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Gewalt gegen Demonstranten Politischer Wirbelsturm wird teuer für die Türkei

Ministerpräsident Erdogan lässt die Unruhigen am Taksim-Platz niederknüppeln und mit Tränengas verfolgen. Das Land scheint unheilbar in feindliche Lager gespalten – wobei die Unternehmer des Landes durchaus nicht nur auf einer Seite stehen.

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Proteste in der Türkei dauern an

Mit dem Bild einer zunehmend wohlhabenden, modernen und westlichen Türkei haben die Bilder von den Straßenschlachten in Istanbul nichts mehr gemein. Und die marktschreierische Rhetorik, mit der Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan Hunderttausende Anhänger seiner islamistischen Partei begeistert, wirken bestenfalls befremdend, vor allem aber abstoßend. Westliche Journalisten mit ihren angeblichen Lügen als Urheber des grausigen Images, das Erdogans Polizei dem eigenen Land aufdrückt? Unsinn natürlich, genau solcher Unsinn wie die Rede von einer „Banken-Lobby“, welche die Unruhen finanziert hat, um die Aktienkurse in Istanbul und den Kurs der türkischen Lira zu drücken – alles so von Erdogan gesagt oder vielmehr herausgeschrien. Wenn’s stimmt, waren das sicher dieselben Schurken, die 2001 das World Trade Center zerstörten, 2010 die europäische Finanzkrise auslösten und 2013 das Hochwasser in Deutschland. Klingt jedenfalls so.

Länderprofil Türkei

Die überschießende Rhetorik findet ihren Grund nicht in der Dummheit des Redners, sondern in einer Berechnung, die wahrscheinlich sogar funktioniert, leider: Die türkische Gesellschaft ist seit vielen Jahrzehnten gespalten in „weiße Türken“ und „schwarze Türken“, in Fromme und in Verächter der eigenen Religion, Liebhaber der jahrhundertealten Tradition und nach eigenem Urteil moderne Menschen, „Kemalisten“ in der Tradition des Staatsgründers Atatürk und Islamisten mit Sehnsucht nach einer imaginären guten alten Zeit. Wer da vor seinen Anhängern die Gegner schmäht, beleidigt, verleumdet, erntet Jubel und Unterstützung. Und je gewaltsamer er seine Mittel einsetzt, umso größer der Jubel. So einfach ist das leider.

Hinzu kommt , dass Türken aller Couleur das Chaos fürchten, die wirtschaftlich Erfolgreichen ganz besonders. Ein in Westeuropa ausgebildeter Istanbuler Geschäftsmann, erfolgreich mit großen deutschen Unternehmen vernetzt, sehr „weißer“ Türke, der allenfalls als Tourist in Zentralasien mal eine Moschee von innen setzt, überrascht mich am Telefon mit der Mitteilung, Erdogan habe eigentlich Recht. Der politische Wirbelsturm komme nur den Feinden der Türkei zugute, und unter denen seien zumindest die Financiers der Park-Besetzer und Demonstranten zu suchen. Um wen es sich genau handele, könne man freilich nicht sagen.
Eine Verschwörungstheorie ohne Erkenntniswert für die Entstehung der Unruhen, wohl aber für die Folgen. Die Freunde von Ruhe und Ordnung scharen sich um die Regierung. Erdogans guter Ruf ist wohl ruiniert; seine Macht keineswegs.

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