Gastkommentar Spanische Schicksalswahlen im Schatten des Brexit

Drei Tage nach dem Brexit-Referendum wählen die Spanier ein neues Parlament. Das Wahlergebnis könnte für Europa und die Währungsunion ebenso wichtig sein wie das britische Votum sein. Ein Gastkommentar.

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Am 26. Juni finden Parlamentswahlen in Spanien statt. Quelle: dapd

München Europa blickt gebannt nach London. Fast täglich erreichen uns neue Umfragewerte zum Brexit-Referendum am 23. Juni. Je nach Befragung liegt mal das Brexit-Lager vorn, dann wieder führen knap die Befürworter einer EU-Mitgliedschaft. Verließe Großbritannien die Europäische Union, wäre dies eine Zäsur. Zeitgleich mit fast jeder Umfrage wird eine neue Studie veröffentlicht, die auf die enormen ökonomischen und politischen Folgen eines Austritts für Europa und das Königreich verweist.

Im Schatten des Brexit-Referendums finden drei Tage später Parlamentswahlen in Spanien statt, weil nach der Wahl im Dezember eine Regierungsbildung gescheitert war. Die europäische Öffentlichkeit schenkt dem deutlich weniger Aufmerksamkeit als dem Brexit-Referendum. Vielleicht auch, da die Kandidaten weniger schillernd sind als beim britischen Duell zwischen Premierminister David Cameron und Boris Johnson, der charismatischen Leitfigur der Leave-Kampagne. Für Europa und die Zukunft der Währungsunion jedoch könnte der Ausgang der spanischen Parlamentswahlen ebenso wichtig sein.

Die europäische Staatsschuldenkrise hat ein scheinbar wiederkehrendes Muster hervorgebracht: Verzichtet ein Land auf Reformen, verharrt die Wirtschaft in der Krise. Mutet eine Regierung ihren Wählern aber schmerzhafte Einschnitte zu, droht sie daran zu zerbrechen oder abgewählt zu werden. Griechenland hat diese Erfahrung gemacht – und Ministerpräsident Alexis Tsipras kämpft gerade gegen eine Wiederholung.

Portugal schien auf gutem Weg, bis der Sozialist Antonio Costa ein Wahlbündnis mit neomarxistischen Gruppierungen einging, um an die Macht zu kommen und die Sparpolitik für beendet zu erklären. Sein Vorgänger hatte den zumindest in Teilen erfolgreichen Reformkurs mit einer krachenden Wahlniederlage bezahlt.

Spaniens Wirtschaft ist mittlerweile so dynamisch wie lange nicht mehr. Um mehr als drei Prozent wuchs sie im vergangenen Jahr. Und für 2016 wird mit 2,7 Prozent ein um einen Prozentpunkt höheres Wachstum erwartet als in den USA oder Deutschland.

Natürlich profitiert auch Spanien vom niedrigen Ölpreis, den niedrigen Zinsen und dem schwachen Euro. Die Arbeitslosigkeit ist mit knapp über 20 Prozent immer noch unerträglich hoch, jeder zweite Jugendliche findet keine Arbeit. Jedoch: Es geht voran. Die Regierung Rajoy hat das Haushaltsdefizit während ihrer Amtszeit halbiert, den Bankensektor saniert und begonnen, den Arbeitsmarkt zu reformieren. Die Arbeitslosenquote ist in den letzten drei Jahren immerhin um sechs Prozentpunkte gesunken. Spanien erwirtschaftet zudem wieder einen Außenhandelsüberschuss von fast 30 Milliarden Euro.


Politisches Chaos trotz Wirtschaftsaufschwungs

Doch der wirtschaftliche Aufschwung geht einher mit politischem Chaos. Seit den Parlamentswahlen Ende 2015 hat das Land kein neues Kabinett. Das Land befindet sich am Scheideweg: Entweder gelingt es der konservativen PP oder den Sozialdemokraten von der PSOE doch noch, von den Wählern ein Votum für die Fortsetzung des Reformkurses zu erhalten. Dann könnte sich Spanien zu einem Vorbild für die südeuropäischen Krisenländer entwickeln. Und der Politik in ganz Europa zeigen, dass schmerzhafte Reformen nicht gleichbedeutend mit Wahlniederlagen sind.
Wählen die Spanier am 26. Juni dagegen so, wie die Umfragen es prognostizieren, wird es wieder keinen eindeutigen Sieger geben - und die Unsicherheit wird bleiben. Auch der Griff der Linkspopulisten der Podemos nach der Macht scheint denkbar. Beides würde vom Rest Europas vielleicht eher achselzuckend zur Kenntnis genommen, sofern drei Tage zuvor die Briten ein Bekenntnis pro Europäischer Union abgeben. Dies aber zu Unrecht, denn Spanien ist noch lange nicht in sicherem Fahrwasser.

Die Staatsfinanzen müssen wegen der Verschuldung von knapp 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung weiter saniert werden. Nur aus Furcht vor einem Schub für anti-europäische Protestwähler hat die Europäische Kommission zuletzt trotz eines Haushaltsdefizits von über 5 Prozent darauf verzichtet, das laufende Defizitverfahren gegen Spanien zu verschärfen. Und das, obwohl Ministerpräsident Mariano Rajoy Wahlgeschenke in Form von Steuersenkungen versprochen hat.

Verschärft sich die Krise in Spanien wieder, sollte Madrid nicht auf allzu viel Unterstützung vom Rest Europas hoffen. In fast allen Ländern werden die Regierungen von nationalistischen Oppositionsparteien bedrängt, die nur darauf warten, ein ökonomisches Versagen des großen Spanien als Beleg für das endgültige Scheitern des europäischen Projekts zu verkaufen. Es bliebe wohl wieder nur die EZB als Retter in der höchsten Not. Von einem stabilen Europa wäre ein solcher Weg weit entfernt, selbst wenn uns das Szenario eines gleichzeitigen Brexit erspart bleiben sollte.

Michael Menhart ist Chefvolkswirt von Munich Re.

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