Global Risk Report 2018 Alarmstufe rot

Eine Woche vor dem Treffen in Davos warnt das World Economic Forum vor akuten Bedrohungen für die Welt. Die nehmen stark zu und es zeigt sich: Schwierig wird es, wenn Risiken sich durch globale Vernetzung verstärken.

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WEF Global Risk Report 2018: Alarmstufe rot Quelle: dpa

Berlin Die Welt hat gleich an mehreren Stellen ihre Belastungsgrenze erreicht. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Global Risk Report des World Economic Forums (WEF) in Genf. Die zunehmenden Bedrohungen reichen von einem „mit Massensterben vergleichbaren Verlust der biologischen Vielfalt bis zur wachsenden Besorgnis über den möglichen Ausbruch neuer Kriege“, heißt es in dem Bericht, der auf einer weltweiten Befragung von rund 1000 Risikoexperten in Wirtschaft und Politik basiert. Fast 60 Prozent der Befragten rechnen damit, dass die globalen Risiken in diesem Jahr wachsen, nur sieben Prozent glauben, dass sich die Lage entspannen wird.

Zwar hätten viele Menschen einen historisch noch nie dagewesenen Lebensstandard erreicht, schreibt WEF-Gründer Klaus Schwab. Doch die Beschleunigung und Vernetzung „in nahezu jedem Feld menschlicher Aktivität“ überfordere nicht nur viele Menschen in ihrem Alltag, sondern bringe ganze Länder ins Wanken.

Unternehmen seien dank ihres ausgefeilten Risikomanagements inzwischen ganz gut in der Lage, sich gegen viele konventionelle Einzelrisiken etwa durch bessere Vorsorge, Frühwarnsysteme oder Hedging abzusichern. Schwierig werde es aber immer dann, wenn Risiken sich durch die globale Vernetzung von Wirtschaft, Umwelt und Geopolitik gegenseitig verstärkten und beschleunigten.

Von 30 globalen Risiken machen Umweltgefahren den Experten die größte Sorgen. In den vergangenen zehn Jahren sind Bedrohungen der Natur wie extreme Wetterereignisse, Verlust der biologischen Vielfalt und Zusammenbruch des Ökosystems, große Naturkatastrophen und vom Menschen verursachte Umweltkatastrophen stetig angewachsen. „Naturkatastrophen wie Dürren, Hochwasser oder Stürme werden wahrscheinlich zunehmen, wenn sich die Erde erwärmt und Wetterlagen durch den Klimawandel wechselhafter werden. Deshalb beginnen die Kreditmärkte, den Klimawandel ernster zu nehmen. Umwelt- und Klimarisiken können in vielerlei Hinsicht darüber entscheiden, ob jemand seine finanziellen Verpflichtungen erfüllen kann und will“, warnt Michael Wilkins, Chef der Sparte Sustainable Finance bei der Ratingagentur Standard & Poor’s.

Das deckt sich durchaus mit ähnlichen Risikostudien wie zum Beispiel dem neuen Risk Barometer der Allianz. Auch dort stehen Umweltrisiken etwa durch Naturkatastrophen weit oben auf der Liste. Sie gelten auch als eine der wichtigsten Ursachen für Betriebsunterbrechungen, deren Gefahr von deutschen Unternehmen als das Top-Risiko gesehen wird. Die Allianz warnt zudem vor „Cyber-Hurrikanen“: „Jüngste Ereignisse wie das Mirai-Botnet und die WannaCry- und Petya-Angriffe führten in 2017 zu erheblichen finanziellen Verlusten für eine große Anzahl von Unternehmen“, heißt es im Risk Barometer. Auch die kürzlich identifizierten Sicherheitslücken in Computerchips in nahezu jedem modernen Kommunikationsgerät zeigten die digitalen Schwachstellen moderner Gesellschaften auf, warnen die Allianz-Experten.

Hinzu kommt, dass Cyberrisiken durch die wachsenden geopolitischen Gefahren noch einen zusätzlichen Schub bekommen. „Geopolitische Reibungen tragen dazu bei, dass Cyberangriffe sowohl häufiger als auch komplexer werden. Gleichzeitig nimmt die digitale Angriffsfläche zu, da Unternehmen immer stärker von Technologie abhängig sind“, konstatiert John Drzik, Präsident der Sparte Global Risk and Digital bei der Beratungsagentur Marsh & McLennan, die den WEF-Report mit durchgeführt hat. Cyberattacken seien das Toprisiko aus Sicht der Manager. Sie würden 2018 deutlich zunehmen. Man werde mehr staatlich gesponserte Cyberattacken sehen.

Da die Zahl der internetfähigen Geräte in der Welt rasant wachse (geschätzt auf 20 Milliarden bis 2020), werde die Angriffsfläche immer größer. Cyberrisiken richteten genauso viel oder mehr wirtschaftlichen Schaden an als Naturkatastrophen, sagte Drzik. „Wenn jemand einen Cloud-Anbieter außer Gefecht setzt, kann der Schaden 50 bis 120 Milliarden Dollar betragen. Das entspricht einem Hurrikan Sandy oder Katrina“. Doch die Infrastruktur von Regierungen und Unternehmen zur Abwehr dieser Attacken sei zu klein und unterfinanziert. Nur ein Drittel aller Unternehmen hätten überhaupt einen Plan für den Umgang mit Cyberattacken.


Die lange Lists des Schreckens

Dass die neuen Technologien nicht nur Segen, sondern auch ein Risiko sein können, zeigt die Debatte um die Künstliche Intelligenz. Die Gefahr, die von neuen Technologien wie Drohnen oder der Nanotechnik ausgeht, ist im weltweiten Ranking des Allianz Risk Barometer von Rang zehn auf sieben geklettert und das auch in Deutschland.

Das geopolitische Umfeld hat sich durch die zahlreichen Krisen rund um den Globus massiv verschlechtert: 93 Prozent der vom WEF befragten Risikoexperten gaben an, dass sich die politischen oder wirtschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten 2018 verschärfen werden und fast 80 Prozent erwarten eine Zunahme der Risiken, die mit einem Krieg unter Beteiligung von Großmächten verbunden sind.

„Die "America First"-Politik von US-Präsident Donald Trump haben die von den USA lange Zeit garantierte Weltordnung ins Wanken gebracht“, analysiert Ian Bremmer, Chef der Beratungsagentur Eurasia Group, die Lage, „die globalen Risiken sind dadurch deutlich gestiegen, und es ist klar erkennbar, dass die Welt momentan führungslos ist“. Dieser Prozess werden sich 2018 weiter beschleunigen, warnt der Risikoexperte.

„Die USA bleiben dennoch ein absolut entscheidender Player in allen Fragen, die wir kommende Woche diskutieren“, betont Rick Samans, Mitglied des Managing Boards des WEF, mit Blick auf das Treffen in Davos. Auf die Frage, ob Trumps „America First“-Ideologie nicht dem Grundgedanken des WEF widerspreche, sagte er: „Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem nationalen Interesse und der internationalen Zusammenarbeit.“

„Wo aber Gefahr wächst, wächst das Rettende auch“, heißt es bei Hölderlin. Und so sehen es die Risikomanager. Ihre Hoffnungen stützen sie vor allem auf die wirtschaftliche Lage, die so gut ist wie schon lange nicht mehr. „Die umfassende wirtschaftliche Erholung bietet uns eine Chance, die wir nicht vergeuden dürfen“, fordert WEF-Gründer Schwab. Tatsächlich scheinen die meisten Folgen der globalen Finanzkrise heute überwunden. Die Weltwirtschaft soll nach Voraussage des Internationalen Währungsfonds (IWF) in diesem Jahr wieder mit einer Rate von rund 3,6 Prozent wachsen.

Vor allem die von der Finanzkrise gebeutelten Industrieländer in Nordamerika und Europa haben sich erholt. Das eröffnet finanzielle Spielräume, um sich gegen künftige Risiken besser zu wappnen. Allerdings lauern auch hier Gefahren: Zwar sehe wirtschaftliche Umfeld für 2018 sehr positiv aus, sagt Samans. Es gebe allerdings „einige Flashpoints“ in den Finanzmärkten. Die Bitcoin-Rallye sei beispielhaft „für die Entwicklung von Wertpapieren generell“.

Dass mehr getan werden muss, um Wirtschaft und Gesellschaft krisenfester zu machen, zeigen die „zukünftigen Schocks“, die von den WEF-Experten identifiziert werden konnten: Von Ernteausfällen über die zunehmenden Gefahren im Umgang mit Künstlicher Intelligenz und das steigende Risiko eines globalen Handelskrieges bis hin zu Finanzblasen, Aufständen gegen soziale Ungleichheit und militärischen Auseinandersetzungen reicht die lange Liste des Schreckens.

Darin nicht enthalten sind solche Risiken, die wir heute noch gar nicht kennen. Der frühere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nannte sie „unkown unknowns“ – und die gelten seit der Immobilienkrise 2008 in den USA gemeinhin als die größten Gefahren.

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