Gauck zu Besuch in Warschau Die Ehekrise mit Polen

Wie ein gutes, altes Ehepaar seien Deutsche und Polen, sagt Polens Präsident Duda. Auch bei ihnen hängt manchmal der Haussegen schief. Bundespräsident Gauck findet später klare Worte gegen Nationalismus.

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Joachim Gauck mit seinem Amtskollegen und Andrzej Duda in Warschau. Quelle: AP

Berlin/Warschau Andrzej Duda strafft sich in seinem eng geschnittenen Anzug. Jetzt kommt der heikle Part bei seinem Auftritt mit Europas mächtigster Frau. Das deutsch-polnische Verhältnis, sagt der stramm konservative Staatspräsident aus Warschau mit einem feinen Lächeln zu Angela Merkel, sei wie eine „gute, alte Ehe“. Da gebe es immer auch mal strittige Fragen. Duda macht eine Pause.

Wenn man zusammenbleiben will, gegenseitige Sympathie und Wohlwollen noch da sind, erklärt er, wird das schon werden: „Ich bin fest entschlossen, dass wir das gemeinsam lösen.“ Da neigt Merkel fast ein bisschen verlegen den Kopf nach rechts zu ihrem 44-jährigen Nachbarn, lächelt und spitzt den Mund.

Auch sie wählt zuvor wohlwollende Worte, spricht von einer Erfolgsgeschichte beider Länder nach den Grauen des Krieges. Das sei ein großes Glück, das „mich dankbar und angesichts der Geschichte demütig macht“. Dennoch ist bei der Pressekonferenz am Freitagmorgen im Kanzleramt nur wenig Herzlichkeit, keine Wärme zu spüren. Zu frostig ist das Klima zwischen Berlin und Warschau.

Bemerkenswert ist, dass Merkel, die sich sonst gern als Fußball-Kanzlerin inszeniert, kein Wort über das 0:0 zwischen Deutschland und Polen ein paar Stunden zuvor bei der EM in Paris verliert. Auch Duda erwähnt das Spiel nicht. Der Pole hat es sich in seiner Berliner Botschaft angeschaut.

Warum lud Bundespräsident Joachim Gauck Duda nicht ins Schloss Bellevue ein, um auf der Couch bei einem Bier zu gucken, wie Boateng mit seiner Grätsche ein Lewandowski-Tor verhindert? Begründung: Hohe Termindichte. Übersetzt heißt das, Gauck und Duda wollten nicht. Auch fliegen die Präsidenten am Freitag nicht zusammen, sondern im Abstand von 30 Minuten jeder in seiner eigenen Maschine nach Warschau, wo die Feiern zur deutsch-polnischen Silberhochzeit weitergehen. Das lässt tief blicken. Torlos. Unentschieden. Trostlos?

Wenn man den EM-Kick positiv ins Politische drehen möchte: Nur kein Sieger und kein Verlierer. Auf den Tag genau 25 Jahre nach der Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrags zwischen den einstigen Erzfeinden knirscht es zwischen Berlin und Warschau vernehmlich. Selbst wenn Merkel und Gauck immer wieder freundliche Worte finden.


Streitpunkt Flüchtlinge

Zwischen Merkel und der nationalkonservativen Regierung in Warschau gibt es tiefe Differenzen in der Flüchtlingspolitik. Merkels Idee von einer Lastenteilung bei der Aufnahme der Syrienflüchtlinge stößt dort wie in vielen anderen EU-Ländern auf taube Ohren. Und die Polen vermuten, dass das mächtige Deutschland hinter dem EU-Verfahren gegen die umstrittene Justizreform des Landes steckt. EU-Menschenrechtler beklagen eine „Erosion des Rechtsstaats“ in Polen.

Am Freitagabend, bei einer Konferenz zur Zukunft Europas im Schloss Belvedere, der damaligen Residenz des einstigen Arbeiterführers und Präsidenten Lech Walesa, lässt Bundespräsident Gauck keine Zweifel, was er von den nationalistischen Tendenzen in Europa hält: nichts.

Ohne die nationalkonservative Regierung von Ministerpräsidentin Beata Szydlo direkt zu erwähnen, weiß jeder, was er meint, als Gauck in seiner Rede gleich zweimal den im erzkatholischen Polen tief verehrten polnischen Papst Johannes Paul II. und dessen Vision von einem „Europa ohne selbstsüchtige Nationalismen“ zitiert. Und etwas später lässt Gauck den 2005 gestorbenen Papst mit wichtigen Zitaten noch einmal für sich sprechen, als es um die gesellschaftlichen Freiheiten, den Rechtsstaat und die Rechte von Minderheiten geht.

Das Treffen mit Szydlo in deren Amtssitz hatte Gauck zuvor noch für ein paar entspannende Worte genutzt. Mit einem Lächeln sagte er: „Die Fußballspieler haben uns geholfen, dass die Atmosphäre entspannt ist.“ Die als eher unterkühlt bekannte Polin entgegnete ebenfalls lächelnd: „Wir haben uns sehr gefreut darüber, dass es so ausgegangen ist mit diesem Remis gestern.“

Der deutsch-polnische Gesprächsfaden wird auch in den nächsten Wochen nicht abreißen: Anfang Juli sehen sich Merkel und Duda beim Nato-Gipfel in Warschau wieder. Bereits nächste Woche kommt die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo mit mehreren Ministern zu Regierungskonsultationen nach Berlin. Unvergessen ist Szydlos Gesichtsausdruck, als sie Ende Januar den deutschen Handballern bei ihrem EM-Sieg in Krakau die Goldmedaillen umhängen musste.

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