Geschäft mit Russland Wie deutsche Unternehmen unter Putin leiden

Seite 2/3

Herausforderung Lokalisierungspolitik

Für deutsche Firmen ist vor allem die Lokalisierungspolitik eine Herausforderung. „Russland will einen Teil der Wertschöpfungskette nach Russland bekommen“, sagt Knelz. Das heißt: Hat ein deutsches Unternehmen staatliche Stellen als Kunden oder will sich auf eine öffentliche Ausschreibung bewerben, muss das Unternehmen lokale Zulieferer nutzen. Wer nicht lokalisiert, kann nur private Firmen beliefern. Da der Anteil der Staatsunternehmen an der Gesamtwirtschaft unter Putin wieder auf über 70 Prozent geklettert ist, geht es ohne Lokalisierung nicht.

Russlands jüngste Wunderwaffe ist der sogenannte Sonderinvestitionsvertrag. Wer mehr als 750 Millionen Rubel investiert, umgerechnet zwölf Millionen Euro, erhält Steuervergünstigungen, Subventionen und eine niedrigere Grund- und Gewinnsteuer. Dafür verpflichten sich die Firmen, einen Mindestprozentsatz von russischen Zulieferern einzukaufen. Innerhalb von zehn Jahren muss zudem 100 Prozent in Russland produziert und davon auch ein gewisser Teil als „Made in Russia“ exportiert werden. Pumpenhersteller Wilo hat sich gerade auf einen solchen Deal eingelassen. 

Dazu errichten Putins Leute Sonderwirtschaftszonen im Land. In der Autostadt Kaluga, drei Stunden entfernt von Moskau, gibt es so ein erhofftes Eldorado. Am westlichsten Rand der Stadt steht Jaron Wiedmaier in einer Halle vor einem Regal mit Autoreifen, die sich zwanzig Meter über ihm bis zur Decke stapeln. Der Manager des Autozulieferers Continental trägt einen schwarzen Anzug mit brauner Krawatte und blauem Einstecktuch. Das Gummi verbreitet einen süß-fauligen Geruch nach Tierfutter.

Wiedmaier überprüft Spikes, die in dem festen Gummi stecken. Im Winter fahren die meisten Fahrzeuge in Russland mit den kleinen Metallstiften, um nicht die Haftung auf den vereisten Straßen zu verlieren. 40 Prozent der Reifen, die das Lager verlassen, sind Winterreifen. „Die Region Kaluga hat uns die besten Konditionen geboten“, sagt Wiedmaier über die Entscheidung, vor fünf Jahren dorthin zu kommen. Ein Ja sei ein Ja, und unter der Telefonnummer der Behörden hebe tatsächlich jemand ab. Mehr kann man in Russland nicht verlangen. 240 Millionen Euro hat Continental in das Werk investiert. 

Der Start war alles andere als einfach. Kurz nachdem Ende 2013 die Maschinen anliefen, begann der Ukraine-Konflikt. Mit der schwachen Wirtschaft entschieden sich viele gegen den Kauf eines Autos. Wer ein Auto hatte, sparte an den Reifen. „Wir hatten Kapazitäten, aber die Nachfrage auf dem russischen Markt fehlte“, erzählt Wiedmaier. Deshalb stellte er auf Export um. Heute verschickt die Firma ihre Reifen in 23 Länder. Seit der Eröffnung des Werks 2013 sind zehn Millionen Reifen vom Band gelaufen.

Aber auch der Export ist kein Allheilmittel. Der schwache Rubel kurbelt den Export zwar an und erhöht den Wettbewerb. Viele Firmen haben durch die niedrigeren Lohnkosten mehr Geld in neue Investitionen stecken können. Aber viele Werkstoffe müssen aus dem Ausland eingekauft werden, weil die Qualität in Russland nicht stimmt. Damit machen sie zwar in Rubel mehr Umsatz, aber bei den Margen erwirtschaften sie ein Minus. Seit die Verkaufszahlen für Neuwagen wieder steigen, fährt Wiedmaier deshalb den Export zurück. „Im Vergleich zu den Vorkrisen-Jahren sind die Ergebnisse noch niedrig, aber sie wachsen kontinuierlich“, sagt Continental-Manager Wiedmaier. 2012 wurden in Russland noch drei Millionen Fahrzeuge verkauft, 2017 waren es 1,5 Millionen. Immerhin, auf dem Höhepunkt der Krise bekamen die Autoverkäufer fast gar nichts mehr los. Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, hat Russland mehrere Konjunkturprogramme aufsetzen müssen. Darunter die „Mein-erstes-Auto“-Kampagne, die allein im vergangenen Jahr 60 Milliarden Rubel, umgerechnet 7,9 Milliarden Euro, verschlungen hat.

Für den Manager sind die Subventionen Teil der Mischkalkulation. Dazu kommen die Vorteile durch die Lokalisierung. „60 Prozent der Produktion sind lokalisiert“, so Wiedmaier, der seit 16 Jahren in Russland für das Hannoveraner Unternehmen arbeitet. Das heißt, Zulieferer und Materialen kommen aus dem Land. Er sagt das nicht ohne Stolz. Teilweise hundert Zulieferer und mehr müssen deutsche Firmen prüfen, bevor die Qualität stimmt, berichten Wirtschaftsvertreter. Für die hohe Quote hat Continental den Titel als russisches Unternehmen verliehen bekommen. Für Firmen wie Volkswagen, das eine halbe Stunde entfernt von dem Werk produziert, ist dieser Titel wichtig. Denn dafür können sie Continental in ihrer eigenen Bilanz als russischen Zulieferer führen – und damit ihre eigenen Zahlen aufbessern. 

In keinem Land ist es für die exporterprobten deutschen Firmen einfach. Viele Firmen kennen schwierige Situationen aus dem Nahen Osten, Südamerika und China. Doch der russische Markt hat seine eigenen Gesetze. So gehen laut des Zentrums für Strategische Forschungen in Russland immer noch 80 Prozent aller Staatsaufträge an einen kleinen Kreis von Bietern. Unter diesen knapp drei Prozent der russischen Unternehmen finden sich vor allem Großkonzerne wie Gazprom und Rosneft. Viele ausländische Firmen klagen zudem, dass sie ungleich behandelt werden, auch wenn sie lokal produzieren. Ist Putin fern und die Wege nach Moskau lang, sind Korruption und Vetternwirtschaft ein Problem. 

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%