Görlachs Gedanken
Deshalb beteiltigte sich Deutschland nicht am Syrien-Angriff Quelle: imago images

Warum Deutschland beim Syrien-Angriff nicht mitmachte

Die Nichtbeteiligung an den Luftschlägen gegen Syrien zeigt, dass Deutschland immer noch nicht ganz im Westen angekommen ist. Historische Denkfiguren des 19. Jahrhunderts wirken bis heute fort.

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Es heißt, "der Westen" habe völkerrechtswidrig in Syrien bombardiert. Diese Lesart ist vor allem für jene in Deutschland attraktiv, die Russland als Akteur auf der globalen Ebene zuneigen und von den USA eher Abstand halten möchten. In der Tat ist die Bilanz der Vereinigten Staaten in diesem Jahrhundert in dieser Weltregion verheerend: da ist der Irak-Krieg von George W. Bush, den es nie hätte geben dürfen. Da ist die “rote Linie”, die Barack Obama dem syrischen Diktator bedeutet hat, nicht zu überschreiten. Da ist die Ankündigung von Donald Trump, in Syrien nicht weiter aktiv sein und keine aktive Rolle beim Wiederaufbau des Landes übernehmen zu wollen.

Das war vor dem jüngsten Giftgas-Massaker. Im Moment deutet jedoch noch nichts darauf hin, dass die USA unter ihrem 45. Präsidenten zu einer neuen, umfassenden Strategie in Syrien gefunden hätten. Antagonist der USA in diesem Konfliktgebiet ist das Russland Wladimir Putins. Zu diesem Nachbarn Europas im Osten fühlen auch etliche in der Bundesrepublik eine gewisse Nähe, die auf den ersten Blick surreal wirkt. Dieses Hin- und Hergerissen sein der Deutschen zwischen dem Westen und dem Osten hat eine historische Dimension. Der “deutsche Sonderweg” bis zum verheerenden Zweiten Weltkrieg war schließlich genau das: sich weder der angelsächsischen noch einer westeuropäisch, abendländischen Kulturregion völlig zugehörig zu fühlen. Russland, das man im 19. Jahrhundert nicht als Ost- sondern als eine Nordmacht betrachtete, war noch nicht der Antagonist “des Westens” geworden, zu dem ihn erst der Kalte Krieg machen musste. 

Wenn Russland heute seine Haltung gegenüber “dem Westen” justiert, überdenkt, neu ausrichtet, dann greift der aktuelle Machthaber im Kreml dabei auf Denkfiguren des 19. Jahrhunderts zurück, als man in Russland begann, eine slawische Kultur von der westeuropäischen, lateinischen zu unterscheiden - mit der negativen Rhetorik, wie sie auch Herr Putin heute an den Tag legt, wenn er den Westen für verkommen und dekadent erklärt.

Deutschland hat sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg und unter Konrad Adenauer für die nicht umsonst so genannte “West-Anbindung” entschieden. Ein "deutscher Sonderweg" war und bleibt mit dem Vernichtungskrieg und der Shoa für alle Zeiten diskreditiert. Dass ein neues Deutschland zurück an den Tisch der zivilisierten Länder kehren durfte, verdankte es ausschließlich seiner Bereitschaft, mit dieser Vergangenheit zu brechen und sich einzugliedern in das, was sich neu formte und man heute “den Westen” nennt.

Deutschland ist aber dort nie richtig angekommen, im “Westen”. Er bezeichnet ja nicht etwa nur eine Himmelsrichtung, sondern eine Weltanschauung, die durch die Dominanz der USA vor allem als eine verstanden wurde und wird, die Markt, Kapitalismus und Demokratie in einem System denkt. Das “christliche Abendland” der katholischen Westeuropäer, das auch in Deutschland heute noch gerne beschworen wird, findet sich in diesem Nachkriegskonzept wegen der US-Dominanz nicht wieder.

Deshalb hadern auch heute noch Unionspolitiker wie Kanzlerin Merkel mit dem, was verschiedene Achsen des westlichen Bündnisses als ihre je eigenen Werte begreifen. Und deshalb ist Deutschland auch dieses Mal nicht dabei, wenn es darum geht, im Osten, im Nahen Osten, durch Militärschläge eine Diktatur zu schwächen. Deutschland war im Irak nicht dabei, die Bundesrepublik war auch nicht in Libyen dabei. Jeder Fall verdient eine eigene Betrachtung, aber allen gemeinsam ist die grundsätzliche Verschiedenheit der ethischen Bewegung solcher militärischer Operationen.

Die Interpretationen der Tagespresse müssen dann auch zu kurz greifen, wenn sie den Zusammenhang, in dem Entscheidungen der Bundesregierung heute entstehen, nicht in einem Bogen zurückspannen, der bis ins 19. und sogar ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Deutschland hat seine Rolle als (militärische) Macht seit dem Ende des Sonderwegs, aus guten Gründen, nicht neu gedacht. Gleichzeitig hat eine tiefe Integration in das, was nach 1945 langsam “der Westen” wurde, bis heute nicht stattgefunden, nicht nur nicht in Deutschland, sondern in allen Teilen “des Westens”: 

“Der Westen”, das ist auch heute nicht ein sich vom Gedanken des Imperiums her verstehendes England (ein so prägendes Narrativ, dass in die frühen christlichen Jahrhunderte zurückreicht und nicht erst mit Churchill beginnt), ein Amerika, das erst mit dem Zweiten Weltkrieg bereit war, sich als Teil der westlichen Kultur und nicht “als Stadt auf dem Berge”, zu verstehen, die verschieden und erwählt ist, von allem, was Donald Rumsfeld einmal abfällig “die Alte Welt” nannte. Da sind die westeuropäischen, wirkmächtigen katholischen Vorstellungen von einem christlichen Abendland. Und da ist der deutsche Sonderweg, der weder dem angelsächsischen Materialismus noch dem russischen Despotismus folgen wollte. Nicht von ungefähr sprach Außenminister Steinmeier gelegentlich von einer gleichen Distanz, die Deutschland zu den USA und zu Russland habe.

Wegen dieser Verschiedenheiten innerhalb "des Westens" schert Deutschland aus, wenn es um Bombardements in Syrien oder anderenorts geht. Und aus denselben historischen Gründen sind die USA, England und Frankreich dazu bereit. Russland hat eine Rolle eingenommen, die dem Westen gegenüber permanent negativ eingestellt ist und nicht, wie in der Vergangenheit, zwischen Aneignung und Ablehnung wechselt. In der Welt von heute, in der das, was "westlich" genannt wird, zu einer Lebensform außerhalb des atlantischen Raumes und außerhalb der historischen Grenzen der Christenheit geworden ist, die viele praktizieren, von vielen geliebt und ebenso vielen gehasst wird, hilft nur der Blick ins Geschichtsbuch, um zu entwirren, woher heute die verschiedenen Interessenlagen von Akteuren, die alle unter dem Sammelbegriff “der Westen” zusammengefasst werden, kommen.

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