Georgien Russland will Energie-Bypass durch den Kaukasus verhindern

Westliche Energie-Multis laben sich an den Öl- und Gasquellen Zentralasiens. Europa plant neue Pipelines durch den Kaukasus. Mit seinem Einmarsch in das Transitland Georgien zeigt Russland dem Westen jetzt, dass alles ganz anders kommen könnte.

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Eine Pipeline in der Nähe von Quelle: REUTERS

Vom Krieg im nahen Georgien ließen sich die Entsandten des deutschen Gas- und Ölförderspezialisten Dea nicht beirren.

Kontakte mit Mächtigen im Rohstoff-Business rund um das Kaspische Meer knüpfen, das ist ihre Mission. Seit Monaten bemüht sich die Tochtergesellschaft des deutschen Energieversorgers RWE um Explorationslizenzen in Aserbaidschan, Turkmenistan, Kasachstan und Russland. In den kommenden Monaten wollen die Dea-Manager eine Repräsentanz in der turkmenischen Hauptstadt Aschgabat eröffnen.

Die Energie-Großmacht Russland verfolgt das Treiben westlicher Unternehmen im öl- und gasreichen Zentralasien mit wachendem Argwohn. Im Transitland Georgien, durch das RWE und andere Energiekonzerne das Gas aus dem Kaspischen Meer nach Westen leiten wollen, hat sie gerade spektakulär ihre militärische Stärke zur Schau gestellt. Zufall?

Russlandexperten sehen in dem Feldzug eine Warnung an rohstoffreiche ehemalige Sowjetrepubliken vor allzu koketter Annäherung an den Westen oder gar einer Nato-Mitgliedschaft. Dass von Amerikanern und Europäern umworbene Petro-Staaten wie Aserbaidschan und Kasachstan den Kanonendonner aus Georgien vernommen haben, dürfte dem russischen Führungsduo Wladimir Putin und Dmitri Medwedew höchst willkommen sein.

Die politische Elite Moskaus betrachtet die Staaten an der Südflanke Russlands auch 17 Jahre nach Auflösung der Sowjetunion als Teil der russischen Hegemonialsphäre und des russischen Energiehaushalts. Turkmenisches Gas ist seit Jahren eine feste Größe in der vom Staatskonzern Gazprom dominierten russischen Energiewirtschaft.

Russland braucht das Gas selbst

Für den Leiter des Moskauer Instituts für Globalisierungsprobleme, Michail Deljagin sind die neuen westeuropäischen Initiativen in Zentralasien deshalb nichts anderes als eine Bedrohung der russischen Energiesicherheit.

Schon seit sechs Jahren sei Russland auf Gasimporte aus Turkmenistan angewiesen, sagt Deljagin. Wenn der Westen so weiter mache, drohe seiner Heimat „eine Energiekrise“. Viele in Russlands Machtzirkeln teilen seine Meinung.

Deljagins Warnung ist ernst zu nehmen. Nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur IEA investiert der staatlich kontrollierte russische Gaskonzern Gazprom viel zu wenig in neue Förderprojekte in Russland, als dass er den steigenden Binnenbedarf und die wachsende Auslandsnachfrage noch lange zuverlässig decken könne. Russland importiert das turkmenische Gas, um seinen Heimatmarkt und die Ukraine versorgen zu können.

Aber auch der Westen hat die Energieressourcen Zentralasiens angezapft und leitet sie an Russland vorbei in seine Raffinerien: Eine Million Barrel Öl pro Tag fließen durch die 2005 eröffnete Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipeline (BTC) von Aserbaidschan durch Georgien bis an die türkische Mittelmeerküste. Dort wird das Öl in Tankschiffe gepumpt, die es zu westlichen, vor allem europäischen Abnehmern bringen.

Aus Sicht Russlands liefert BTC einen beunruhigenden Präzedenzfall. Die Konsequenzen spürt Russland schon: Westliche Ölkonzerne wie BP die vor der aserbaidschanischen Küste fördern, leiten ihr Öl jetzt lieber durch die BTC als durch die vom russischen Pipeline-Monoplisten Transneft betriebene Leitung von Baku in den russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk. Von diesem Öl kann Russland nun nicht einmal mehr als Transportdienstleister profitieren. Auch der staatliche aserbaidschanische Ölkonzern SOCAR pumpt seine Ware lieber durch die BTC als über russisches Gebiet. Kein Wunder: Dort wird seinem hochwertigen Rohöl der Sorte Azeri Light Öl minderer Qualität beigemengt. Die Folge: SOCAR muss sein Premium-Öl unter Wert verkaufen – bis zu fünf Dollar pro Barrel habe SOCAR durch die Beimischung bisher eingebüßt, schreibt der OECD-Russlandexperte William Thompson in einer Analyse der kaspischen Ölwirtschaft.

Auch auf anderen Wegen saugt der Westen bereits kaspisches Öl aus dem russischen Einflussbereich ab: durch eine weitere Pipeline von Baku zum georgischen Schwarzmeerhafen Supsa und per Bahntransport in die georgischen Häfen Batumi und Kulevi. Seit zwei Jahren fließt zudem das vom russischen Staatskonzern Gazprom begehrte aserbaidschanische Erdgas gen Westen durch die sogenannte South Caucasus Gas Pipeline (SCGP), die nur wenige Meter neben der BTC durch Georgien in die Türkei führt.

Albtraum russischer Energiestrategen

Der Alptraum russischer Energiestrategen – ein Öl- und Gas-Bypass nach Westen – ist bereits Realität. Moskau möchte nun zumindest verhindern, dass der Ressourcenabfluss noch zunimmt. Genau das aber beabsichtigt die Regierung Aserbaidschans: In der Hauptstadt, der boomenden Ölmetropole Baku, überlegt man, eine zweite Röhre neben der voll ausgelasteten BTC zu vergraben, um noch mehr Öl an den Westen verkaufen zu können. Ein britisch-georgisch-amerikanisches Konsortium plant außerdem White Stream, eine Tiefsee-Gaspipeline, die von der georgischen Küste ins ukrainische Odessa führen soll. Auch die schon vorhandene SCGP muss erweitert werden, wenn ein weiteres Bypass-Projekt mit dem blumigen Namen Nabucco fertig ist: Die Gaspipeline Nabucco, geplant unter Federführung des österreichischen Energiekonzerns OMV, soll an die SCGP anschließen und aserbaidschanisches Gas bis nach Zentraleuropa leiten.

Und nun auch noch Nabucco

Und dabei soll es nicht bleiben: Der Geschäftsführer des Nabucco-Konsortiums, Reinhard Mitschek (siehe Interview), will auch turkmenisches Gas durch die Euro-Röhre pumpen – Gas, um das sich Wladimir Putin bei der turkmenischen Regierung persönlich noch in seiner Funktion als russischer Präsident bemüht hat: Auch Russland plant eine zusätzliche Pipeline nach Turkmenistan, um seinen wachsenden Bedarf zu decken.

Die Konkurrenz um turkmenische Explorationslizenzen –  China will heran an die kaspischen Felder – wird härter. Das erleben die Dea-Emissäre in ihren Verhandlungen live und direkt. Obwohl die RWE-Tochter seit mindestens einem Jahr in der Region um Vertrauen und Lizenzen wirbt, wartet sie bisher vergeblich auf eine  Zusage.

Zumindest Ideen, wie das Gas gen Westen transportiert werden soll, hat sie schon: An Bord von Spezialschiffen könnte es am Ostufer des Kaspischen Meeres komprimiert, dann nach Baku verschifft und von dort via SCP und Nabucco zu den deutschen und europäischen RWE-Kunden strömen. Auch eine Pipeline quer durch die See von Turkmenistan nach Aserbaidschan ist im Gespräch.

Wie Öl und Gas vom Kaspischen Meer den Weltmarkt erreichen sollen - und warum Georgien so wichtig ist (zum Vergrößern der Grafik klicken Sie bitte auf das Lupen-Symbol unten rechts)

Russland macht aus seinem Missfallen an diesem Vorhaben keinen Hehl und warnt vor Umweltgefahren, die von einer solchen Pipeline ausgehen würden. Das wahre Motiv dürfte indes Moskaus eigenes Interesse an den Gasressourcen im turkmenischen Teil des Kaspischen Meeres sein. Denn je mehr Exportwege sich dem turkmenischen Energiekonzern Turkmengaz öffnen, desto höhere Preise kann er von seinem alten Stammkunden Russland verlangen, der den Rohstoff bisher noch zu günstigen Konditionen bekommt.

Intimfeind BP prescht vor nach Zentralasien

Geschichte sind die goldenen Zeiten, in denen das UdSSR-Ministerium für Gasförder- und Gastransportindustrie den südlichen Sowjetrepubliken die Abnahmepreise diktieren konnte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion pilgerten westliche Energiekonzerne in Scharen herbei. Die Liste derer, die vor Baku das Schwarze Gold aus dem Meeresgrund holen, liest sich wie das Who is Who der internationalen Ölindustrie. ExxonMobil, Chevron, Total, Agip und immer wieder – BP. BP – ausgerechnet BP. Der britische Ölmulti ist Moskaus aktueller Lieblingsfeind im großen Ringen und Ressourcen. Eine Gruppe staatsnaher Oligarchen versucht, die Briten aus dem russischen Joint Venture TNK-BP zu drängen, nachdem sie bereits die Kontrolle über ein sibirisches Gasfeld an Gazprom abtreten mussten.

BP glänzt seit Anfang der Neunzigerjahre durch besonderes Engagement bei der Erschließung der aserbaidschanischen Energie-Ressourcen. Der Konzern unterhält Ölfelder vor Baku, an Land dazu eines der größten Verlade- und Verarbeitungsterminals der Welt und ist Konsortialführer für beide Öl-Pipelines durch Georgien sowie die Gasleitung SCP, die aus dem BP-Gasfeld Shah Deniz gefüllt wird. BP hat in der Region 7,5 Milliarden Dollar investiert und beschäftigt 2000 Menschen.

Politische Hilfestellung erhielten die Briten bei ihren Pipeline-Projekten von der US-Regierung. 1999 etwa reiste Präsident Bill Clinton persönlich nach Istanbul und unterzeichnete die Absichtserklärung zum Bau der BTC-Leitung. An der amerikanischen Politik in der Region hat sich seither nichts geändert: Die USA unterstützen Energieprojekte und  politische Kräfte, die helfen, den Südkaukasus und Zentralasien dem Einfluss Moskaus zu entziehen, das energiehungrige China von den Quellen fernzuhalten und die Rohstoffe dem Westeuropa zugänglich zu machen – man will sich auf von Russland unabhängige europäische Verbündete verlassen können.

Wer hat in Georgien künftig das Sagen?

Doch nun hat Russland den USA, der Schutzmacht Georgiens, und der EU die Grenzen ihres Einflusses im Kaukasus gezeigt. Als die russischen Panzerkolonnen aus Südossetien ins georgische Kernland vorrückten und russische Bomben in Nachbarschaft der BTC-Pipeline einschlugen, dürfte die Furcht des Moskauer Ökonomen Deljagin vor einer russischen Niederlage im „Kampf um Zentralasien“ nachgelassen haben.

Auch wenn interessierte Energiemanager wie Nabucco-Chef Mitschek versichern, „auf langfristige Projekte wie unseres“ habe die Eskalation keine Auswirkungen – Kennern der Region ist klar, dass sich die Rahmenbedingungen für milliardenschwere Energievorhaben in Georgien verändert haben. Russland hat klar gemacht, dass es mit der gegenwärtigen Regierung nicht kooperieren wird, die USA dagegen stellen sich demonstrativ hinter sie. Ob und wann die Russen wieder abziehen, ist ungewiss. „Investoren wollen aber wissen, wer in Georgien künftig das Sagen hat“, sagt ein deutscher Manager, der in dem Land Investitionsprojekte begleitet. „Große Investitionen sind nun in Frage gestellt.“ Ungewiss macht der Konflikt unter anderem die Pipeline-Projekte Nabucco, White Stream und auch die Erweiterung der Ölleitung BTC. Ebenso die Pläne der aserbaidschanischen Energiegesellschaft SOCAR, den Öltransport per Bahn in die georgischen Häfen Batumi und Kulevi zu erhöhen. Auch aus den Plänen der georgischen Regierung,  neue Wasserkraftwerke zu bauen und den Strom in die Türkei zu exportieren, dürfte vorerst nichts werden.

Der aserbaidschanische Staatskonzern SOCAR entschloss sich während der Kämpfe, sein eigenes, im Mai erworbenes  Verladeterminal in Kulevi vorerst zu räumen und seine Arbeiter aus der Gefahrenzone zu holen. SOCAR-Chef Rownag Abdullajew überlegt nun, wieder mehr Öl durch die alte russische Pipeline nach Noworossijsk exportieren. Für Transneft, die Betreibergesellschaft, hätte sich der Krieg damit schon gelohnt.

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