Georgien-Konflikt Russlands Angst vor dem amerikanischen Zangengriff

Aus russischer Sicht setzt der amerikanische Vizepräsidenten Richard Cheney mit seiner aktuellen Reise nach Georgien die seit Jahren anhaltende Einmischungspolitik vor Russlands Haustür fort. Russland fühlt sich eingekreist von der Nato, von US-Militärbasen, amerikafreundlichen Regierungen und westlichen Energiekonzernen. Sieben Schachzüge der USA und ihrer Verbündeten machen Moskau besonders nervös.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
US-Vice-Präsident Dick Cheney Quelle: REUTERS

Mit der Route und dem Zeitpunkt seiner Osteuropa-Tour sendet der amerikanische Vizepräsident den außenpolitischen Strategen Moskaus ein unmissverständliches Signal: Richard Cheney besucht mitten im hitzigen Kräftemessens zwischen Russland, Europa und den USA nach dem russischen Einmarsch in Georgien drei der wichtigsten strategischen Verbündeten Washingtons in Osteuropa und am Kaspischen Meer: In der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku bekräftigte Cheney gestern seine Absicht, den „freien Fluss“ von Gas und Öl aus den kaspischen Quellen nach Westen zu sichern. In Tiflis stärkt er heute dem von Russland bedrängten georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili den Rücken und verspricht ihm eine Milliarde Dollar für die in den Kämpfen demolierte georgische Infrastruktur. Anschließend wird George W. Bushs Mann fürs Grobe in der Ukraine erwartet. Deren Bestrebungen, dem westlichen Militärbündnis Nato beizutreten, sind der russischen Führung ein besonders spitzer Dorn im Auge.

Aus russischer Sicht ist Cheneys Solidaritätsrunde durch die drei ehemaligen Sowjetrepubliken wie auch die Ankündigung der Nato, Georgien beim Wiederaufbau seiner militärischen Infrastruktur zu helfen, die Fortsetzung einer seit Jahren bedrohlicher werdenden amerikanischen Expansionspolitik. Moskau betrachtet die Region nach wie vor als russische Hegemonialsphäre. So beschuldigte der russische Präsident Dmitri Medwedew die USA, Georgien aufgerüstet und seinem Präsidenten Micheil Saakaschwili im Konflikt um Südossetien „einen Blankoscheck für jegliche Aktionen, einschließlich militärischer“ ausgestellt zu haben. Schon lange vor dem erneuten Aufflammen des Konflikts um das abtrünnige, von Russland protegierte Gebiet, war das Verhältnis zwischen Moskau und der Regierung Saakaschwili in Tiflis zerrüttet. Für Moskau ist Saakaschwili ein Geschöpf Amerikas, entsandt, den Russen Probleme zu bereiten. Ähnlich kritisch bewertet die politische Führung Russlands eine ganze Reihe von Schachzügen, mit denen Washington in den vergangenen Jahren seinen Einfluss in Osteuropa ausgeweitet hat.

Lesen Sie auf den kommenden Seiten, welche sieben Schachzüge der USA und ihrer Verbündeten Moskau besonders nervös machen.

Schachzug 1: Die Rosenrevolution in Georgien bringt einen Günstling Amerikas an die Macht

Nach Vorwürfen des Wahlbetrugs zugunsten des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse begannen auf den Straßen von Tiflis Ende 2003 Massendemonstrationen. Auf deren Höhepunkt besetzten Anhänger des in den USA ausgebildeten Oppositionsführers Micheil Saakaschwili mit Rosen in den Händen das georgische Parlament.

Schewardnadse sah sich zum Rücktritt gezwungen. Die folgenden Neuwahlen gewann Saakaschwili. Zum Erfolg der Oppositionsbewegung sollen als Geldgeber verschiedene, von dem amerikanischen Finanzinvestor George Soros unterstützte Organisationen beigetragen haben. Die seit Kämpfen in den Neunzigerjahren schwelenden Konflikte um die separatistischen, von Russland protegierten Gebiete Abchasien und Südossetien nahmen unter Saakaschwilis Regierung an Intensität zu.

Schachzug 2: Die Orangene Revolution in der Ukraine fegt einen der letzten Verbündeten Russlands hinweg

Nach einem von Betrug und Manipulation gezeichneten ersten Wahlgang brachten Massenproteste Ende 2004 und eine Neuwahl die westlich orientierten Politiker Viktor Juschtschenko und Julia Tymoschenko an die Macht. Die protestierenden, teils orange gekleideten Oppositionskräfte wurden nach Ansicht vieler Experten von der US-Regierung nahe stehenden Organisationen wie dem International Republican Institute und USAID unterstützt – finanziell und durch Training in Taktiken des friedlichen Widerstand.

Auch Aktivisten aus der georgischen Rosenrevolution traten auf. Russland dagegen unterstützte offen den prorussischen Präsidentschaftskandidaten Viktor Janukowytsch, der dann unterlag. Russland betrachtet die Orangene Revolution als von den USA inszenierten Coup in seiner Einflusssphäre. Auch die Unterstützung weißrussischer Oppositioneller durch amerikanische Organisationen löst in Russland Argwohn aus.

Schachzug 3: Die alte Widersacherin Nato rückt an Russlands Nordgrenze heran

Die kontinuierliche Nato-Osterweiterung bewertet Russland als Bruch einer informellen Absprache zwischen der Sowjetunion und den USA nach dem Fall der Berliner Mauer. Demnach sollte die Sowjetunion ihre Truppen aus Ostdeutschland abziehen sowie der deutschen Wiedervereinigung zustimmen. Die Nato würde dafür nicht weiter nach Osten vorrücken. Es kam anders: Nach Polen, Ungarn und Tschechien traten 2004 die einst ebenfalls zum sowjetischen Machbereich gehörenden Länder Litauen, Lettland, Estland, Slowakei, Slowenien, Rumänien und Bulgarien der Nato bei. Unverzüglich begannen Nato-Flugzeuge mit Patrouillen über den baltischen Staaten.

Besonders den Seitenwechsel dieser einstigen Sowjetrepubliken, in denen teils große russische Minderheiten leben, empfanden viele russische Politiker als Demütigung. Mit dem Beitritt der Balten rückte die Nato unmittelbar an die Nordflanke Russlands heran. Aus russischer Sicht geht die Einkreisung weiter: Die Nato hat Georgien, der Ukraine, Kroatien und Albanien die Mitgliedschaft in Aussicht gestellt.

Schachzug 4: Die USA errichten an Russlands Südflanke eine Militärbasis nach der anderen

Seit dem Jahr 1995, als amerikanisches Militär in den Balkan-Krieg eingriff, installieren die USA und die Nato militärische Stützpunkte im ehemaligen sowjetischen Einflussbereich: den ersten 1995 in Ungarn, es folgten Bosnien, Kosovo,  Rumänien, Bulgarien. „Camp Bondsteel“ im Kosovo ist eine der größten US-Militärbasen in Europa. Die amerikanische Militärpräsenz reicht bis ins zentralasiatische Kirgisistan. Die USA nutzten diese Stützpunkte offiziell vor allem für ihre Einsätze im ehemaligen Jugoslawien, im Irak und in Afghanistan.

Moskau unterstellt den USA jedoch, mithilfe der Camps ihren Einfluss in Russlands Nachbarschaft ausdehnen und militärische Schlagkraft gegen Russland aufbauen zu wollen. Russland versucht, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (Russland, China, Usbekistan, Kirgisistan, Kasachstan, Tadschikistan) gegen den US-Einfluss in der Region aufzustellen.

Schachzug 5: West-Pipelines durch den Kaukasus entziehen Russland Öl und Gas

Russland betrachtet die Energieressourcen Zentralasiens trotz seiner eigenen Reserven als unverzichtbar für seine Energiesicherheit. Dass seit einigen Jahren Öl und Gas aus der ehemaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan durch Pipelines via Georgien nach Westen abfließen, bereitet russischen Energiestrategen große Sorgen. Seit 2006 entzieht die von BP betriebene Pipeline BTC von Baku zum türkischen Hafen Ceyhan täglich bis zu 1000 Barrel Rohöl dem Zugriff Russlands.

Treibende Kraft hinter den Planungen für die Pipeline war die Regierung Clinton. Die USA unterstützen die Bestrebungen der Europäer, ihre Abhängigkeit von russischen Ressourcen zu verringern, um sich Europa als sicheren, nicht erpressbaren Verbündeten zu erhalten. Nach Ansicht vieler Experten dient die amerikanische Unterstützung Georgiens und seines Militärs dazu, das Land als Energiekorridor zu sichern. Im Nachbarland Aserbaidschan trainierte die amerikanische Söldnerfirma Blackwater Streitkräfte für den Schutz von Bohrinseln.

Schachzug 6: Die Amerikaner schmieden einen Raketenschild – ausgerechnet die Polen und die Tschechen assistieren

Der Traum des früheren US-Präsidenten Ronald Reagan, die USA unverwundbar gegen Nuklearwaffen zu machen, ist nicht ausgeträumt. Die Arbeiten an einem Verteidigungssystem gegen ballistische Raketen gehen weiter, derzeit in Gestalt des Programms National Missile Defence, zu dessen Zweck die USA 2001 aus dem ABM-Rüstungskontrollvertrag austraten. Dieser begrenzte auf amerikanischer wie auf russischer Seite die Verteidigungsmöglichkeiten gegen Interkontinentalraketen auf ein Minimum und sollte so die Balance der gegenseitigen Abschreckung aufrechterhalten. Das wäre aus russischer Sicht alles nicht so schlimm – wenn die USA ihre Abwehrraketen nicht auch noch in Polen und ein damit verbundenes Radarsystem in Tschechien aufstellen wollten. Die bilateralen Verträge dazu sind unterzeichnet.

Russland misstraut der amerikanischen Zusicherung, die geplanten zehn Abwehrraketen seien lediglich zum Schutz vor Attacken aus dem Iran gedacht. Moskauer Miltärs befürchten, dass die Basis in Polen nachträglich mit anderen, gegen Russland gerichteten Waffen ausgerüstet wird und die Radarstation in Tschechien auch anderen Zwecken als der Erfassung iranischer Raketen dienen soll.

Schachzug 7: Washington rüstet Russlands Intimfeind Georgien auf

In Krisengesprächen mit amerikanischen und EU-Politikern nach den Kämpfen um Südossetien forderte die russische Seite eine Diskussion darüber, woher eigentlich die Waffen stammten, mit denen die georgischen Streitkräfte Zchinwali beschossen. Russland beschuldigt die USA und einige ihrer Verbündeten, die georgische Armee durch Waffenlieferungen und militärische Ausbildung zu dem Angriff auf die südossetische Stadt erst befähigt zu haben. Auch moderne Sturmgewehre des deutschern Herstellers Heckler & Koch tauchten im Kampfgebiet auf. Offiziell sind deutschen Unternehmen Rüstungslieferungen nach Georgien verboten. Kenner der Branche gehen aber davon aus, dass die Gewehre über die amerikanische Tochtergesellschaft des Unternehmens dorthin gelangt sind.

Während der georgischen Offensive hielten sich amerikanische und nach einigen Berichten auch israelische Militärberater im Land auf, die zuvor georgische Truppen ausgebildet hatten und beim Aufbau der militärischen Infrastruktur halfen. Die US-Luftwaffe flog georgische Truppen aus dem Irak nach Hause, damit sie in die Kämpfe eingreifen konnten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%