Görlachs Gedanken

Wenn die Türken (nicht) für Erdoğans Präsidialsystem stimmen...

Die türkische Demokratie wäre das erste Opfer der neuen Präsidialverfassung, für die Recep Tayyip Erdoğan kämpft. Dann kommt der Türxit, also das Ende der europäisch-türkischen Beziehungen. Es gibt aber noch Hoffnung.

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Was Sie zur geplanten Verfassungsreform wissen müssen
Recep Tayyip Erdogan Quelle: dpa
Recep Tayyip Erdogan Quelle: dpa
Türkisches Parlament 2015. Quelle: dpa
Symbolbild aus Deutschland zur Wahl in der Türkei 2014 Quelle: dpa
Recep Tayyip Erdogan Quelle: dpa
Justizminister Bekir Bozdağ Quelle: REUTERS

Am 16. April wird sich die Zukunft der Türkei entscheiden. Entweder wird aus der laizistischen Republik endgültig eine Diktatur oder die türkische Bevölkerung weist ihren Machthaber in seine Schranken. Die Europäische Union hat in ihrem Umfeld das Ende von Diktaturen gesehen, beispielsweise in Spanien als Mitte der 70er Jahre das Franco-Regime zusammenbrach. Die EU hat den Untergang des barbarischen und gottlosen Sowjet-Imperiums erleben dürfen. Nie aber ist einer ihrer Beitrittsaspiranten vor den Augen Europas zu einer Diktatur mutiert. Es versteht sich, dass der Staatenbund keinen Fahrplan für so eine außergewöhnliche Entwicklung hat. Aber wie nun damit umgehen?

Alexander Görlach ist Affiliate der Harvard University. Quelle: Lars Mensel / The European

Die Erfolge, die die Türkei im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts erlebt hat, die Öffnung des Landes, ökonomisch und politisch, nach dem Westen, all das steht zur Disposition. Die Wirtschaft ist am Boden, die Folter zurück und die erst zu Beginn des Jahrhunderts abgeschaffte Todesstrafe soll nach Willen des Machthabers wieder eingeführt werden. Staatspräsident Erdoğan provoziert den Westen und gängelt mit Nazi-Vergleichen. Gleichzeitig moniert er, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Mitglieder seiner Partei und Regierung in Deutschland und den Niederlanden nicht gälten, einer Regierung, die im eigenen Land eben diese Freiheiten nicht gewährt. Sie sind Basis jeder Demokratie und Standard in jedem Mitgliedsland der EU. Erdoğan ist der Provokateur geblieben, der er schon zu Beginn seiner politischen Karriere war.

Mit seinem Vorgehen isoliert er das Land, seine Anhänger, in nordkoreanischem Stil: Seht, da draußen sind nur unsere Feinde! Wir müssen nach innen stark sein, um uns zu verteidigen. Seine frühe Aussage als Oberbürgermeister von Istanbul, dass die Minarette Bajonette, die Moscheen Kasernen und die Gläubigen des Islam Soldaten seien, hat den Provokateur Erdoğan ins Gefängnis gebracht. Angeblich geläutert gründete er nach seiner Freilassung eine neue Partei, mit der er sich in die höchsten Staatsämter katapultiert hat.

Schon damals konnte ihm nur eine Verfassungsänderung an die Macht helfen. Denn als rechtskräftig Verurteilter konnte er eigentlich nicht mehr als Abgeordneter fungieren. In Europa hat man sich blenden lassen – von einem Mann, der dem Islamismus angeblich abgeschworen hatte. Die AKP inszenierte sich in etwa wie eine islamische CDU. In der Alten Welt wollten viele glauben, dass es eine Normalisierung der Beziehungen zwischen islamischer und westlicher Kulturwelt geben könnte. Die Türkei war in dieser Lesart, die Herr Erdoğan selbst beförderte, eine Brücke zwischen den Welten, zwischen christlichem Okzident und islamischem Orient.

Erdoğan hat sich seit dem Jahr 2009 zunehmend von seiner Rhetorik und Politik verabschiedet, mit der Konsequenz, dass es in der Türkei heute keine unabhängigen Gerichte und keine freie Presse mehr gibt. Wie üblich in Kleptomanien grassiert die Korruption, Erdoğan war selbst schon in Vorwürfe verstrickt. Diese konnte er ebenso wenig entkräften wie die Behauptung bestätigen, dass der Prediger Fetullah Gülen und seine Organisation hinter dem Putsch-Versuch vom vergangenen Juli stecken.

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