Geopolitik Wie wollen wir es mit Peking halten?

Die Direktorin des Aspen Institute, Stormy-Annika Mildner, über die Herausforderung China.

Die Chinafrage wird für die Vereinigten Staaten zum Lackmustest der transatlantischen Beziehungen. Unter Joe Biden nähern sich EU und USA zwar wieder an – die unterschiedliche Risikowahrnehmung bleibt jedoch eine Herausforderung. Ein Gastbeitrag.

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Stormy-Annika Mildner ist Direktorin des Aspen Institute. Zuvor war sie Abteilungsleiterin für Außenwirtschaftspolitik im Bundesverband der Deutschen Industrie.

Wer ist Feind Nummer eins für die Vereinigten Staaten? „China“, antworten 45 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner, als sie dazu kürzlich vom Gallupinstitut befragt worden sind. 45 Prozent, das sind doppelt so viele wie noch 2020. Zugleich halten 50 Prozent der Amerikaner nicht ihr Land, sondern die Volksrepublik für die führende Wirtschaftsmacht der Welt. Über alle Parteilinien hinweg wird China als Bedrohung für die Staaten gesehen – und die Zeichen stehen unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden nicht auf Entspannung. Dabei wird die Chinafrage für die USA auch zum Lackmustest der transatlantischen Beziehungen.

Denn der Konflikt zwischen den USA und China ist weit mehr als ein Handelsstreit. Es ist ein Wettstreit unterschiedlicher wirtschaftlicher und politischer Systeme: Chinas wirtschaftliches Hybridmodell mit einem starken Einfluss des Staates auf der einen Seite, die marktwirtschaftlichen und demokratischen Prinzipien des Westens auf der anderen. Es geht um die hegemoniale Vormachtstellung in der Welt – und wer in Zukunft die Regeln für die Weltwirtschaft setzen wird.

Die USA sehen sich durch China massiv herausgefordert, auch sicherheitspolitisch. Die Pandemie hat dies noch einmal verstärkt. 2020 war das Land der Mitte die einzige große Volkswirtschaft, die gewachsen ist, und wird sich entsprechend deutlich schneller erholen als die USA. Der IWF erwartet für 2021 ein Wachstum von acht Prozent.

von Max Haerder, Julian Heißler, Jörn Petring, Silke Wettach

Anders als sein Vorgänger Donald Trump strebt Joe Biden zwar kein komplettes Decoupling an, doch will auch er konsequent gegen unfaire Handelspraktiken Pekings vorgehen. Bei Schlüsseltechnologien will er die USA unabhängiger machen, darunter Biotechnologie und künstliche Intelligenz. Ein wichtiger Unterschied zu Trump: Biden geht es nicht nur um Wirtschaft.

Menschenrechtsfragen haben einen höheren Stellenwert gewonnen. So ist der Druck auf Peking in Bezug auf Hongkong, Taiwan, Xinjian und das Südchinesische Meer deutlich gestiegen – nicht im Alleingang, sondern in Absprache mit den Verbündeten. Im März 2020 verhängten die USA, Kanada, die Europäische Union und das Vereinigte Königreich Sanktionen gegen China wegen der Unterdrückung der Uiguren. Was bedeutet dies nun für die EU?

Beim Nato-Treffen Ende März betonte US-Außenminister Antony Blinken, dass die USA ihre Verbündeten nicht vor eine „Wir oder sie“-Entscheidung mit China stellen wollten. Wo es möglich ist, sollen Länder mit China zusammenarbeiten können, zum Beispiel bei Klimawandel und Gesundheitssicherheit. Die Partner sollten jedoch einen Teil der Last tragen, wenn es darum geht, unfaire Handelspraktiken einzudämmen und Menschenrechtsverletzungen zu ahnden – klare Worte seitens des US-Außenministers, die das transatlantische Verhältnis herausfordern.



In den letzten Jahren hat sich die Chinapolitik der EU gewandelt. Nur wenige glauben noch, dass wirtschaftliche Öffnung zu Demokratisierung führen wird. China gilt mittlerweile auch hier als Systemwettbewerber und strategischer Rivale. In ihrer neuen Handelsstrategie „Open, Sustainable and Assertive Trade Policy“ fordert die Europäische Kommission, dass China seiner Verantwortung im globalen Handelssystem gerechter werden muss. Das kurz vor dem Jahreswechsel mit China vereinbarte Investitionsabkommen CAI sei ein wichtiger Schritt für fairere Investitionsbeziehungen mit dem Land. Beste Voraussetzungen für einen transatlantischen Schulterschluss? Genügend Kooperationsfelder gäbe es.

Zum Beispiel der Umgang mit Staatsunternehmen und Subventionen oder auch die Reform der Welthandelsorganisation. Auch bei neuen Technologien könnten die USA und die EU enger zusammenarbeiten, beispielsweise bei der Exportkontrolle und der Entwicklung von technischen Standards. Die EU hat den USA die Gründung eines EU-US Tech Council vorgeschlagen. Besonders wichtig: eine größere Abstimmung der Konnektivitätsstrategien, um der chinesische „One Belt, One Road Initiative“ etwas entgegen zu stellen. Das gilt auch für die Menschenrechtspolitik.

Ganz so einfach ist es jedoch nicht, denn das Dreiecksverhältnis USA-China-EU ist kompliziert. Die Biden-Administration zeigte sich wenig begeistert über das EU-China-Investitionsabkommen. Zudem wirft das Konzept der EU der offenen strategischen Souveränität viele Fragezeichen in den USA auf.

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In den vergangenen vier Jahren ist viel Vertrauen in den transatlantischen Beziehungen verloren gegangen. Die EU und die USA teilen zwar viele gemeinsame Werte und Interessen, die EU hat zudem ein anderes strategisches Interesse als der atlantische Bündnispartner im Hinblick auf China. Sie ist keine Hegemonialmacht, die sich durch China herausgefordert fühlt. Auch mit Blick auf die Wirtschaft gibt es Unterschiede. Die EU hat zwar auch ein Handelsbilanzdefizit mit China, doch ist dieses nur halb so groß wie das US-Defizit im Chinahandel. In der Konsequenz: Auch wenn sich das Chinabild in der EU ändert – die Risikowahrnehmungen in der EU und den USA unterscheiden sich nach wie vor. Dies gilt allerdings auch zwischen EU-Mitgliedstaaten. Und so wird es auch in Zukunft für die EU nicht einfach sein, eine einheitliche Chinapolitik zu verfolgen.

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