierung beschleunigt und periphere Regionen infrastrukturell besser an die wirtschaftlichen Zentren angebunden.  Die anfänglichen Produktivitätsgewinne dieser Strategie schwinden jetzt jedoch. Nicht jede räumliche Anbindung rechnet sich. Weitere Infrastrukturinvestitionen werden auch angesichts der steigenden öffentlichen Verschuldung teuer. Die Regierung strebt daher für die Zukunft mehr Produkt-, Prozess- und Standortinnovationen an, die einen geringeren physischen Kapitaleinsatz erfordern. 

Im Mittelpunkt stehen dabei zehn Industriezweige, die gemäß der Made-in-China-2025-Strategie bis zum Ende des Fünfjahresplans an die Weltspitze gebracht werden sollen.  Die urbanen Zentren, in denen diese Industriezweige beheimatet sind, sollen die Träger der Innovationen sein. Das dürfte mit steigender Einkommensungleichheit zwischen ländlichen und städtischen Räumen einhergehen. Umso wichtiger werden daher Maßnahmen zur sozialen Abfederung sein - sowohl durch die konsequente Armutsbekämpfung als auch durch technologische Innovationen in der Agrarproduktion. 

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Was bedeutet all dies für die deutsche Wirtschaft? Wollen deutsche Unternehmen von Chinas Fünfjahresplan profitieren, sollten sie Investitionen in Chinas neu geöffneten Sektoren, vor allem bei Dienstleistungen, größere Aufmerksamkeit schenken als den Direktexporten.

Ob sie dabei auf den Schutz des Investitionsabkommens zwischen der EU und China gegen erzwungenen Technologietransfer und gegen die Verletzung geistiger Eigentumsrechte setzen können, bleibt ungewiss. Denn die erforderliche Ratifizierung des Abkommens durch alle EU-Mitgliedstaaten ist angesichts der Zweifel am Schutz von Arbeitnehmerrechten in China alles andere als sicher. Daher bleibt die eigene Vorsicht für Investoren das oberste Gebot. 

Mehr zum Thema: Joe Bidens Chinakurs: Konfrontation oder Zurückhaltung?

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