




Nun wirft die Bundesregierung also den obersten Repräsentanten der US-Geheimdienste aus dem Land. Das ist eine dramatische Wendung: Aus einem nicht sehr relevanten Geheimdienstaffärchen wird eine ernstzunehmende diplomatische Verstimmung.
Droht eine handfeste Krise zwischen Deutschland und seinem wohl relevantesten Verbündeten USA? Natürlich nicht. Die USA können das Aufmucken des kleineren Partners sicherlich nachvollziehen, ziemlich egal ist es ihnen trotzdem. Denn die Grundhaltung in nationalen Sicherheitsbelangen ist in Washington, wie sie immer war: Wir machen, was wir für richtig und wichtig halten und was uns Verfassung und Politik erlauben. Ob das bei den Partnern auf Verständnis stößt – who cares?
Die Überwachungspraktiken der NSA
Die Überwachungspraktiken des US-Auslandsgeheimdiensts NSA stehen seit der Enthüllung durch den Informanten und IT-Experten Edward Snowden in der Kritik. Einige Beispiele, über die Medien berichtet haben.
Nach Snowdens Enthüllungen zapfen die USA die Rechner von Internet-Firmen an, um sich Zugang zu Videos, Fotos, E-Mails und Kontaktdaten zu verschaffen. Der Datenhunger betrifft auch die Kommunikation in Europa, darunter Deutschland und Frankreich. Die Möglichkeit dazu bietet unter anderem das Spionageprogramm „Prism“.
Der Geheimdienst NSA und sein britischer Gegenpart GCHQ sollen in der Lage sein, einen Teil der Verschlüsselung und der Datentunnel im Internet zu knacken. Das soll nicht nur Online-Banking und Internet-Shops betreffen, sondern auch Internet-Dienstleister wie Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, AOL, YouTube, Skype, AOL und Apple.
Telefon- und Videoverbindungen gelten ebenfalls als nicht sicher. So soll die NSA die Vereinten in New York abgehört und deren Videokonferenzanlage angezapft haben. Betroffen sei auch die EU-Vertretung bei der Uno.
Der Geheimdienst soll auch Millionen chinesischer Mobilfunknachrichten sowie wichtige Datenübertragungsleitungen der Tsinghua-Universität in Peking ausspioniert haben. In Frankreich sollen Wirtschaft, Politik und Verwaltung betroffen sein - allein Ende 2012 und Anfang 2013 rund 70,3 Millionen Datensätze von Telefonverbindungen. In Mexiko sollen Regierungsmitglieder bespitzelt worden sein.
Obama und Co. können in Ausnahmefällen auch ganz sensibel umgehen mit ihren Partnern, aber eben nur, wenn Amerika auf solch ein harmonisches Verhältnis angewiesen ist. Das trifft in diesem Fall wohl kaum zu. Auf die US-Wirtschaft wird die Affäre keine Auswirklungen haben. Auch sonst lauert für Obama keine politische Gefahr in der Tatsache, dass sich Deutschland wegen ein bisschen handelsüblichen Herumspionierens auf den Schlips getreten fühlt.
Im Gegenteil: Wenn in den USA der Eindruck entsteht, dass Obama einem Land etwas genauer auf die Finger zu schauen lässt, das den 9/11-Attentätern eine gemütliche Heimat bot und das beim Irak-Krieg den USA in den Rücken fiel, kann das dem Präsidenten sogar nutzen. Im Herbst stehen die Midterm-Wahlen an, bei denen das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel der Senatoren neu gewählt werden. Im längst tobenden Wahlkampf werden die Republikaner nicht müde, den Präsidenten als außenpolitischen Softie darzustellen.
Die USA also werden wissen, dass die deutsche Regierung nur ein bisschen poltert, weil die Bevölkerung das erwartet, und werden die Affäre entspannt abhaken, noch bevor ihr Obergeheimdienstler das Land verlassen hat.
Und die Deutschen? Bevölkerung und Medien werden sich noch ein bisschen empören, weil die Geschichte so schön zu den allgemeinen antiamerikanischen Vorurteilen passt – und dann die Sache vergessen.
Die Politik wird sich weiter so aufgebracht zeigen, wie das nach ihrer Ansicht von den Wählern erwartet wird, in Wahrheit aber natürlich wissen, dass Amerika nichts sonderlich Schändliches vorzuwerfen ist. Geheimdienste schnüffeln überall, das ist das Wesen und die Aufgabe von Geheimdiensten. Wer von vornherein Tabu-Zonen für die Schlapphüte absteckt, kann sich den teuren Geheimdienstapparat gleich ganz sparen, denn der kann schon per definitionem nicht wissen, was so läuft in der Welt. Also nehmen sämtliche Geheimdienste auch befreundete Staaten ins Visier. Das war immer so und das ist hinlänglich bekannt.
Was aber sagt Außenminister Frank-Walter Steinmeier dazu? Die deutsche und die amerikanische Regierung sprächen ständig miteinander, die Positionen der Länder seien bekannt und folglich sei ein Spionieren „nicht nur unanständig, sondern auch unnötig“. Das kann nicht sein Ernst sein! Fehlt nur noch, dass Steinmeier der Presse erklärt, dass er ständig mit Journalisten rede, dass seine Positionen demnach hinlänglich bekannt seien und es deshalb völlig unnötig sei, anderweitige Recherchen über ihn und seine Positionen anzustellen.
Geheimdienste haben, wie auch die Presse, ein legitimes Interesse, die Aussagen von Politikern zu hinterfragen und mit den Informationen aus anderen Quellen abzugleichen. Wir wissen auch dank Edward Snowden, dass die US-Dienste das tun und wir können nur hoffen, dass BND und Verfassungsschutz das gleiche mit US-Politikern machen. Dann wüsste man zum Beispiel rechtzeitig, wenn wieder mal ein Bush daherkommt und einen Krieg anhand frei erfundener Geschichten über Massenvernichtungswaffen vom Zaun brechen will.
Schön wäre das. Aber wahrscheinlich üben sich unsere braven Geheimdienstler lieber in unendlicher Loyalität gegenüber 150 mehr oder weniger mit Deutschland befreundeten Staaten der Erde. Das haben ihnen ja unsere Harmonie-Freunde aus der Politik aufgetragen, die auch sehr gern an ihren unverschlüsselten Handys, die jeder drittklassige Privatdetektiv abhören kann, über die vertraulichsten Dinge quatschen. Das, lieber Herr Schäuble, ist „so was von blöd, und über so viel Dummheit kann man auch nur weinen.“