Gipfel auf Malta EU will auch die zentrale Mittelmeerroute schließen

Die EU-Staaten konzentrieren sich in der Flüchtlingskrise auf Libyen. Dort und in anderen Staaten Nordafrikas sollen Flüchtlingszentren errichtet werden. Doch es bleiben rechtliche Fragen und praktische Probleme.

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34 Kilometer nördlich der lybischen Grenze sind am Freitag wieder Migranten gerettet worden. Die Europäische Union will die starke Fluchtbewegung von Libyen aus übers Mittelmeer eindämmen. Quelle: dpa

Valletta Es ist schon länger nicht vorgekommen, dass Deutschland und Ungarn in der Asylpolitik an einem Strang ziehen. Ministerpräsident Viktor Orban zählte auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise zu den lautstärksten Kritikern von Bundeskanzlerin Angela Merkel, und er weigert sich bis heute, aus anderen EU-Ländern Asylsuchende aufzunehmen.

Bei der Suche nach Lösungen für aus Libyen nach Italien übersetzende Migranten aber liegen Berlin und Budapest in ihren Positionen so nahe beieinander wie lange nicht. Die Bundesregierung drängte vor dem EU-Gipfel in Malta am Freitag darauf, Asylzentren in Libyen und anderen nordafrikanischen Staaten zu errichten – ein Plan, den Innenminister Thomas de Maizière entworfen hatte.

Flüchtlingsboote, die in oder auch außerhalb libyscher Hoheitsgewässer aufgebracht werden, sollen zurückgeschickt werden können - ohne dass die Menschen an Bord Asylanträge in Europa stellen könnten. Beide Vorschläge fanden die Unterstützung Orbans: Er hat die Einrichtung sogenannter Hotspots außerhalb Europas zu seiner ersten Priorität erklärt.

In die Abschlusserklärung des Gipfels schafften es die revolutionären Vorschläge der unwahrscheinlichen Verbündeten zwar nicht. Aber das könnte sich ändern: „Die Planungen sind für diesen Gipfel noch nicht reif“, sagt ein damit befasster EU-Beamter, „das ist etwas für die Zukunft.“ Die EU-Staaten scheinen wild entschlossen, nach der östlichen Route über Griechenland auch die zentrale Mittelmeerroute für Migranten und Flüchtlinge zu schließen. „Ich kann Ihnen versichern, das ist in Reichweite“, sagte Ratspräsident Donald Tusk.

Die Nervosität ist groß. In den Niederlanden, Frankreich und Deutschland stehen Wahlen an, in denen sich Erfolge fremdenfeindlicher Parteien abzeichnen. Im vergangenen Jahr waren 181.000 Menschen über das Meer nach Italien gekommen und mehr als 5000 beim Versuch ertrunken – beides neuer Rekordwerte. Die Sorge in den Hauptstädten ist groß, dass es in diesem Jahr noch mehr werden könnten, wenn die EU nicht schnell etwas unternimmt.

90 Prozent der ganz überwiegend afrikanischen Migranten war 2016 von der Küste Libyens in See gestochen. Deshalb konzentrieren sich die Bemühungen auf das nordafrikanische Land, in dem zahlreiche Milizen um die Macht kämpfen. Die EU will politisch und finanziell mehr tun, um das im Chaos versinkende Land zu befrieden. „Wir brauchen eine politische Lösung für ein stabiles Libyen, daran ist noch viel zu arbeiten“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Ohne eine bessere Sicherheitslage im Land dürfte es kaum möglich sein, den Andrang der ganz überwiegend nicht asylberechtigten Migranten aus Afrika einzudämmen. Den Ansatz der EU fasste Merkel in einem Dreiklang zusammen: „Illegalität unterbinden, Schmugglern und Schleusern das Handwerk legen und die Situation der Flüchtlinge verbessern“. Dabei, so die Kanzlerin, „müssen wir genauso vorgehen, wie wir es in der Türkei gemacht haben“.


Libysche Küstenwache soll Grenze besser schützen

Mit der türkischen Regierung hatte die Union vor knapp einem Jahr ein Abkommen geschlossen, das zum drastischen Rückgang der Flüchtlingszahlen im östlichen Mittelmeer beigetragen hatte. Völlig unklar ist aber, wie das Kernelement des Pakts – die Rückführung aller irregulären Migranten von den griechischen Inseln in die Türkei – auf Libyen übertragen könnte. Die rechtlichen und praktischen Probleme sind enorm und weit davon entfernt gelöst zu sein.

In der Abschlusserklärung des Gipfels und in einer am Donnerstagabend getroffenen Vereinbarung zwischen Libyen und der libyschen Regierung findet sich daher nichts dazu. Stattdessen kündigen die EU-Staaten an, „an jedem einzelnen Punkt entlang der Migrationsroute“ anzusetzen: die bislang kaum existenten libyschen Küstenwache soll deutlich schneller aufgebaut, die Landgrenzen des Landes auch mithilfe der Nachbarstaaten besser geschützt und die Schleusernetzwerke wirksamer bekämpft werden. Die oft katastrophale Lage der Flüchtlinge wollen die Regierungschefs mithilfe des UN-Hilfswerks und der Internationalen Organisation für Migration und durch eine stärkere wirtschaftliche Unterstützung der libyschen Städte verbessern. Schließlich sollen die Migranten durch Aufklärungskampagnen und finanzielle Anreize zur Rückkehr in ihre Heimatländer bewegt werden.

Der Gastgeber des Gipfels, Maltas Premierminister Joseph Muscat, hatte aber bereits vor Beginn deutlich gemacht, dass das nicht ausreichen wird: „Wenn wir nicht mehr tun, werden wir in einigen Monaten eine neue Krise sehen“, warnte er.

Hier könnten de Maizières Vorschläge ins Spiel kommen: Der wahrgenommene Handlungsdruck ist so groß, dass die EU auch radikale Maßnahmen ernsthaft in Erwägung zieht. In der EU-Kommission zerbrechen sich derzeit zahlreiche Juristen den Kopf, ob das Zurückweisen von Flüchtlingsbooten auf offener See mit europäischem und internationalem Recht irgendwie in Einklang gebracht werden könnte. Um Asylanträge außerhalb Europas in Asylzentren bearbeiten zu können, müsste definitiv das europäische Recht geändert werden.

Fraglich ist auch, wie die von de Maizière vorgesehene Umsiedlung asylberechtigter Flüchtlinge in nennenswerter Zahl organisiert werden könnte. Dennoch können auch einige in der Kommission seinen Ideen etwas abgewinnen: Sie könnten den Weg bereiten, um die Asylagentur EASO zu einer echten europäischen Asylbehörde auszubauen, die selbst über Anträge entscheidet. Bislang ist dies allein Sache der Mitgliedsstaaten. Dass aber einzelne EU-Staaten in nordafrikanischen Flüchtlingslagern Asylanträge bearbeiten, scheint schwer vorstellbar.

Über das Ziel der Gedankenspiele aber macht sich ein hochrangiger EU-Beamter keine Illusionen: „Am Ende werden wir in der Bevölkerung nur daran gemessen, dass wir die Flüchtlingszahlen runterbringen.“ Dabei hatte die Außenbeauftragte zum Beginn des Gipfels mit Blick auf die neue US-Regierung noch betont: „Wir glauben nicht an Mauern“.

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