Geopolitik Wer die Globalisierung abkoppeln will, schadet allen!

Der globale Handel ist Garant für Wohlstand. Quelle: dpa

Ausgrenzen, Sanktionieren, Abschotten sowie das Einreißen von Brücken haben in der Weltgeschichte noch nie Mehrwert generiert. Unternehmen müssen sich dennoch auf diese geopolitische Bedrohung einstellen. Ein Gastbeitrag.

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Oliver Hermes ist Vorstandsvorsitzender und CEO der Wilo Gruppe, Vorsitzender des Kuratoriums der Wilo-Foundation und Vorsitzender des Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. Er gibt seine eigene Meinung wieder.

Mehr und mehr geraten deutsche und europäische Unternehmen zwischen die Fronten geopolitischer Auseinandersetzungen. Dadurch wird die Weltwirtschaft in ihrer Entwicklung deutlich gehemmt. Sie wird in Zukunft leider noch mehr als vor der Pandemie von Autarkiebestrebungen und Protektionismus bestimmt sein. Es wird in diesem Zusammenhang von einem „Decoupling“ gesprochen, einer – politisch gewollten – Entkopplung der weltweiten Entwicklungen. 

In all seinen Ausprägungen bedeutet „Decoupling“, dass multinationale Kooperationen stärker abnehmen, Allianzen bröckeln, wirtschaftliche Brücken zwischen Staaten und damit auch politisch unterschiedlichen Systemen eingerissen werden. Der größte Verlierer hierbei wären europäische Unternehmen. Sie müssen sich dem entgegenstellen.

Das Geschäftsmodell der EU, vor allem das der Bundesrepublik Deutschland und dadurch unser aller Wohlstand, basieren auf Multilateralismus. In Deutschland hängt immerhin jeder vierte Arbeitsplatz am Export, in der Industrie sogar jeder zweite. 

Unternehmer müssen sich dennoch jetzt auf die unterschiedlichen Formen des grassierenden „Decoupling“ vorbereiten und ihm mit vorausschauendem Entrepreneurship strategisch entgegentreten. 
Die Wertschöpfungsketten dürfen nicht zum Spielball der Politik werden. Sie können nicht von heute auf morgen abgeschaltet, verändert oder neu aufgeteilt werden. 

Die globale Machtkonkurrenz zwischen den USA und China ist der zentrale geostrategische Konflikt. Handelssanktionen, extra-territoriale Sanktionen, Technologieembargos und eine aus politischen Gründen eingeleitete Entkopplung von Lieferketten haben verheerende Folgen für die hyperglobalisierte Weltwirtschaft - und gerade für Europas Unternehmen. 

Die geographische Dimension des „Decoupling“ beschreibt erstens die jeweiligen regionalen Auswirkungen aus Abschottung und Entkopplung. Die technologische Dimension beinhaltet zweitens das Phänomen, dass in unterschiedlichen Märkten jeweils andere Standards für Produkte, Systeme und Lösungen gelten könnten. Dies gilt vor allem für smarte und intelligente Produkte, bei deren Nutzung Daten de facto oder potenziell ausgetauscht werden. Die dritte Dimension beschreibt die finanzwirtschaftliche Entkopplung als Abbau der Abhängigkeiten von globalen Finanz- und Kapitalmärkten, Währungs- und Zahlungssystemen.

von Max Haerder, Julian Heißler, Jörn Petring, Silke Wettach

Einen Ausweg aus dem geographischen „Decoupling“-Dilemma stellen für Unternehmen regionale Investitionen dar. Anstelle sich aus einzelnen Regionen zurückzuziehen und „Near Shoring“ oder „Re-Shoring“ zu betreiben, sollten Global Player eine beschleunigte Regionalisierung ihrer Aktivitäten vornehmen. Dies bedeutet, die eigenen Wertschöpfungsketten des Unternehmens zu diversifizieren und regional zu stärken sowie mehr Verantwortung aus zentralen organisatorischen Funktionsbereichen in lokale Einheiten zu verlagern. Diese Übergabe von Verantwortung wiederum stärkt Entrepreneurship vor Ort.

Der Versuch vor allem der USA, China geo-ökonomisch zu isolieren, ist schon jetzt gescheitert. Denn in Asien wurde Ende vergangenen Jahres das weltweit größte Freihandelsabkommen (RCEP) mit 14 Asien-Pazifik-Staaten abgeschlossen. Es klingt paradox, aber der vorerst gescheiterte Versuch der USA, China zu isolieren, mündet über das panasiatische Integrationsprojekt RCEP in eine stärkere Entkopplung der USA von Asien. Hier muss die deutsche Wirtschaft „am Ball bleiben“, um Teil dieser sich entfaltenden Dynamik in Asien zu sein. 

Um einem technologischen „Decoupling“ die Stirn bieten zu können und nicht an den sich mit Sicherheit herausbildenden regionalen Standards für Produkte, Systeme und Lösungen „vorbei“ zu innovieren, sollten Unternehmen auch ihre Forschungs- und Entwicklungsbereiche diversifizieren und nach Möglichkeit verstärkt regional aufstellen. 

Einige Länder bereiten sich des Weiteren auf ein finanzielles „Decoupling“ vor. Sie beabsichtigen damit, sich unabhängiger von internationalen Finanz- und Kapitalmärkten westlicher Prägung und Dominanz aufzustellen. Dies umfasst auch Systeme zur operativen Zahlungsabwicklung.

Global agierende Unternehmen sind auf funktionierende und sichere Zahlungssysteme zur Abwicklung ihres internationalen Waren- und Güterverkehrs angewiesen. Unternehmen müssen Strukturen schaffen, die es ihnen ermöglichen, weiterhin ihre Lieferanten und Mitarbeiter in den jeweiligen Ländern zu bezahlen beziehungsweise das Geld ihrer Kunden einnehmen zu können. Es wird auch notwendig sein die finanzwirtschaftliche Wertschöpfungskette von Unternehmen regional zu diversifizieren und dementsprechend stärker zu dezentralisieren. Ein erster Schritt wäre der Aufbau regionaler Treasury-Funktionen. 

Umso verwunderlicher ist es, dass die Europäische Union und Deutschland bisher keine echte Geo-Strategie entwickelt haben, aus der sich dann außenwirtschaftliche Leitplanken abbilden ließen. Leitplanken, die gerade global agierende Unternehmen mehr denn je brauchen. Europas Symbol- und Sanktionspolitik ersetzt dabei keine Geostrategie.

Es ist eine Illusion und geht an der Realität vorbei, zu glauben, dass die Welt sich bipolar organisieren ließe. Es ist realitätsnäher, eine verantwortungsvolle Koexistenz der diversen politischen Systeme auf unserem Globus zu entwickeln. Die ökonomischen Verflechtungen sind jedenfalls so vielfältig, dass „Decoupling“ nur Schaden anrichtet und Wohlstand vernichtet.

Um es deutlich zu betonen: „Decoupling“ ist eine Erfindung der politischen Eliten. Die Wirtschaft steht diesen Aktivitäten überwiegend äußerst kritisch gegenüber, da sie zu ökonomischen Ineffizienzen führen und materielle sowie immaterielle Vermögenswerte zerstören. Die Unternehmen sehen sich leider dennoch gezwungen, ihre Strategien auf die unterschiedlichen Dimensionen des „Decoupling“ auszurichten, was mit deutlich höheren Kosten verbunden ist.

Ausgrenzen, Sanktionieren und Abschotten sowie das Einreißen von Brücken haben in der Weltgeschichte noch nie einen Mehrwert generiert. Im Gegensatz hierzu erhöhen ökonomische Abhängigkeiten und Verflechtungen, gerade in geo-politischen Konfliktsituationen, die Kompromissbereitschaft und tragen damit potenziell zur Deeskalation bei. „Wandel durch Handel“ ist das Gebot der Stunde und gerade in dieser Zeit zunehmender geopolitischer Spannungen keinesfalls outdated

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