Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: Der amerikanische Präsident bezeichnet die Ermittlungen, die wegen einer möglichen Einmischung Russlands in die Wahl 2016 laufen, als “Hexenjagd” und distanziert sich explizit von den Sicherheitsbehörden seines Landes. Doch mit Donald Trump ist auch das möglich. Umgehend klassifiziert ein ehemaliger Geheimdienst-Chef das skandalöse Verhalten denn auch als nahe am Landesverrat. Doch die Begegnung zwischen Präsident Trump und dem russischen Machthaber Wladimir Putin verheißt nicht nur für die US-Amerikaner, sondern noch viel mehr für die Europäer nichts Gutes.
Trump hat seine Attacken, die der westlichen Allianz schwere Schläge zufügen sollen, intensiviert fortgesetzt. Auf den Eklat des G7-Gipfels, auf dem der US-Präsident seine Partner beleidigte und gleichzeitig forderte, Russland wieder mit an den Tisch zu holen, folgte in Helsinki der nächste Streich: Herr Trump solidarisiert sich mit der russischen Führung, spricht kein einziges heikles Thema an und verbrüdert sich mit dem Herrn des Kreml kurz nachdem mehrere Personen in den USA wegen Spionage für Russland verhaftet wurden.
Für die Europäer wurde einmal mehr sichtbar, was die Zölle auf Produkte aus der EU bereits unmissverständlich ankündigten: Donald Trump will das Ende Europas. Zwischen ihm und Putin soll es zerrieben werden. Was nach seinem Besuch in Großbritannien klar wurde, nämlich, dass er Premierministerin May geraten habe, die EU zu verklagen anstelle von Verhandlungen, könnte direkt aus dem Handbuch des Kreml kommen. Dort wie im Weißen Haus ist man überzeugt davon, dass liberale Demokratiemodell, das die USA einst einmal selbst nach Deutschland gebracht haben, beseitigen zu müssen.
Nach dem Brexit und den beeinflussten Wahlen in den USA hat Putin nun in Trump die letzte und entscheidende Karte in der Hand, um seinen Sieg zu erreichen. Das ist umso wahrscheinlicher, als die beiden sich in ihrem Furor überähnlich sind: Der Immobilien-Unternehmer, der sich nach einer öffentlichen Zurechtweisung durch Barack Obama bei einem Dinner in Washington im Jahr 2011 geschworen haben soll, ins Weiße Haus einzuziehen, ist ähnlich getrieben wie der russische Führer, für den das Ende der Sowjetunion die größte geostrategische Katastrophe des 20. Jahrhunderts darstellt.
Es arbeiten also zwei mächtige Männer aus unterschiedlichen Gründen an demselben Ziel: Deutschland und die gesamte EU in die Knie zu zwingen. Ist die Union darauf vorbereitet? Keineswegs! Man muss ihr zugutehalten: Wer hätte denn auf ein solches Szenario vorbereitet sein sollen. Wer hätte im Vereinten Europa nach 1989 auch nur im Entferntesten damit gerechnet, dass in den Vereinigten Staaten von Amerika über das Electorate College der radikale Kandidat einer Minderheit zum Commander in Chief und Anführer der freien Welt, wie sich US-Präsidenten nennen, würde? Donald Trumps Kontakte nach Russland reichen in die 90er Jahr zurück. Mit Geld aus Russland hat er über Jahre seine Projekte finanziert. Dass sich hieraus massive Konflikte in seiner neuen Rolle als US-Präsident ergeben, liegt auf der Hand.
Die Konflikte zwischen Trump und Putin
An der Ukraine im Osten Europas hat sich 2014 das schwerste Zerwürfnis zwischen Russland und den USA mit ihren Verbündeten seit dem Kalten Krieg entzündet. Wegen der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland und wegen des verdeckten russischen Militäreinsatzes für Separatisten in der Ostukraine haben die USA und die EU Sanktionen verhängt. Mehr als 10.000 Menschen sind im Osten der Ex-Sowjetrepublik getötet worden, eine Lösung steht aus. Allerdings wird die Sanktionspolitik in Washington vor allem von Kongress und Außenministerium betrieben. Trump selbst hat gesagt, auf der Krim sei doch immer Russisch gesprochen worden.
Im Syrien-Krieg hat Russland als militärische Schutzmacht von Präsident Baschar al-Assad eine starke Stellung. Die USA sind in Syrien zwar militärisch präsent, doch ihr Einfluss ist begrenzt. Trump will die Truppen vollständig abziehen. Er hofft aber auf eine Zusage Putins, den Iran aus Syrien heraus zu drängen. Der US-Präsident wie auch Israel sehen Teheran als Hauptproblem im Nahen Osten. Für Russland ist der Iran eher ein Partner. Auch kann Moskau nach eigenem Bekunden das syrisch-iranische Verhältnis kaum beeinflussen.
Das ausgeklügelte System der nuklearen Rüstungskontrolle ist in die Jahre gekommen und braucht eine Erneuerung. Selbst das jüngste und weitreichendste Abkommen, der New START-Vertrag von 2010, läuft 2020 aus. Russland und die USA werfen einander vor, den INF-Vertrag über das Verbot von Mittelstreckenraketen zu verletzen.
Trump ärgert sich über die geplante russisch-deutsche Erdgaspipeline durch die Ostsee. Wegen Nord Stream 2 machte er Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Nato-Gipfel heftige Vorwürfe. Aus Moskauer Sicht geht es um Konkurrenz: Die USA wollten ihr Flüssigerdgas nach Europa verkaufen. Washington hält schon die Gesetze bereit, um Nord Stream 2 mit Sanktionen zu verhindern.
Jeder russisch-amerikanische Kontakt ist derzeit vergiftet durch den Verdacht, dass Moskau sich in die US-Präsidentenwahl 2016 eingemischt hat. Geheimdienste in Washington haben Belege für Hackerattacken auf Computer der Demokraten gesammelt. Der Präsident sieht die Vorwürfe als Hexenjagd. Putin hat ihm schon vergangenes Jahr erläutert, dass an der Sache nichts dran ist. Doch die Einmischung war auch Auslöser einer ganzen Kette gegenseitiger Ausweisungen von Diplomaten und Schließungen von Konsulaten. Die Arbeit der Botschaften auf beiden Seiten leidet bis heute darunter.
Die dramatische Antwort auf die Geschehnisse von Helsinki lautet: Mit dem Westen ist es ohne seinen Anführer USA vorbei. Ganz einfach, weil die Weltordnung wie sie heute besteht, diejenige ist, die von den USA selbst aufgesetzt, angeführt und garantiert wurde. Wenn die Amerikaner die Weltherrschaft abgeben wollen, wer in der Alten Welt könnte sie daran wirklich hindern? Europa ist durch diese neue Konstellation unter massiven Druck gekommen, Antworten zu finden auf die Frage nach der eigenen Identität. Die EU muss eine kohärente militärische und geheimdienstliche Strategie vorlegen - besser gestern als heute. Sie muss in Sachen Flüchtlingskrise und Einwanderung gemeinschaftlich und den Werten der Union entsprechend agieren, um ihre größte aktuelle Krise abzuwenden.