Görlachs Gedanken
USA: Heutzutage lebt China den amerikanischen Traum Quelle: imago images

China lebt den amerikanischen Traum

China und nicht mehr die USA ist zum Land des kapitalistischen Traums geworden. Der Kapitalismus US-amerikanischer Prägung hat keinen Platz mehr im 21. Jahrhundert.

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Während die Vereinigten Staaten von Amerika neue Sanktionen gegen den Iran verhängen, wird in der Volksrepublik China eine neue Bahnlinie nach Teheran eröffnet. Die beiden großen Rivalen auf der Weltbühne lassen derzeit keine Gelegenheit aus, miteinander Kräfte zu messen. Das Festhalten an der Bahnlinie und das ostentative Ökonomisieren Pekings mit den Iranern war die nächste Eskalationsstufe nach der Ankündigung der USA, Strafzölle auf chinesischen Stahl zu verhängen. Dass diese nun vorerst vom Tisch sind, hängt sicher damit zusammen, dass beide Seiten einsehen, dass es dem Handel nicht zuträglich ist, wenn sie beide dauerhaft im Streit liegen.

Die große Systemfrage ist dadurch aber noch nicht beantwortet. Denn beide, China und die USA, vertreten verschiedene Auffassungen vom Wirtschaften in der digitalen Welt, so dass dieser Moment als nicht mehr denn ein Pausenzeichen gezählt werden kann. 

Bei der Analyse der Divergenzen der Ökonomie beider Länder muss zuerst mit den Mythen, die beide umgeben, aufgeräumt werden: in den USA wird man nicht mehr vom Tellerwäscher zum Millionär und China ist kein kommunistisches Land. Ein Drittel der US-Bevölkerung ist abgehängt und kommt ökonomisch nicht vor. Wer überschuldet oder illiquide ist, der hat in einem Land, in dem der Konsum Alles ist, keine Optionen mehr. Ein Tagesausflug nach Peking genügt und man sieht, dass sich der kapitalistische Traum, der Amerika groß gemacht hat, in der Volksrepublik seinen Widergänger findet. In den Glasfassaden der Shopping Malls und den getönten Scheiben deutscher Luxusautomobile spiegelt sich das, was einmal der Aufstieg in der US-amerikanischen Mittelschicht gewesen ist. Die beiden Kontrahenten könnten sich hier näher nicht sein.

Zum Aufstieg in ihrer beider Kapitalismus gehört eine gewisse Rücksichtslosigkeit, die aus dem, was man zivilisiert "den Markt” nennt, ein El Dorado macht, in dem immerwährende Bonanza herrscht, allein der Überlebenswille des Stärkeren zählt. China ist ein neuer “Wilder Westen". Der Umgang mit Daten in beiden Ländern, die gerne als “Rohstoffe des 21. Jahrhunderts” apostrophiert werden, zeigt die prinzipielle Offenheit beider ökonomischer Systeme, das “anything goes” zum ethischen Prinzip zu erheben. 

Mein Mandarinlehrer hat mir erklärt, dass man im Chinesischen immer zuerst “ich” sage und dann erst den Namen des anderen. Die Erzählung vom Gemeinschaftssinn und vom Kollektiv scheinen also, gesetzt diese Aussage ist richtig, auch nicht (mehr) zu verfangen. Der Mythos vom Gemeinsinn, der dem westlichen Individualismus überlegen sei, müsste dann auch zur Seite geräumt werden. 

Die Volksrepublik China ist ein Einparteien-Kapitalismus, die Vereinigten Staaten von Amerika sind im internationalen Demokratie-Index gefallen und rangieren, seit Donald Trump im Weißen Haus regiert, auf einer Stufe mit Botswana und Italien. Das ist nicht das Ende der Demokratie in den USA, aber es macht gleichzeitig wenig Mut, Demokratie und Kapitalismus in einer Weise zu verbinden, für die der Name “Trump” steht.

Die USA in der Bringschuld

Zu den besten Ländern auf diesem Index gehört, unter anderem, Norwegen. Und es erklärt sich schon allein aus dem Blick auf den Demokratie-Index, warum die Norweger, trotz Einladung von Präsident Trump, dankend abgelehnt haben, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Die Volksrepublik, die keine Demokratie ist, hat es innerhalb von dreißig Jahren geschafft, hunderte Millionen Menschen aus der Armut zu befreien. Es gibt unzählige Städte in dem Land, die in dieser Zeit aus dem Nichts errichtet wurden, es gibt sagenhafte Infrastruktur und Hunger nach Bildung. Die USA sind hier in der Bring-Schuld.

Beide Länder kämpfen zur gleichen Zeit an derselben Stelle: in China wurde mit der Kulturrevolution alles Alte zerstört. Heute versucht man, im Reich der Mitte durch Rückbezug auf die Lehre des Konfuzius die Bürger zu einem guten Leben zu erziehen. Das kann schon mal ganz klein beginnen, nämlich mit der Aufforderung, nicht einfach so auf die Straße zu spucken. In den USA haben viele Menschen in abgehängten Regionen ein Drogenproblem. Der Vorteil der USA wiederum ist, dass dort die Freiheitsrechte des Bürgers von jeher als Abwehr gegen den Staat verstanden werden und als Ermächtigung, selbst ökonomisch tätig zu werden. 

In China hingegen wird bald ein Punktesystem für alle darüber entscheiden, ob man ein “braver Bürger” ist. Heißt die Antwort “Nein”, dann kann man kein Zugticket mehr kaufen oder wird sonst drakonisch eingeschränkt und bestraft. Wenn China diesen Weg bis zum Ende geht, fällt es als Innovator für den Kapitalismus aus. Peking hat sich das Machtvakuum, das Donald Trump erzeugt hat, zunutze gemacht und sich bereit erklärt, künftig als Hüter des Welthandels zu agieren. Das ist unter diesen Bedingungen völlig undenkbar, gleichzeitig ist aber das Gedankenexperiment angebracht, ob das “chinesische Modell” nicht in der Lage ist, das besser zu machen, was im von den USA angeführten kapitalistischen 20. Jahrhundert falsch gelaufen ist.

Groß ist die Bewunderung in europäischen Konzernen für den Durchgriff, den Peking auf das Land hat. Es ist ja klar, dass in einer Nicht-Demokratie keiner gefragt werden muss. Aber wegen dieser Machtfülle, die die Kommunistische Partei hat, ist es dennoch nicht zwangsläufig gegeben, dass sie sich für Gescheites und Sinnvolles entscheidet. China hat da einiges aufzuweisen, seine gigantischen Infrastruktur-Pläne dürften manchem Projektplaner in Deutschland die Schamröte ins Gesicht treiben. 

Die beiden Antagonisten China-USA sind also, das ist das Fazit dieser kurzen Gegenüberstellung, so unterschiedlich nicht. Wenn es China gelänge, nicht dieselben Fehler zu machen, wie die USA, und das würde bedeuten, sich nicht mit Haut und Haar dem Konsumerismus an den Hals zu werfen und einem enthemmten Finanzkapitalismus zu frönen, dann könnte es etwas werden mit China und der Welt. 

Der Kapitalismus US-amerikanischer Prägung hat keinen Platz mehr im 21. Jahrhundert. Ein Land, dessen Bevölkerung und Regierung den Klimawandel nicht anerkennt, gleichzeitig aber mehr Ressourcen verschlingt, als der Planet tatsächlich perspektivisch bereit hält, beherrscht weder die Grundrechenarten noch das Gespür für das, was möglich ist. Unser westlicher Kapitalismus ist am Ende und wird gerade neu herausgefordert durch Künstliche Intelligenz, die dem Menschen unter Umständen den Mühlstein am Hals wegnimmt, der aus Erwerbsarbeit und mit ihr verbundenen sozialen und ökonomischen Möglichkeiten besteht. 

China muss sich entscheiden: will es den Weg gehen, den die USA bereits gegangen sind, oder einen eigenen Weg einschlagen? Der Konflikt um die Iran-Sanktionen hat gezeigt, dass den USA schon längst ein Ebenbürtiger erwachsen ist. Das Reich der Mitte benimmt sich aber noch wie ein Teenager, an dem die neuen Klamotten schlackern und der nicht weiß wohin mit seiner neuen Kraft. Das "One Belt One Road”-Projekt gibt davon beredt Kunde: China investiert auf der ganzen Welt und es ist fraglich, ob sich das Land dabei nicht heftig überhoben hat. 

Das politisch kriselnde Europa sollte sich stärker an China annähern. Nicht, weil es den USA nichts mehr zu sagen hätte, sondern, weil es als Erfinder des Sozialstaates, der Allgemeinen Gesundheitsversorgung und des Generationenvertrags etwas mit an den Tisch bringt, was China derzeit noch fehlt. Es ist Peking zu wünschen, dass es die Kraft findet, zuzuhören. 

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