Geo-Economics Die Welt im Jahr 2016: Jeder gegen jeden

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Verhandlungen mit ausgewählten Staaten

Saudis und US-Frackingfirmen überbieten sich im Wettlauf um das billigste Öl, in der Hoffnung, länger mit einer Waffe gegen den jeweiligen Marktgegner stehenzubleiben. Und „Big Data“ kann Gutes bewirken, aber zugleich als Druckmittel dienen, schon weil wenige US-Megakonzerne den Rest der Welt abgehängt zu haben scheinen.

Zugleich nähern sich Mächtige untereinander an, entfernen sich aber immer mehr vom Bürger, auch wegen wachsender Ungleichheit, wie selbst die Elitefibel „Financial ­Times“ schreibt: „Eliten werden zunehmend als korrupt gesehen. So wie die USA sich bei der Einkommensverteilung Lateinamerika angenähert haben, erleben wir Populisten im Stil Lateinamerikas.“ Globalisierung kann nicht mehr länger als Heilsversprechen gelten, das Wohlstand für alle schafft.

Was Deutsche und Amerikaner über TTIP denken

Eine Folge: Globalisierung à la carte. Statt in der Welthandelsorganisation WTO multilateral zu verhandeln, schließen vor allem die Amerikaner mit ausgewählten Staaten Handelsabkommen ab, meist gegen China (auch in Europa würden die Amerikaner dies mit TTIP gerne tun, doch dort ist das Misstrauen gegen US-dominierten Freihandel ausgeprägt, was obige These unterstreicht). Umgekehrt traut China bestehenden Institutionen nicht, also leistet es sich eine konkurrierende Investitionsbank und eine neue Seidenstraße.

Eigentlich müsste die Renaissance der „Geo-Economics“ der EU entgegenkommen, schließlich bleibt sie wirtschaftliche – und regulatorische – Supermacht. Und das Herz dieser EU schlägt deutsch.

Der Westen muss überzeugen

Aber der britische Publizist Hans Kundnani diagnostiziert zu Recht eine „Dialektik der Einkreisung“ in Europa. Die geopolitischen Dilemmata, mit denen der Kontinent seit Jahrhunderten zu kämpfen gehabt habe, seien in geo-ökonomischer Form wiedergekehrt. In der EU stünden Gläubigerstaaten den Schuldnernationen in bitterer Ablehnung gegenüber – zu der Berlins Drängen auf einen Sparkurs beigetragen habe. „Deutschlands Unfähigkeit, andere Länder zu überzeugen, auch nur ein paar Hundert Asylbewerber aufzunehmen, legt nahe, dass es dem Land an Legitimität fehlt“, schreibt Kundnani.

Die bräuchte es aber, gerade jetzt. Will der Westen sich gegen erstarkende autoritäre Bewegungen behaupten, gilt es, die Stärke der westlichen Marktwirtschaft zu feiern, etwa beim Sozialstaat, dem Umweltverständnis, der offenen und freien Gesellschaftsordnung. „Der Westen muss die Welt wieder von der Überlegenheit von Demokratie und Marktwirtschaft überzeugen“, fordert der Buchautor Thomas Seifert. Dafür müssten Demokratie und Marktwirtschaft aber glaubwürdig – und der Markt nicht wie eine Arena der Gier erscheinen.

Doch an Glaubwürdigkeit mangelt es, überall. In Frankreich regiert die Angst vor dem Front National. Polens Nationalisten machen Medien mundtot, und Großbritanniens Konservative kapseln sich von der Welt ab. Deutschland wirkt überwältigt von der Flüchtlingskrise – und die USA sind global im Rückzug begriffen und daheim zerrissen, weil der Gesellschaftsvertrag für viele nicht mehr funktioniert. Der Westen wirkt ermattet – und neu gespalten. Das ist, neben allem anderen, auch ein Standortnachteil.

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