Gefahr für die Demokratie Wie der Frust abgehängter weißer Männer Populismus schürt

Industriearbeiter im Westen sind die Verlierer des vergangenen Jahrzehnts. Sollen sie nicht zu Populisten wie Donald Trump überlaufen, müssen wir ihnen Angebote machen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
USA: Industrielackierer in der Werkstatt. Quelle: Getty Images

Folgt auf den Brexit nun ein zweiter Sieg des Protest-Populismus, und Donald Trump wird US-Präsident? Das ist die Frage, die sich jetzt viele stellen.
Und sie ist nicht so ohne Weiteres zu verneinen. Denn wie schon Großbritanniens Populisten vor dem Brexit-Referendum, stößt auch Trumps so offensichtlich durch gute Argumente widerlegbare Polemik auf eine stimmmächtige Klientel: weiße Männer mittleren und gehobenen Alters, die darunter leiden, dass sie ihre Vorherrschaft verloren haben – an Amerikaner mit einer anderen Hautfarbe, Frauen und die aufsteigende Mittelklasse in China, Indien und anderen Schwellenländern.

Auch wenn der sprichwörtliche Kuchen über die Jahre extrem gewachsen ist, hat in den USA eine gewaltige Umverteilung stattgefunden. Während etwa 1960 noch 94 Prozent aller Ärzte und Anwälte weiße Männer waren, betrug dieser Anteil 2008 nur noch 62 Prozent.

Das ist zwar gut für Patientinnen und Klienten und auch für die amerikanische Wirtschaft, aber nicht unbedingt für weiße Männer. Trumps Rassismus und Sexismus spricht diese Männer an. Seine Kommentare liegen häufig unter der Gürtellinie, und er scheut sich weder vor sexistischen noch vor rassistischen Kommentaren.

Zur Person

Was ist dagegen zu tun? Gleichstellung der Geschlechter heißt zunehmend auch, sich um die Männer zu kümmern, die in den letzten Jahren den Kürzeren gezogen haben – bevor sie für Leute wie Donald Trump stimmen können. Auch Männer brauchen Vorbilder, und das beginnt bereits in unseren Schulen. Eine kürzlich erschienene OECD-Studie zeigt, dass sich der Leistungsunterschied zwischen Mädchen und Jungen in unseren Schulen weiter vergrößert.

Trump „jämmerlich unvorbereitet“ für Präsidentschaft
„Hillary Clinton will Amerikas Angela Merkel werden, und ihr wisst, was für eine Katastrophe diese massive Einwanderung für Deutschland und die Menschen Deutschlands ist“, sagte Trump Mitte August in einer außenpolitischen Rede in Youngstown (Ohio). „Die Kriminalität ist auf ein Niveau gestiegen, das niemand geglaubt hat, je zu sehen.“ Die USA hätten genug Probleme, ohne sich durch die ungezügelte Aufnahme syrischer Flüchtlinge weitere aufzubürden. Quelle: AP
„Jämmerlich unvorbereitet“, um die USA als Präsident führen zu können, ist Donald Trump nach Aussagen von US-Präsident Barack Obama. Auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus forderte Obama die Republikaner am Dienstag auf, Trump nicht mehr zu unterstützen. Dabei gehe es um mehr als unterschiedliche Ansichten politischer Natur, sagte Obama. Trotz des wachsenden Unmuts gegenüber Trump hat bisher kein Republikaner ihm seine Unterstützung entzogen. Obama sagte, republikanische Politiker hätten wiederholt feststellen müssen, dass Äußerungen Trumps inakzeptabel seien. „Warum unterstützen Sie ihn dann noch?“, fragte Obama. Quelle: dpa
„Belgien ist eine wunderschöne Stadt und ein herrlicher Ort - großartige Gebäude“, sagte Donald Trump in einer Rede und zeigte, wie es um seine geographischen Kenntnissen bestellt ist. „Ich war mal dort, vor vielen, vielen Jahren. Vor ein paar Monaten habe ich dann ein Statement abgegeben, nach dem Motto, Belgien ist ein elendes Loch. Dafür wurde ich dann schwer kritisiert, man hat gesagt, was für eine böse Sache - und dann hatten sie in Belgien dieses massive Problem.“ Quelle: dpa
US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump hat die Washington Post von künftigen Wahlkampfauftritten ausgeschlossen: Auf Facebook bezeichnete er das Blatt als "unehrlich und verlogen". Die Washington Post hatte erst kürzlich kritisch über den Milliardär berichtet. In den Augen von Trump sei die Berichterstattung "unglaublich fehlerhaft", deshalb habe er der Zeitung die Akkreditierung für seine Wahlkampfveranstaltungen entzogen.Der umstrittene republikanische Präsidentschaftsbewerber Trump ist ein Quereinsteiger und hat noch nie ein politisches Amt bekleidet. Im Wahlkampf macht er immer wieder mit skurrilen Aussprüchen auf sich aufmerksam. Quelle: AP
Donald Trump Quelle: REUTERS
Donald Trump Quelle: dpa
Trumps Knaller nach dem Sieg in den Vorwahlen von Nevada: „Wir haben bei den Evangelikalen gewonnen. Wir haben bei den Jungen gewonnen, wir haben bei den Alten gewonnen. Wir haben bei den gut Gebildeten gewonnen, wir haben bei den schlecht Gebildeten gewonnen. Ich liebe die schlecht Gebildeten.“ Quelle: REUTERS

In sprachlichen Fächern hinkt ein durchschnittlicher 15-jähriger Junge entsprechenden Mädchen ein ganzes Jahr hinterher, während die Mädchen in mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern weitgehend aufgeholt haben. Ein Grund dafür sind fehlende Vorbilder des gleichen Geschlechts. Nach wie vor sind aber 80 bis 90 Prozent unserer Grundschullehrenden weiblich, ähnlich sieht es in Pflegeberufen aus.

Neue Jobs im Gesundheitssektor

Gemäß den Prognosen des Bureau of Labor Statistics werden neue Jobs in den USA in den nächsten zehn Jahren vor allem aus dem Gesundheitsbereich kommen. Ein Wachstum um drei bis fünf Prozent wird vorhergesagt.
Die Verlierer hingegen stammen beinahe ausschließlich aus dem Industriesektor. Die dortigen Jobs aber werden nicht zurückkommen. Dennoch haben leider nur ganz wenige derer, die zum Beispiel in Detroit ihre Arbeit bei General Motors, Ford und Chrysler verloren haben, eine Umschulung ins Auge gefasst. Lieber sind sie abgewandert, häufig enttäuscht und ohne Perspektiven, vom Staat kaum unterstützt. Für sie heißt es nun, entweder Trumps Versprechungen zu glauben, die Amerika wieder „great“ machen sollen, oder umdenken und umstrukturieren. Mehr Männer in Pflege und Betreuung, in Spitälern, Altersheimen, Kindergärten und Schulen und mehr Männer in der Kinder- und Elternbetreuung.

Das versprechen die Präsidenten-Anwärter
Figuren von Trump und Clinton Quelle: dpa
Donald Trump Quelle: REUTERS
Hillary Clinton Quelle: AP
Donald Trump Quelle: AP
Clinton Quelle: AP
Figuren von Trump und Clinton Quelle: dpa
Hillary Clinton Quelle: REUTERS

In etwas mehr als 40 Prozent der US-Haushalte mit Kindern unter 18 Jahren ist die Mutter die hauptsächliche oder alleinige Einkommensquelle. Dieser Anteil hat sich in den letzten 50 Jahren vervierfacht. Unsere Idealbilder und Rollenvorstellungen haben sich aber mit dieser neuen Realität noch nicht abgefunden. Viele geben immer noch an, dass ein „richtiger“ Mann voll zu arbeiten habe und eine „gute“ Frau mehrheitlich zu Hause sein sollte.

Die Adjektive „richtig“ und „gut“ sind bewusst gewählt, da Männer gemäß unserer Stereotype vor allem ihre Kompetenz unter Beweis stellen müssen, während bei Frauen Normverletzungen zusätzlich auch noch als moralisch verwerflich beurteilt werden.

Umdenken fällt uns entsprechend schwer. Initiativen wie die in der Schweiz lancierte Kampagne zum „Teilzeitmann“ und zur „Teilzeitkarriere“ haben das Ziel, „Teilzeit und Jobsharing salonfähig zu machen“. Sie scheint einige Erfolge verbuchen zu können, auch wenn das Wort „Teilzeit“ unglücklich ist. Wer nur einen Teil der Leistung bringt, wird oft nicht für voll genommen. Das ist ganz ähnlich wie mit einem halb vollen Glas Wein. Wer 0,1 Liter Wein aus einem 0,2-Liter-Glas trinkt, ist weniger zufrieden als jemand, der denselben Wein aus einem 0,1-Liter-Glas genießt.

Entsprechend sollten wir Arbeit neu definieren. Niemand sollte 20 Kunden nur zu 50 Prozent betreuen. Vielmehr sollten zehn Kunden vollumfänglich beraten werden; ein Konzept, das für Mitarbeitende unabhängig von ihrem Geschlecht attraktiv ist und von der Silicon Valley Bank in Kalifornien erfolgreich praktiziert wird. In Sachen Brexit kommt das Umdenken zu spät. Für die US-Wahlen besteht noch Hoffnung.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%