Generalstreik in Griechenland Tsipras trifft der Zorn des Volkes

Der „Rentenschock“ erhitzt die Gemüter mehr und mehr, Hunderttausende protestierten nun in ganz Griechenland gegen die Pläne der Regierung. Dennoch will Ministerpräsident Tsipras die Steuerschraube weiter anziehen.

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Auch dieser Anwalt beteiligte sich an den Protestaktionen in Athen. Quelle: Reuters

Athen Massenaufstand in Griechenland: Allein in Athen sind an diesem Donnerstag nach Medienberichten mehr als 100.000 Menschen auf die Straße gegangen. Insgesamt sprachen die Medien von der größten Protestaktion seit Jahren. Fast alle Berufsgruppen beteiligten sich an dem Ausstand. Es sei einfacher zu sagen, „wer nicht streikt als wer streikt“, hieß es im griechischen Rundfunk.

Die Proteste richten sich gegen die von der Regierung Tsipras geplante Renten- und Steuerreform. Finanzminister Euklid Tsakalotos hatte seine Steuerpläne am Dienstagabend den Vertretern der Gelgeber-Institutionen, die sich seit Montag in Athen ein Bild über die Umsetzung der Spar- und Reformvorgaben des dritten Hilfspakets machen, präsentiert. Bezieher mittlerer und höherer Einkommen will Tsakalotos stärker zur Ader lassen – und zwar rückwirkend zum 1. Januar. Auf Immobilienbesitzer, die Mieteinnahmen erzielen, kommen höhere Steuertarife zu. Mieteinnahmen von bis zu 12.000 Euro im Jahr sollen künftig mit 15 statt elf Prozent belastet werden.

Für höhere Mieteinnahmen steigt der Satz von 33 auf 35 Prozent. Außerdem soll der Spitzensteuersatz für Einkommen über 60.000 Euro von 42 auf 50 Prozent steigen. Die tatsächliche Belastung wird aber deutlich höher sein, weil zusätzlich ein Solidarzuschlag von bis zu acht Prozent fällig wird.

Mit den Steuererhöhungen will Finanzminister Tsakalotos in diesem Jahr zusätzliche Einnahmen von 290 Millionen Euro erzielen. Das dürfte aber nicht reichen. Experten der EU-Kommission erwarten für dieses Jahr eine Finanzlücke von rund 900 Millionen Euro. Der Internationale Währungsfonds sieht sogar einen Fehlbetrag von 1,8 Milliarden. Die Geldgeber werden deshalb wohl weitere Einschnitte bei den Ausgaben fordern.

Um die zerrütteten Rentenfinanzen zu sanieren, will die Regierung die Beiträge zur Sozialversicherung erhöhen und künftige Renten um durchschnittlich 15 Prozent kürzen. Höhere Steuern und zusätzliche Sparmaßnahmen dürften den Unmut in der Bevölkerung weiter steigern. Ohnehin ist die Stimmung im Land auf dem Siedepunkt.

Um die Mittagzeit marschierten an diesem Donnerstag die Demonstranten durch das Zentrum Athens sowie andere große Städte wie Thessaloniki, Patras, Iraklion und Volos. In vielen Fällen demonstrierten Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Freischaffende Hand in Hand. Händler gingen zusammen mit ihren Angestellten auf die Straße. Zudem streikten Seeleute, Rechtsanwälte, die Angestellten der Müllabfuhr, Apotheker, Landwirte, Prokuristen und Ingenieure. Einige Inlandsflüge zu kleineren Inseln fielen aus.


Premier Tsipras kämpft an vielen Fronten

Erstmals beteiligten sich auch Berufsgruppen an den Protesten, die bisher nicht besonders streikfreudig waren, wie Gewerbetreibende, Händler, Taxifahrer und Tankstellenpächter. Anwälte und Notare streiken die ganze Woche. Griechische Bauern protestieren seit Tagen mit Blockaden wichtiger Verkehrsknotenpunkte und Grenzübergänge gegen die Reformpläne. Am griechisch-bulgarischen Grenzübergang bei Promachonas stauten sich am Mittwoch die Fernlaster beiderseits des Schlagbaums auf mehr als zwölf Kilometer. Noch können PKW die Grenze passieren, aber jetzt drohen die Bauern mit einer totalen Blockade der Übergänge.

Premier Tsipras kämpft an vielen Fronten. Die Renten- und Steuerreform sind Voraussetzungen für einen Abschluss der laufenden Prüfung durch die Inspekteure der Geldgeber. Davon wiederum hängen die Freigabe weiterer Hilfskredite und Gespräche über Schuldenerleichterungen ab. Doch in der Bevölkerung wächst die Frustration über den Sparkurs. Laut Meinungsumfragen sind 85 Prozent der Bevölkerung mit der Regierung Tsipras unzufrieden.

An diesem Donnerstag nimmt Tsipras in London an der internationalen Syrienkonferenz teil. Am Rande der Gespräche wolle er Kanzlerin Angela Merkel um eine nachgiebigere Haltung der Kreditgeber bitten, berichten griechische Medien. Tsipras dürfte aber in London in der Flüchtlingsfrage erneut unter Druck kommen. Die EU-Kommission stellt in einem Bericht schwerwiegende Mängel bei der Registrierung der Flüchtlinge und Migranten in Griechenland fest.

Nachdem EU-Politiker Athen deshalb mit einem Ausschluss aus dem Schengen-Verbund drohen, hat der Premier das Flüchtlings-Management jetzt der Armee übertragen. Sie soll dafür sorgen, dass die geplanten fünf Registrierungs-Hotspots auf den Inseln und die beiden großen Aufnahmelager bei Athen und Thessaloniki endlich fertig werden. Mit diesen Aufgaben ist die Regierung bereits Monate in Verzug. Jetzt soll alles ganz schnell gehen. Verteidigungsminister Panos Kammenos verspricht: Bis zum EU-Gipfel am 18. Februar werden die Hotspots und die Aufnahmelager auf dem Festland fertig sein.

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