Görlachs Gedanken
Chinas Minderheiten: Xi Jinping dreht die Zeit zurück Quelle: REUTERS

Herr Xi dreht die Zeit zurück

In Sachen Migration ist China ein noch größeres Pulverfass als die USA. Minderheiten in China, die sich vor Xi Jinpings Amtsantritt als Teil des Landes fühlen konnten, werden verdrängt und verunglimpft. Ein Skandal, dass dies vor den Augen der Weltöffentlichkeit geschieht.

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Wie wird die Welt im Jahr 2019 aussehen? Wie in jedem Jahr fragen wir auf der Schwelle ins neue Jahr, was die Zukunft bringen mag. In den vergangenen Jahren wurden wir dabei stets aufgeregter: die Welle von Nationalismus und Populismus, die jeden Teil der Welt erfasst hat, das Brexit-Votum, die Wahl von Donald Trump, der Aufstieg Chinas und der Handelskonflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik. Wohin steuern wir in 2019? Wird alles noch schlimmer? Oder kann die Menschheit aufatmen und einer neuen Morgenröte entgegen gehen?

Seit den frühen Achtzigerjahren waren die Zahlen und Szenerien auf dem Tisch, in der Zwischenzeit sind diese Prognosen Wirklichkeit geworden: die Welt ist überbevölkert und die Natur steht vor dem Kollaps. Klimawandel und Migration sind die Top-Themen auf der Agenda für das Jahr 2019, alles andere ist in seiner Wichtigkeit und Dringlichkeit davon abgeleitet. Diese beiden Mega-Herausforderungen werden allerdings nicht ausreichend adressiert: Donald Trump ist aus dem Klimaabkommen von Paris ausgestiegen und möchte eine Mauer zwischen den USA und Mexiko bauen. Beides sind keine erbaulichen und nachhaltigen Konzepte, mit denen man dem Klimawandel und der weltweiten Migration begegnen könnte.

Die Volksrepublik gilt, auch in der Bundesrepublik, als ein Muster-Land, in dem Ökologie und Ökonomie in einer harmonischen Symbiose leben. In der Tat kann der Rest der Menschheit froh sein, dass die Führung in Peking zumindest ihr Augenmerk auf die Lebensqualität, vor allem saubere Luft und trinkbares Wasser, für die Menschen in China gelegt hat. Gleichzeitig verbraucht ein US-Amerikaner immer noch dreieinhalbmal so viel Ressourcen wie ein Chinese. Ohne die USA kann also der Klimawandel nicht wirksam bekämpft werden.

In Sachen Migration ist die Volksrepublik allerdings ein noch größeres Pulverfass als die USA es sind. Die Minderheiten in China, die sich vor dem Amtsantritt von Präsident Xi Jinping als Teil des Landes fühlen konnten, werden nunmehr immer stärker an die Seite gedrängt und verunglimpft. Sei es die tibetanische oder die muslimische Kultur im Reich: beide werden eliminiert, während ich diese Zeilen schreibe; die Menschen sollen maximal assimiliert werden. Chinas Führer geht den Weg, den die Herren Putin, Erdogan und Modi gehen (und der von Donald Trump bewundert wird): Ausgrenzung von Menschen anderen Aussehens, Sprache und Religion. Auch wenn die USA unter Donald Trump verwahrlost sind, was den angemessenen Umgang mit Migranten angeht: so tief wie die genannten Länder unter ihren Führern gesunken sind, sind die USA bei weitem noch nicht.

In China geschieht diese massive Ausgrenzung und Herabwürdigung in den nördlichen und westlichen, annektierten Teilen des Landes, während im chinesischen Kernland ökonomisch betrachtet der Bär steppt und eine Bürgerin oder ein Bürger Chinas in Ruhe und Frieden als Unternehmer oder Arbeitnehmer sein Leben gestalten kann, ohne von den Behörden behelligt zu werden. Dieser Teil des Landes ist das gute China, jenseits der imaginierten Grenze, die man vor seinem geistigen Auge vom Nordosten in den Südwesten ziehen kann, liegt das böse China. Menschen in Shanghai oder Peking wissen sehr wahrscheinlich noch nicht einmal, was wirklich in Xinjang, der Provinz, in der die Muslime leben, passiert. Für den Rest der Welt ist es wichtig, das im Auge zu behalten und auch zu wissen, dass Präsident Xi für seine Politik der Abschottung und Ausgrenzung im Land nicht nur Applaus erhält. Die Volksrepublik hat im Jahr 2018 den Reformen von Deng Xiao-ping von vor 40 Jahren gedacht. Von da an bis zum Amtsantritt von Präsident Xi hat das Land einen offenen Kurs eingeschlagen, Freundschaft zu den USA inklusive. Herr Xi dreht die Zeit zurück. Das gefällt bei weitem nicht jedem im politischen Establishment.

Das China Dengs, das immer noch lebendig ist, ist offen gegenüber den freiheitlichen Ideen, die liberale Demokratien auszeichnet. Es kann in dem Miteinander zwischen China und der freien Welt letztendlich nicht darum gehen, aus der Volksrepublik eine parlamentarische Demokratie zu machen. Wohl aber gilt es, für die Freiheit der Person zu werben, eine Freiheit, die für einen Bürger in einer an Werten orientierten Nation in politischen und sozialen rechten niederschlägt. Bürger sind die Träger der politischen Ordnung, in einem auf Meritokratie und konfuzianischem Denken fußenden Einparteienstaat genauso wie in den liberalen Demokratien, die es im christlichen Abendland gibt.

Zurück zum bösen China: Die BBC hat in dieser Dokumentation gezeigt, wie schnell die Konzentrationslager für Muslime wachsen und wie die Indoktrination in den Lagern der Provinz Xinjiang aussieht. Es ist ein Skandal, dass dies vor den Augen der Weltöffentlichkeit geschieht. Gerade die Bundesregierung müsste nunmehr auf das entschiedenste darauf drängen, dass sich hier etwas ändert. Deutschland, das die Verantwortung trägt, die Erinnerung an den Holocaust an den Juden weiterzugeben und damit jede Wiederholung eines Genozids zu verhindern, muss es unerträglich sein, wenn an einem anderen Ort auf der Welt Menschen wegen ihrer Ethnie oder Religion in Konzentrationslager gesperrt und ihrer Menschenwürde beraubt werden. Wir müssen dieses Problem schnell adressieren, bevor aus den Internierungscamps Todesfabriken werden.

Die sieben größten Baustellen für 2019
Deutschland hat die Energiewende eingeleitet. Das letzte Kernkraftwerk soll spätestens 2022 vom Netz gehen. Quelle: dpa
Die Netzbetreiber sträuben sich. Beim Breitbandausbau geht es vielen zu langsam. Quelle: dpa
Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat sich die Situation zwar etwas entspannt, weil weniger Asylbewerber ins Land kommen. Quelle: dpa
Nach Jahren des Sparkurses soll die Bundeswehr mit modernem Gerät aufgerüstet werden, um für Aufgaben der Landesverteidigung und für internationale Einsätze bereit zu sein. Quelle: dpa
Die einen fürchten um ihre Gesundheit, die anderen klagen über Fahrverbote. Quelle: dpa
Der Ruf nach mehr Polizisten kommt aus Bund und Ländern. Quelle: dpa
Brexit und der Umgang mit Trump Quelle: REUTERS

In einem Moment, in dem in Europa viel über unsere Identität nachgedacht und räsoniert wird, kann der „Call to Action“ gegenüber China uns neu zusammenführen: Die Europäische Union, darüber hinaus die demokratische Welt, sind der Verbund von Staaten, in denen die Menschenrechte anerkannt und in Gesetz und Rechtsprechung überführt sind. In diesem Sinne sind wir ein Staatenbund oder eine Föderation: nicht, weil wir Souveränität abgäben, sondern weil unsere verschiedenen Staaten auf derselben philosophischen und rechtlichen Grundlage stehen. Hier sind wir in Europa, in Deutschland, verbunden westlichen Ländern, aber darüber hinaus mit anderen liberalen Demokratien wie denen in Japan, Südkorea und Taiwan.

Der wahre Identitätskonflikt der Gegenwart ist deshalb genau dieser: zwischen dem Teil der Welt, in dem die Menschenrechte die Grundlage und Legitimation von Staatlichkeit und Nationen bilden, und dem Teil, in dem das nicht nur nicht der Fall ist, sondern Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit mit Füßen getreten werden, wie in China, Russland, der Türkei, dem Iran und in Saudi-Arabien.

Dabei ist es gut für uns, nie zu vergessen: in unserem Teil der Welt, die sich über jeden Kontinent spannt, sind die Trennlinien von Sprache, Ethnie, Religion und Kultur nicht mehr Grundlage von Politik. Vielmehr sehen wir: Muslime können genauso Demokraten sein wie Buddhisten Anwälte der Menschenrechte. Die Menschenrechte sind in der Tat universell. Die liberale Weltordnung anerkennt Verschiedenheit und gibt doch einen verbindlichen Rahmen vor, innerhalb dessen die großen Fragen der Gegenwart - Klimaschutz und Migration - beantwortet werden können.

Damit das Jahr 2019 ein gutes werden kann, ist entscheidend, dass sich die demokratische Welt ihrer Verbundenheit mehr bewusst wird. Es ist mehr als eine Herausforderung, dass Donald Trump die Vereinigten Staaten von Amerika mehr und mehr in die Isolation und Entfremdung von den Partnern des Landes führt. Die Europäer werden ihrerseits weiterhin mit dem Brexit und seinen Folgen beschäftigt sein und auch nicht genügend Aufmerksamkeit für die großen Zusammenhänge aufbringen können. Auch in der Alten Welt werden daher die wichtigen Fragen sehr wahrscheinlich nicht adressiert werden können. 2019 wird daher das Jahr für diejenigen, die das, was wir bereits erreicht haben, optimistisch aufnehmen können, und Wandel und Erneuerung nicht als Bedrohung, sondern als Potenzial dafür sehen, mehr Gutes und Schönes zu schaffen.

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