Geldpolitik Der Euro wird zur Lira des 21. Jahrhunderts

EZB-Chefin Christine Lagarde hat einer raschen Zinserhöhung im Kampf gegen die Inflation eine Absage erteilt. Dagegen schickt sich US-Notenbankchef Jerome Powell an, die Zinsen rascher und kräftiger anzuheben als erwartet und die Bilanz der Notenbank abzuschmelzen.  Quelle: AP

Während die US-Notenbank Fed die Geldpolitik im Kampf gegen die Inflation schneller straffen will, zögert die EZB die nötige Zinserhöhung hinaus. Ihr Attentismus wird zu einer immer größeren Belastung für den Euro. Ein Kommentar.

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Amerika setzt die Trends, Europa kopiert sie mit Verzögerung, heißt es. In der Geldpolitik scheint die Verzögerung zwischen Trendsetter und Follower besonders ausgeprägt zu sein. Gestern veröffentlichte die US-Notenbank Fed das Protokoll ihrer Sitzung vom März, in dem sich die Währungshüter alarmiert zeigen wegen der hohen Inflation. Diese lag im März bei fast acht Prozent und könnte bald auf zweistellige Werte klettern. Auf ihrer Sitzung im März hatte die Notenbank den Leitzinssatz deshalb bereits um 25 Basispunkte auf nunmehr 0,25 bis 0,5 Prozent angehoben. 

Die Sitzungsprotokolle zeigen, dass die Fed angesichts des durch den Ukraine-Krieg weiter gewachsenen Inflationsdrucks für die nächsten Sitzungen eine beschleunigte Straffung der Geldpolitik ins Auge fasst. Immer mehr Notenbanker plädieren dafür, den Leitzins in Schritten von jeweils 50 statt 25 Basispunkten anzuheben. 

Darüber hinaus signalisieren die Sitzungsprotokolle, dass die Fed bei ihrem nächsten Treffen Anfang Mai das Abschmelzen ihrer Bilanzsumme ankündigen wird. Diese ist im Zuge der Corona-Pandemie durch den Ankauf von Wertpapieren auf fast neun Billionen Dollar angeschwollen. Die Reduktion der Bilanz soll binnen weniger Wochen auf 95 Milliarden Dollar pro Monat hochgefahren werden. Das wäre ein doppelt so hohes Tempo wie beim letzten Abschmelzen zwischen 2017 und 2019. 

Die monetäre Überversorgung rächt sich 

Von den 95 Milliarden Dollar sollen 60 Milliarden Dollar auf das Ausbuchen von Staatsanleihen, 35 Milliarden Dollar auf das Ausbuchen von hypothekenbasierten Wertpapieren aus der Bilanz der Fed entfallen. Das heißt, die Fed verzichtet darauf, die Rückflüsse durch die Tilgung fälliger Papiere in den Kauf neuer Wertpapiere zu stecken. Sollte dieses passive Vorgehen nicht reichen, um das monatliche Reduktionsziel von 95 Milliarden Dollar zu erreichen, erwägt die Fed laut Sitzungsprotokoll, noch nicht fällige Wertpapiere aktiv zu verkaufen, um den Geschäftsbanken Zentralbankgeld zu entziehen. 



Die Finanzmärkte müssen sich daher auf schnellere Leitzinsenerhöhungen und einen beschleunigten Bilanzabbau einstellen. Und das ist gut so. Denn die Inflation wird nicht von allein verschwinden. Die monetäre Überversorgung durch die Fed in den vergangenen Jahren erfordert nun ein kräftiges Gegensteuern, um die Inflation zurückzudrängen. 

Noch ist nicht klar, wie weit die Fed den Leitzins erhöhen muss, um den Preisauftrieb auf den Zielwert von zwei Prozent zu drücken. Klar ist jedoch, dass die Bremsmanöver zur Stabilisierung des Preisniveaus umso schärfer ausfallen müssen, je länger die Zentralbank die Inflation laufen lässt. Wartet sie zu lange, ist eine Stabilisierungsrezession nicht mehr zu vermeiden. Die Fed scheint das begriffen zu haben. 

Stabilitätspolitischer Dämmerschlaf

Ganz anders hingegen die Europäische Zentralbank (EZB). Auch auf dem alten Kontinent läuft die Inflation mehr und mehr aus dem Ruder. Im März sprang die Teuerungsrate auf 7,5 Prozent, den höchsten Wert seit Bestehen der Währungsunion. In einigen Euroländern ist sie bereits zweistellig. Doch was macht EZB? Statt zu handeln, zieht sie sich auf die Position zurück, sie müsse weiter abwarten, wie sich die Preise und die Konjunktur entwickeln, bevor sie über die Zinsen entscheidet. Das zeigt das heute veröffentlichte Protokoll der EZB-Ratssitzung vom März, auf der sich die Südländer und die übrigen von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane angeführten geldpolitischen Tauben mit ihrer zaudernden Haltung durchgesetzt haben.  

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass den Frankfurter Notenbankern der Ukraine-Krieg als Ausrede für ihr ostentatives Nichtstun geradezu zupasskommt. Sicherlich, der Krieg Russlands gegen die Ukraine dämpft die Aussichten für die Konjunktur. Doch das trifft auch für die USA und für Großbritannien zu. Während die Fed und die Bank von England trotz der sich eintrübenden Konjunkturaussichten erste Zinsschritte gegen die Inflation eingeleitet haben, legt die EZB die Hände in den Schoß so als ginge sie die grassierende Teuerung nichts an. Und das, obwohl sie per Gesetz verpflichtet ist, die Preise zu stabilisieren, nicht die Konjunktur. 

Setzt die EZB ihren stabilitätspolitischen Dämmerschlaf fort, um den hoch verschuldeten Südländern weiter niedrige Finanzierungskosten zu sichern, dürfte der Zinsabstand zwischen Amerika und Euroland deutlich zunehmen und den Wechselkurs des Euro auf Talfahrt schicken. Das verteuerte die Importe und beschleunigte die Inflation auf dem Kontinent. 

Das Vertrauen in die EZB erodiert

Die Ausrede der EZB, der Arbeitsmarkt in Europa laufe anders als in den USA noch nicht heiß, eine Lohn-Preis-Spirale sei daher nicht in Sicht, überzeugt nicht. Auch ohne kräftige Lohnsteigerungen (die in Europa nur noch eine Frage der Zeit sein dürften) werden die Preise weiter anziehen. Und zwar dann, wenn sich die Inflationserwartungen der Menschen aus ihrer Verankerung lösen und sie deshalb aus dem Papiergeld fliehen. 

Kaufen die Menschen Waren und Dienste, weil sie fürchten, dass schon morgen alles teurer sein wird, schnellen die Preise weiter in die Höhe. Erste Anzeichen dafür sind bereits vorhanden, wie die leergeräumten Regale bei den Discountern vor deren angekündigter Preiserhöhung jüngst zeigten. 

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Die flagrante Missachtung ihres gesetzlichen Auftrags durch die EZB ist nicht nur ein Ärgernis ersten Ranges für die um ihre Kaufkraft bangenden Bürger. Sie zerstört auch das Vertrauen in die Notenbank und den Euro, der unter der Ägide der von den Südländern dominierten EZB zur Lira des 21. Jahrhunderts zu werden droht.  

Lesen Sie auch: Fällt die Zinswende der EZB vorerst aus? 

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