Welch gravierende Folgen ein Lockdown hat, bekam Chinas Wirtschaft im Frühjahr schmerzhaft zu spüren. Zum ersten Mal seit Beginn der offiziellen Aufzeichnungen im Jahr 1992 hatte die zweitgrößte Volkswirtschaft im ersten Quartal ein negatives Wirtschaftswachstum von 6,8 Prozent verzeichnet. Nach dem Ausbruch des Coronavirus in der Metropole Wuhan musste praktisch das komplette Land herunterfahren. Hunderte Millionen Menschen hatten keine andere Wahl, als über Wochen eine strenge Quarantäne über sich ergehen zu lassen.
Nicht nur aus epidemiologischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht haben sich diese harten Maßnahmen offenbar aber ausgezahlt. Seit Monaten werden in China kaum noch neue Erkrankungen registriert. Täglich gibt es laut offizieller Angaben nicht mehr als 20 Infektionen, die in der Regel ausschließlich bei Einreisenden festgestellt werden. Die müssen sich bei ihrer Ankunft in China ohnehin für zwei Wochen in überwachte Hotel-Quarantäne begeben, weshalb sie keine Gefahr für eine Ausbreitung sind.
Da sich das Virus nicht mehr frei im Land verbreitet und keine großen Einschränkungen im täglichen Leben erforderlich sind, nimmt die Wirtschaft wieder Fahrt auf.
Nach einem Plus von 3,2 Prozent im zweiten Quartal legte das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal um 4,9 Prozent zu, wie das Pekinger Statistikamt am Montag berichtete. Die Erholung, die wie im Rest der Welt von milliardenschweren Konjunkturhilfen des Staates getrieben wird, scheint damit in China auf immer festeren Füßen zu stehen.
Die nun präsentierte Wachstumszahl fällt zwar etwas geringer aus, als viele Analysten erhofft hatten. Laut einer Umfrage des chinesischen Wirtschaftsmagazins Caixin war so im Durchschnitt mit einem Plus von 5,5 Prozent gerechnet worden. Jedoch reicht China das Ergebnis, um den vorangegangenen Einbruch im Frühjahr mehr als auszugleichen. So legte Chinas Wirtschaft laut der offiziellen Angaben in den ersten neun Monaten des Jahres um 0,7 Prozent zu.
Erstaunt wird im Westen beobachtet, wie ausgerechnet in Wuhan schon wieder Pool-Partys mit Zehntausenden Teilnehmern gefeiert werden, oder dass in der landesweiten Ferienwoche Anfang Oktober mehr als 600 Millionen Reisen in China gemacht wurden.
Wie das Statistikamt am Montag mitteilte, zeigten auch andere wichtige Indikatoren im dritten Quartal allgemeine Verbesserungen: Die Industrieproduktion stieg um 5,8 Prozent und die Einzelhandelsumsätze verzeichneten einen Anstieg von 0,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Bereits die Außenhandelszahlen vergangene Woche waren erneut besser ausgefallen, als Analysten erwartet hatten. Obwohl viele Handelspartner Chinas schwer mit dem Virus zu kämpfen haben, legten die Exporte im September um 9,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu, die Importe machten sogar einen Sprung um 13,2 Prozent.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet in einer aktuellen Prognose vor, dass China als Gewinner aus dem globalen Rennen um die wirtschaftliche Erholung geht. Keine andere große Volkswirtschaft dürfte demnach in diesem Jahr ein positives Wachstum schaffen.
Laut IWF werde die chinesische Wirtschaftsleistung um 1,9 Prozent zulegen, das sind 0,9 Prozentpunkte mehr als in der Juni-Schätzung. Für 2021 rechnet der Währungsfonds unverändert mit einem Wachstum von 8,2 Prozent.
Zum Vergleich: Für Deutschland wird zunächst ein Rückgang um 6,0 Prozent in diesem Jahr und dann ein Anstieg um 4,2 Prozent erwartet. In den USA wird die Wirtschaft laut Prognose 2020 um 4,3 Prozent schrumpfen, um dann im kommenden Jahr um 3,1 Prozent zu wachsen. Zumindest kurzfristig sorgt das Coronavirus so dafür, dass sich die Lücke zwischen der größten und zweitgrößten Volkswirtschaft schneller schließt als zuvor.





Während die Erholung auf dem Papier kräftig erscheint, hat China aber ebenfalls mit Problemen zu kämpfen. Wie in anderen Ländern hat die Pandemie die ärmeren Teile der Bevölkerung schwer getroffen. Das durchschnittliche monatliche Einkommen der Wanderarbeiter sank so im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um fast sieben Prozent, wie die Weltbank schätzt. Millionen Menschen haben ihre Jobs verloren.
Gleichzeitig kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Pandemie zurückkehrt. Wie groß die Angst der Regierung vor einem neuen großflächigen Ausbruch ist, wurde in den vergangenen Tagen in der Küstenstadt Qingdao deutlich. Nachdem es dort eine lokale Infektion in einem Krankenhaus gab, setzte sich eine gewaltige Maschinerie in Gang. Sofort ließen die Behörden die über 100.000 Mitarbeiter im städtischen Gesundheitswesen testen.
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Innerhalb von vier Tagen folgte die gesamte Bevölkerung von knapp zehn Millionen Menschen. Am Ende stand fest, dass der Ausbruch mit 13 Infektionen auf das Krankenhaus begrenzt blieb und es nicht in die breite Bevölkerung getragen wurde.
Mit ähnlichen Massentests und örtlichen Lockdowns hatte China in den vergangenen Monaten auch andere lokale Ausbrüche, etwa in Peking und an der Grenze zu Myanmar, wieder unter Kontrolle gebracht.
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