Geld, Handel, Schulden Die globale Wirtschaft sortiert sich neu

Mehr internationaler Handel, weniger Staatsschulden, globale Geldschwemme und neue Quellen des Reichtums – die Wirtschaft ändert sich und stellt neue Spielregeln auf.

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Die Weltwirtschaft verändert sich: Führungsrollen wurden neu vergeben, Geld ist auf der gesamten Welt billig zu haben und Rohstoffnationen erlangen neue Bedeutung. Quelle: dpa

Wie gebannt blicken wir auf die Schuldenkrise in Europa. „Platzt der Euro?“, „Euro-Crash“, „Die Lebenslügen des Euro“ – allein die WirtschaftsWoche hat sich in diesem Jahr 16 Mal auf ihrem Titel mit dem Elend um die Gemeinschaftswährung auseinandergesetzt. Zweifellos wird auch im kommenden Jahr eine Reihe solcher Titel folgen. Doch so existenziell die Krise für Europa und Deutschland sein mag, sie drängt in den Hintergrund, dass die Weltwirtschaft viel größer als der in die Jahre gekommene Kontinent ist.

Verniedlichte Giganten

Als „Schwellen“länder verniedlichte Giganten haben längst Führungsrollen inne. Im Welthandel entsteht dadurch eine neue Art von Offenheit, bei der die Welthandelsorganisation WTO keine Rolle mehr spielt. Weltweit, nicht nur in Europa, erhält Entschuldung eine nie gekannte Priorität.

Zugleich ist Geld auf dem Erdball so billig wie nie, Notenbanken allerorten begreifen es als ihre Aufgabe, eine neuerliche Rezession abzuwenden. Das Wachstum rund um den Globus schafft neue Mittelschichten, deren unersättlicher Konsumwille Rohstoffnationen neue Bedeutung verleiht. Alle diese Veränderungen haben Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung der kommenden Jahre.

Zerreißprobe für die Währungsunion

Mario Monti ahnte wohl selbst nicht, welche hellseherische Fähigkeit er offenbaren würde. Im Mai 2009 hatte er davor gewarnt, die wachsende Ungleichheit werde zur Feuerprobe für die Marktwirtschaft. Damals war der heute 68-jährige Italiener noch EU-Kommissar für Wettbewerb. Inzwischen ist er Ministerpräsident und zugleich Finanz- und Wirtschaftsminister seines Landes und soll eben diese wachsende Ungleichheit, die sich nicht nur durch Italien, sondern ganz Europa zieht, aufhalten. Doch das wird ihm nicht gelingen.

Der Grund: Europa muss sparen. Das wird kurzfristig nicht nur zu einer Rezession führen, wie viele fürchten, sondern auch zu wachsender Ungleichheit, weil die Staatsausgaben zulasten der Ärmeren gekürzt werden müssen. Das ist zugleich Sprengstoff für die Währungsunion.

Wege aus dem Haushaltsloch

Grundsätzlich kann die Staatsverschuldung auf zwei Wegen abgebaut werden: durch einen Anstieg der Staatseinnahmen, also durch Steuererhöhungen, oder durch eine Kürzung der Ausgaben. „Kurzfristig sind Steuererhöhungen effektiver, weil sie schnell wirken. Doch um die Haushalte langfristig zu sanieren, müssen 2012 vor allem die Ausgaben gekürzt werden“, sagt Claudia Broyer von der Allianz.

Drückende Zinslast:

Anteil der Zinszahlungen an den Staatsausgaben (in Prozent) Quelle: Allianz SE

Auch die renommierten italienischen Wirtschaftswissenschaftler Alberto Alesina und Silvia Ardagna haben dies kürzlich in einem neuen Papier bekräftigt. Die Regierungen kommen also nicht umhin, ihre Ausgaben zu senken. Das geht besonders zulasten der Armen. Renten und Löhne für Staatsdiener müssen gesenkt, Leistungen aus dem Sozial- und Gesundheitswesen gekürzt werden.

Die Marktwirtschaft wird sich schwertun, diese Feuerprobe zu bestehen. Und damit auch die Währungsunion. Denn der Zusammenhalt bröckelt . „In diesem Jahr wird sich entscheiden, ob die Währungsunion in ihrer jetzigen Form weiter bestehen wird“, sagt Christoph Weil von der Commerzbank. Sollte alles gut gehen, dürfte die Euro-Zone um harmlose 0,4 Prozent schrumpfen. Gerät die Union jedoch ins Wanken, sind Einbrüche von zwei bis drei Prozent möglich. Und die wären dann vielleicht sogar das kleinste aller Probleme.

Die Ära des billigen Geldes

Fed-Chef Ben Bernanke Quelle: REUTERS

Das weiße Hemd hängt zerknittert aus der Anzugshose, die Pupillen sind geweitet, der Dunst des Alkohols vernebelt seine Sicht. Es ist Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank Fed, der ein ums andere Mal ein paar Dollar in die Jukebox wirft und stets den gleichen Hit wählt: „Money for nothing“ der britischen Rockband Dire Straits.

So überzeichnet und doch treffend schildert das US-amerikanische Satiremagazin „The Onion“, was der Fachausdruck „quantitative easing“ technokratisch verschleiert: In den USA wird mehr Geld gedruckt als je zuvor. Die Zinsen der Notenbanken sind niedriger denn je, ein Ende ist nicht abzusehen.

Die Nullzins-Politik

Im November 2008 begann der ehemalige Princeton-Professor und Nachfolger der Notenbanklegende Alan Greenspan, die US-Finanzmärkte mit billigem Geld zu fluten. Nullzinsen, unbegrenzte Geldleihe an Banken und zusätzliche Ankäufe auf den Märkten für Staatsanleihen.

Und die Fed ist nicht die einzige Notenbank, die auf diese Strategie setzt. Neben der Bank of Japan und der Bank of England schwenken immer mehr Notenbanken auf diesen Kurs um. Experten sind sich sicher: Die Welt erlebt in den nächsten Jahren eine Ära der globalen geldpolitischen Lockerung.

Bernankes erstes Kaufprogramm hatte ein Volumen von 1,7 Billionen Dollar. Im November 2010 folgte dann ein zweites Programm, das mit 600 Milliarden Dollar deutlich kleiner ausfiel. Doch Experten rechnen fest damit, dass es 2012 ein drittes Anleihekaufprogramm geben wird.

Billiges Geld: Entwicklung der Leitzinsen (in Prozent)

Entwicklung der Leitzinsen Quelle: Leitzinsen.info

Eifrige Käufer

Das hinterlässt Spuren in den Büchern der Notenbanken. Die Bilanz der Fed ist durch die bisherigen Ankäufe von 800 Milliarden Dollar auf 2,8 Billionen Dollar gewachsen. 56,3 Prozent davon sind laut Berechnungen von Diego Valiante, Ökonom am Centre for European Policy Studies in Brüssel, Staatsanleihen. Damit finanziert die Fed 11,3 Prozent der Schulden der USA.

Mervyn King, Chef der Bank of England, gab bisher 230 Milliarden Euro für den Kauf von Wertpapieren aus. Die Notenbank holte sich sowohl Staats- und Unternehmensanleihen als auch Geldmarktpapiere ins Portfolio. 17,7 Prozent des Vermögens der britischen Notenbank schuldet ihr der Staat.

Im Mai 2010 stieg unter dem damaligen französischen Notenbankpräsidenten Jean-Claude Trichet auch die Europäische Zentralbank (EZB) in den Ankauf von Staatsanleihen ein. Bisher haben die europäischen Währungshüter Papiere im Volumen von mehr als 200 Milliarden Euro gekauft, und es ist nicht abzusehen, dass es dabei bleibt. Doch im Vergleich mit ihren Londoner und New Yorker Kollegen schneiden die Frankfurter noch gut ab. Der Anteil der Staatsschulden am Vermögen der EZB beträgt nur 5,5 Prozent – noch.

Langanhaltende Flut

Doch nicht nur der Staat lebt auf Pump bei den Notenbanken. Auch die Finanzinstitute hängen am Zentralbank-Tropf. So hat James Felkerson von der Universität Missouri-Kansas City berechnet, dass die Fed insgesamt 29 Billionen Dollar in das US-amerikanische Bankensystem gepumpt hat. Damit können die Europäer noch nicht mithalten. Hier sind es etwa eine Billion Euro.

Gleichzeitig sind die Zinsen so niedrig wie nie. In den USA herrschen Nullzinsen, die EZB senkte auf ihren beiden vergangenen Sitzungen den Leitzins von 1,5 auf 1,0 Prozent. In 2012 sind Zinsen unter 1,0 Prozent wahrscheinlich. Bei den Briten sind es 0,5 Prozent – und das bei einer Inflation von 5,0 Prozent.

Die Geldflut der Notenbanken kann lange anhalten. Das zeigt die Bank of Japan. Seit den Achtzigerjahren flutet sie die Märkte. Doch egal, wie viel Geld sie druckt, das meiste davon bleibt im Bankensystem gefangen. In der Euro-Zone und in den USA werden die Banken das Geld, wenn sich die Lage bessert, an Unternehmen und Haushalte weitergeben – und dann droht Inflation.

Seidenstraße des Südens

Der Handel zwischen Russland und China erblüht Quelle: dpa

Die Chinesen sind da. Und das in Coca, Ecuador, wo die Menschen es gewohnt waren, unter sich zu sein. Schließlich verbindet das Nest im Regenwald, 150 Kilometer östlich der Hauptstadt Quito, nur eine Flugpiste mit der Außenwelt. Aber durch die Stadt fließt der Coca-Fluss, der ein paar Hundert Kilometer weiter östlich in den Amazonas mündet. Und auf diese wilde Kraft des Wassers haben es die Chinesen abgesehen.

Für rund zwei Milliarden Dollar baut der Konzern Sinohydro seit Sommer ein Wasserkraftwerk. Ecuador verspricht sich davon, seine Energieversorgung endlich auf selbstständige Beine zu stellen und so die lästige Abhängigkeit vom venezolanischen Öl zu verringern. Es ist ein bemerkenswertes Projekt für das kleine Land, aber auch für die Welt.

Welthandel im Süden

Denn was im Regenwald Ecuadors passiert, das findet gerade an 100 Orten der nicht industrialisierten Welt statt. Staaten beginnen sich zu vernetzen, die bisher um den gleichen Platz in der weltwirtschaftlichen Nahrungskette konkurrierten. Sie exportierten ihre Rohstoffe, westliche Konzerne investierten, um Produkte für ihre Heimatmärkte zu gewinnen. Wenn der Westen nicht mehr mochte, schauten sie in die Röhre. Doch das ändert sich: Die britische Großbank HSBC rechnet in einer Studie damit, dass sich der Handel unter den Staaten der nicht industrialisierten Welt bis 2050 verzehnfachen wird, und spricht vom Entstehen einer neuen „Seidenstraße“, die den Welthandel nach Süden verlagert.

Wie frequentiert die Handelsstraße ist, zeigt sich an den Finanzströmen Chinas. Im laufenden Jahr hat die Staatshydra mit ihren unzähligen Konzernarmen mehr als 69 Milliarden Dollar über die Welt verteilt, davon allein 45 Milliarden in Asien und 10 Milliarden in Südamerika. Für Brasilien ist China schon jetzt wichtigster Handelspartner. Brasiliens Exportanteil für Industriestaaten fiel innerhalb von zehn Jahren von 60 auf 40 Prozent.

Exportströme der größten Schwellenländer bis 2050:

Wie sich die Exporte der größten Schwellenländer bis 2050 verändern Quelle: IMF,HSBC

Große Chancen für die Kleinen

Was sich in Südamerika in Zahlen und Verträgen manifestiert, ist in Asien schon Realität. Am Indischen Ozean liefern sich Indien und China ein Wettrennen um die besten Plätze am Wasser. Indien bemüht sich um einen Hafen in Afghanistan, China baut an der Küste Pakistans, parallel werden die Schienenstränge gen Heimat verlegt. Ähnliche Projekte gibt es in Birma und Bangladesch.

Die sogenannte „Perlenkette“ von Häfen zeigt, wie der Expansionsdrang der Riesenländer Indien, China und Brasilien kleine Staaten mitzieht. Zwar zielen die Hafenprojekte in erster Linie darauf ab, China den Marktzugang zu erleichtern, doch gleichzeitig verbessern sich die Exportchancen der Beteiligten. Für Staaten wie das rohstofflose Bangladesch liegt darin eine enorme Chance.

Hinzu kommt: Die Konzerne aus Schwellenländern erfüllen die Wünsche der Verbraucher in vergleichbaren Ländern immer besser. Westlichen Konzernen gelingt es heute kaum noch, am Entstehen neuer Mittelschichten zu verdienen. So machte das Wirtschaftswachstum der Sechzigerjahre Mexiko noch zum VW-Käfer-Land, heute sind es meist einheimische Marken oder Konzerne aus anderen Schwellenländern, die an der einsetzenden Konsumfreude in Brasilien, China, Indien oder Indonesien verdienen.

An die Stelle der Abhängigkeit von den westlichen Märkten tritt so die Abhängigkeit der BRIC-Staaten untereinander. Die HSBC-Ökonomen erwarten, dass der US-Anteil an den chinesischen Exporten bis 2050 um sechs Prozent sinken wird. Währenddessen steigt die Bedeutung Indiens um zwölf Prozent. In Brasilien werden die US-Ausfuhren statt 28 nur noch 12 Prozent des Exports ausmachen.

Rohstoffbesitzer können profitieren

Angela Merkel zu Besuch beim mongolischen Staatschef Zachilganijin Elbegdordsch. Quelle: dapd

Es war ein ungewöhnliches Bild, das sich deutschen Fernsehzuschauern und mongolischen Nomaden im Oktober bot: Angela Merkel in der Jurte. Die einen musste die mit bunten Federn geschmückte Jagdausrüstung im Hintergrund verwirren, die anderen der Hosenanzug. Doch der Besuch der Bundeskanzlerin im Zelt des mongolischen Staatschefs Zachilganijin Elbegdordsch erstaunte vor allem, weil hier ein Land viel Aufmerksamkeit erhielt, das weniger Einwohner hat als Schleswig-Holstein und gut 6000 Kilometer von Berlin entfernt ist.

Doch es ging um Kohle, um mehr als 100 Millionen Tonne Kokskohle, um genau zu sein. Die will ein Konsortium deutscher und australischer Unternehmen aus dem Boden der Mongolei holen. Und das sind nicht die einzigen Schätze, die unter der mongolischen Steppe schlummern. Das Land gehört zu den zehn rohstoffreichsten Regionen der Erde, neben Kohle locken Kupfer, Gold, Uran und Seltene Erden.

Nettoimporteure und -exporteure von Rohstoffen:

Die größten Nettoimporteure und -exporteure von Rohstoffen Quelle: WTO

Wachsender Reichtum

Die Mongolei könnte es damit in den nächsten Jahren zu großem Reichtum bringen. Die Rechnung dahinter ist einfach: Schon jetzt ist China für rund die Hälfte der weltweiten Nachfrage nach Eisenerz, Kohle, Stahl und Zink verantwortlich. Hinzu kommt, dass der weltweite Boom erneuerbarer Energien und die neuen Abbaumethoden von Öl und Gas den Rohstofflieferanten in die Hände spielen: Für die dafür notwendigen Anlagen ist viel mehr Stahl, Aluminium oder Kupfer nötig als für die klassische Förderung von Öl und Gas per Bohrung.

Wenn außerdem Indiens Entwicklung einen ähnlichen Verlauf nimmt, dann wird die Nachfrage nach Rohstoffen in den kommenden Jahren noch stärker steigen, als sie es jetzt schon tut. In den vergangenen zehn Jahren hat es die meist brummende Weltwirtschaft geschafft, den zuvor ununterbrochenen Preisverfall eines ganzen Jahrhunderts wettzumachen.

Abhängigkeiten vermeiden

Folge der wachsenden Bedeutung von Rohstoffen ist auch, dass mehr Länder versuchen, sich selbstständigen Zugriff zu verschaffen. Um die Abhängigkeit von Staaten wie Venezuela, Russland oder China zu vermeiden, werden Reserven interessant, die bisher als zu wenig ergiebig galten. So boomt in den USA die Förderung von Schiefergas, 2013 soll zudem die Mine „Mountain Pass“ für Seltene Erden ihren Betrieb wieder aufnehmen.

In Afghanistan haben sich sowohl Indien als auch China den Zugriff auf große Eisenerz- und Kupfervorkommen gesichert. Im ostindischen Ganjam hat sich der Autobauer Toyota eine eigene Förderquelle für Seltene Erden erschlossen. Das Ergebnis sind sicherere Lieferungen – und höhere Kosten. So haben sich in den vergangenen zehn Jahren die Ausgaben für die Exploration von Rohstoffen vervierfacht.

Wie Rohstoffnationen aus ihrem Vorteil Kapital schlagen können, das machen derzeit zum Beispiel Kanada, Peru und Australien vor, wo nicht nur die Reserven enorm ausgebaut wurden, sondern auch die Bevölkerung über Steuern oder Beteiligungen davon profitiert.

Denn dass aus Rohstoffreichtum Wohlstand folgt, ist keineswegs garantiert: In den vergangenen 30 Jahren haben nahezu alle Staaten der Erde ihr Bruttoinlandsprodukt gesteigert. Drei Nationen jedoch verbuchten Verluste: Russland, Sambia und Zimbabwe, sie gehören zu den rohstoffreichsten Nationen der Erde.

Freier Warentausch ohne WTO

Beschlüsse zu einem Handelspakt wurden im November 2011 von Barack Obama und den Staatschefs von elf Pazifikstaaten in Honolulu getroffen. Quelle: Reuters

Der Ort hätte kaum bedeutungsvoller gewählt sein können. Amerikas Vorposten Richtung Asien, Manifestation des Herrschaftsanspruchs der USA im Pazifik und Geburtsort des US-Präsidenten: In Honolulu, Hawaii, haben sich Barack Obama und die Staatschefs von elf Pazifikstaaten im November am Rande des Gipfels der asiatischen Staaten (APEC) zu einem Handelspakt bekannt. „Trans-Pacific-Partnership“ heißt das Wunderwerk, die Beteiligten wollen alle Güter außer Arbeit liberalisieren. Mit Japan, Mexiko, Kanada, Australien, Malaysia sind viele große Handelsnationen der Region dabei – außer China.

Damit steht das Bündnis für eine neue Form der Handelsliberalisierung, die sich gerade Bahn bricht. Die Welthandelsorganisation (WTO) spielt kaum noch eine Rolle, es geht um Fressen oder Gefressenwerden in einer Welt ohne echte Weltmächte. Mittel der Wahl sind regionale Kooperationen und bilaterale Verträge, Freihandel zwischen Staat und Staat. 1995, als die WTO gegründet wurde, gab es weltweit weniger als 100 solcher Abkommen, heute sind es deutlich über 200. Damals flossen 18 Prozent des Welthandels zwischen den beteiligten Nationen, heute sind es 35.

Bilaterale Freihandelsverträge weltweit:

Anzahl der bilateralen Freihandelsverträge weltweit Quelle: WTO

Obamas Gegenschlag

Auf den ersten Blick spiegeln sich darin Konflikte zwischen Nationen und Regionalmächten: Die Staaten Südamerikas emanzipieren sich im Windschatten Brasiliens mit dem Bündnis „Unasur“ von den USA, die Vereinigten Staaten versuchen im Gegenzug, über bilaterale Abkommen einzelne Staaten aus dem Verbund zu lösen. Russland versucht, seine einstigen Satelliten an sich zu binden, im Herbst wurde mit der Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Kasachstan, Armenien, Kirgistan und Tadschikistan ein Freihandelsabkommen unterzeichnet.

Obamas Pazifik-Pakt ist vor allem als Gegenschlag zum mächtiger werdenden Netzwerk um die Organisation asiatischer Staaten (Asean) zu verstehen. Auch hier deutet Japan seit Kurzem Kooperationsinteresse an, schon im Sommer nächsten Jahres könnte ein Freihandelsabkommen von Asean, China und Japan zustande kommen.

Zweifellos hat der verschärfte Handelswettbewerb auch seine dunkle Seite. Gerade haben Brasilien und China neue Zölle erlassen, die es vor allem Unternehmen aus Europa und den USA schwerer machen.

Schon warnt Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds: „Der Freihandel steht am Scheideweg.“ In der Theorie sind zudem die Folgen bilateraler Abkommen für das Wohlergehen der gesamten Menschheit negativ. Die beteiligten Staaten erarbeiten sich zwar Wohlfahrtgewinne, doch diese werden von den Verlusten der Außenstehenden, die zugleich benachteiligt werden, übertroffen.

Regionale Integration

Doch die neue Offenheit des traditionell protektionistischen Japans nach Ost wie West verdeutlicht, dass der Trend zur regionalen Handelsliberalisierung jenseits der WTO keineswegs zwangsläufig zu Konflikten führen muss. Zwar scheint sich eine Art Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsmächten darum zu entspinnen, wer die meisten kleineren Staaten an sich binden kann. Zugleich entsteht ein dichtes Netz an regionaler Integration und transkontinentalen Verträgen, das zu einer dichteren Verzahnung führt als jede WTO-Runde im Korsett der Meistbegünstigtenklauseln.

So hat sich Australien bereits dem Prinzip der Einseitigkeit verschrieben: Anstatt darauf zu warten, bis einem selbst dieselben Vorteile eingeräumt werden wie allen Vertragspartnern, soll einseitig der Heimatmarkt geöffnet werden. Nur so könne eine neue Dynamik erzeugt werden.

Es profitieren kleine offene Volkswirtschaften, die sich mit möglichst vielen Nationen gut Freund stellen. In einem nächsten Schritt könnten über sie auch die großen Mächte in De-facto-Partnerschaften landen.

So hat der Exportstar Südkorea 2011 mit den USA und der EU Freihandelsabkommen ausgehandelt. Wenn alles glattläuft, kommt 2012 ein Vertrag mit China und Japan hinzu, der grenzüberschreitende Investitionen ermöglicht. Ähnlich Peru: 2010 wurde der Handel mit China freigegeben, in diesem Jahr folgten Costa Rica, Panama und Südkorea. Der wirtschaftliche Erfolg gibt beiden recht – und animiert andere, es ihnen gleichzutun.

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