Görlachs Gedanken

China lebt den amerikanischen Traum

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Die USA in der Bringschuld

Zu den besten Ländern auf diesem Index gehört, unter anderem, Norwegen. Und es erklärt sich schon allein aus dem Blick auf den Demokratie-Index, warum die Norweger, trotz Einladung von Präsident Trump, dankend abgelehnt haben, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Die Volksrepublik, die keine Demokratie ist, hat es innerhalb von dreißig Jahren geschafft, hunderte Millionen Menschen aus der Armut zu befreien. Es gibt unzählige Städte in dem Land, die in dieser Zeit aus dem Nichts errichtet wurden, es gibt sagenhafte Infrastruktur und Hunger nach Bildung. Die USA sind hier in der Bring-Schuld.

Beide Länder kämpfen zur gleichen Zeit an derselben Stelle: in China wurde mit der Kulturrevolution alles Alte zerstört. Heute versucht man, im Reich der Mitte durch Rückbezug auf die Lehre des Konfuzius die Bürger zu einem guten Leben zu erziehen. Das kann schon mal ganz klein beginnen, nämlich mit der Aufforderung, nicht einfach so auf die Straße zu spucken. In den USA haben viele Menschen in abgehängten Regionen ein Drogenproblem. Der Vorteil der USA wiederum ist, dass dort die Freiheitsrechte des Bürgers von jeher als Abwehr gegen den Staat verstanden werden und als Ermächtigung, selbst ökonomisch tätig zu werden. 

In China hingegen wird bald ein Punktesystem für alle darüber entscheiden, ob man ein “braver Bürger” ist. Heißt die Antwort “Nein”, dann kann man kein Zugticket mehr kaufen oder wird sonst drakonisch eingeschränkt und bestraft. Wenn China diesen Weg bis zum Ende geht, fällt es als Innovator für den Kapitalismus aus. Peking hat sich das Machtvakuum, das Donald Trump erzeugt hat, zunutze gemacht und sich bereit erklärt, künftig als Hüter des Welthandels zu agieren. Das ist unter diesen Bedingungen völlig undenkbar, gleichzeitig ist aber das Gedankenexperiment angebracht, ob das “chinesische Modell” nicht in der Lage ist, das besser zu machen, was im von den USA angeführten kapitalistischen 20. Jahrhundert falsch gelaufen ist.

Groß ist die Bewunderung in europäischen Konzernen für den Durchgriff, den Peking auf das Land hat. Es ist ja klar, dass in einer Nicht-Demokratie keiner gefragt werden muss. Aber wegen dieser Machtfülle, die die Kommunistische Partei hat, ist es dennoch nicht zwangsläufig gegeben, dass sie sich für Gescheites und Sinnvolles entscheidet. China hat da einiges aufzuweisen, seine gigantischen Infrastruktur-Pläne dürften manchem Projektplaner in Deutschland die Schamröte ins Gesicht treiben. 

Die beiden Antagonisten China-USA sind also, das ist das Fazit dieser kurzen Gegenüberstellung, so unterschiedlich nicht. Wenn es China gelänge, nicht dieselben Fehler zu machen, wie die USA, und das würde bedeuten, sich nicht mit Haut und Haar dem Konsumerismus an den Hals zu werfen und einem enthemmten Finanzkapitalismus zu frönen, dann könnte es etwas werden mit China und der Welt. 

Der Kapitalismus US-amerikanischer Prägung hat keinen Platz mehr im 21. Jahrhundert. Ein Land, dessen Bevölkerung und Regierung den Klimawandel nicht anerkennt, gleichzeitig aber mehr Ressourcen verschlingt, als der Planet tatsächlich perspektivisch bereit hält, beherrscht weder die Grundrechenarten noch das Gespür für das, was möglich ist. Unser westlicher Kapitalismus ist am Ende und wird gerade neu herausgefordert durch Künstliche Intelligenz, die dem Menschen unter Umständen den Mühlstein am Hals wegnimmt, der aus Erwerbsarbeit und mit ihr verbundenen sozialen und ökonomischen Möglichkeiten besteht. 

China muss sich entscheiden: will es den Weg gehen, den die USA bereits gegangen sind, oder einen eigenen Weg einschlagen? Der Konflikt um die Iran-Sanktionen hat gezeigt, dass den USA schon längst ein Ebenbürtiger erwachsen ist. Das Reich der Mitte benimmt sich aber noch wie ein Teenager, an dem die neuen Klamotten schlackern und der nicht weiß wohin mit seiner neuen Kraft. Das "One Belt One Road”-Projekt gibt davon beredt Kunde: China investiert auf der ganzen Welt und es ist fraglich, ob sich das Land dabei nicht heftig überhoben hat. 

Das politisch kriselnde Europa sollte sich stärker an China annähern. Nicht, weil es den USA nichts mehr zu sagen hätte, sondern, weil es als Erfinder des Sozialstaates, der Allgemeinen Gesundheitsversorgung und des Generationenvertrags etwas mit an den Tisch bringt, was China derzeit noch fehlt. Es ist Peking zu wünschen, dass es die Kraft findet, zuzuhören. 

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