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Görlachs Gedanken
Lira-Krise: Türkei ist kurz davor, ein zweites Russland zu werden Quelle: imago images

Wird die Türkei ein zweites Russland?

Russland hatte mal alle Chancen, als Partner auf die internationale Bühne zu treten. Heute ist die Mehrheit der Russen arm. Dem türkischen Präsidenten Erdogan, der den Führungsstil Putins schätzt, sollte das eine Warnung sein.

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat schon lange erkennen lassen, wie sehr er den Führungsstil des russischen Präsidenten Wladimir Putin schätzt. Im syrischen Bürgerkrieg, in dem sich Russland zur Schutzmacht des Diktators Assad gemacht hat, hat auch Erdogan die Muskeln spielen lassen wollen und darüber spekuliert, die Grenzen der heutigen Türkei an das angleichen zu wollen, was einst einmal die Grenzen des Osmanischen Reichs ausmachte. Das heutige Syrien war Teil dieses Reiches. Der eine annektiert die Krim, der andere Teile Syriens.

Erdogan ist nicht der einzige Vorsteher einer verfassungsmäßigen Demokratie, der es dem russischen Ober-Oligarchen im Kreml gleichtun möchte. Wie die Türkei als Wiedergänger Russlands aussehen würde, davon bekommen die Türken dieser Tage eine unschöne Kostprobe: Russland ist wirtschaftlich unbedeutend, gleiches gilt für den Rubel. Das Land stützt sich auf Öl und Gas, so wie die verheerenden Öl-Oligarchien sich auf das schwarze Gold im Boden unter ihren Füssen stützen.

Ein „starker Mann“ kann und muss Putin allein schon deshalb sein, weil Russland keine Institutionen besitzt, die eine Herrschaft des Rechts, wenn dies denn gewollt wäre, gewährleisten. Russland hat sich allerdings nach dem Ende der Sowjetdiktatur in ein riesiges Bonanza verwandelt, in dem sich eine Oligarchie die Rohstoffe und Schätze des Landes aneignete, und keine Ordnung etabliert werden konnte, die einen solchen Durchgriff auf das nationale Vermögen verhindert hätte. In der Konsequenz ist die Mehrheit der Russen heute arm und wird, ganz wie zu Zeiten des Zars, durch Religion, nationale Mythen und Hass auf alles andere von ihrem ökonomisch un-opportunen Zustand abgelenkt. Dabei hatte Russland einmal alle Chancen, als Partner auf die internationale Bühne zu treten. Für diese versäumte Gelegenheit gibt es nicht nur einen Schuldigen.

Die Türkei ist auf dem Weg, ein zweites Russland zu werden: diese Entwicklung hat eine politische und eine ökonomische Dimension. Die wichtigere in der gegenwärtigen Situation ist die ökonomische, denn sie ist in erster Linie verantwortlich für die Talfahrt der türkischen Lira. Es sind Broker und Anleger, die der Zukunft des Landes misstrauen und nicht andere Regierungschef oder internationale Organisationen. Es ist eine traurige Wahrheit, dass sich die Finanzmärkte nicht wirklich darum scheren, ob ein Land eine Demokratie ist oder nicht, ob eine Führung Dissidenten, bestehend aus Professoren, Journalisten und Aktivisten, ohne Prozess einsperrt oder ihnen die Lebensgrundlage entzieht. Am Ende reagieren die Finanzmärkte aber doch, denn all diese Umstände, die sie im eigentlichen Sinne nicht interessieren, kreieren ein Umfeld, in dem Wirtschaften - investieren, importieren, exportieren - nicht mehr gewährleistet werden kann. Es fehlt Stabilität, Planungssicherheit.

Wenn Angela Merkel auf dem Gipfel der Eurokrise ihren Neffen, Schwiegersohn oder Cousin zum Präsidenten der Europäischen Zentralbank gemacht hätte, dann wäre es um die Rettung der Gemeinschaftswährung geschehen gewesen. Denn nur wenn die Zinspolitik von der Politik unabhängig ist, kann sie ökonomische Wirklichkeit spiegeln und die Akteure, die sich auf diesem Markt bewegen, mit den Informationen füttern, die für stabiles Wirtschaften notwendig sind.

Es ist interessant zu beobachten, dass sich, wenn es um die politische Komponente, die Stabilität der Demokratie, geht, von der wir gesprochen haben, der Blick auf der Unabhängigkeit der Gerichte verharrt. Eine ähnliche Stellung hat, im ökonomischen Gewerk, die Zentralbank: beide Akteure müssen unabhängig sein, um Anlegern (und darüber hinaus auch den Menschen, die in einem solchen Land leben) zu signalisieren und institutionell verankert zu versichern, dass nicht Willkür herrscht, sondern das Recht. Dass die Lira auf Talfahrt gegangen ist, ist eine logische Konsequenz aus der Transformation der Türkei von einer Demokratie in eine Autokratie. Wenn Erdogan den Türken nun zuruft, sie hätten Allah an ihrer Seite, weswegen ihnen (und ihrer Währung) keiner etwas anhaben könne, sie gleichzeitig aber dazu auffordert, ausländische Währungen in die stetig an Wert verlierende türkische Lira umzutauschen, dann kann das in keiner Weise die Anleger beruhigen. Es sollte auch die Türken aufrütteln. Denn ihre Gerichte sind nicht mehr unabhängig.

Eine Warnung sollte von hier auch ausgehen an Polen und Ungarn. Eine “illiberale Demokratie” gibt es nicht. Eine Marktwirtschaft braucht unabhängige Gerichte, die darüber wachen, dass die Regeln für Wettbewerb und Handel eingehalten werden. In einer Zeit, in der wir in Deutschland und an vielen anderen Orten der demokratischen Welt von neuen, populistischen Akteuren erzählt bekommen, dass die liberale Demokratie durch eine eben solche “liberale" ersetzt werden soll, muss jeden das türkische Beispiel schrecken. Russland nämlich war nie eine Demokratie, die Türkei schon, Polen und Ungarn nominell ebenfalls, wenngleich der Abriss bereits begonnen hat.

Der Strudel, in den die Mischung aus der Bewunderung für einen Führer wie Putin und dem Erstreben einer "illiberalen Demokratie”, die Türkei nunmehr zieht, kann leicht Italien, Ungarn oder Polen erfassen. Die Märkte interessieren sich nicht für die Demokratie. Aber nur die Demokratie ist in der Lage, eine Sicherheit herzustellen für die Investitionen, die getätigt werden, und Garantien auszustellen, dass die Regeln des internationalen Handels und Wirtschaftens eingehalten und im anderen Fall gerichtlich sanktioniert werden können. Die entscheidende Frage in Europa wird in den kommenden Tagen sein: wie kann man den Absturz eines Freundes und Nato-Partners verhindern? Das ist vor allem eine politische Frage und keine ökonomische. Mit Ausnahme spanischer Banken halten die Banken in der Euro-Zone überschaubare Lira-Devisen. Der Handel mit der Türkei, wenngleich signifikant, macht nur 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Ein Total-Crash der Türkei würde für die Bundesrepublik wie für die EU, ökonomisch gesprochen, nichts ausmachen.

Der politische Schaden allerdings, den Erdogan mit seinem “Allah ist für uns, wer kann gegen uns sein?” für seine Landsleute und die Zukunft der Türkei anrichtet, könnte immens sein: er könnte der Welt damit drohen, die Nato zu verlassen und sich Moskau anzuschließen. Er könnte der EU drohen, den Flüchtlingsdeal aufzukündigen und die drei Millionen Syrer, die in der Türkei Ausnahme gefunden haben, Richtung Europa ziehen zu lassen. In der Situation, in die er die Türkei mit seiner Rhetorik und seinem Glauben gebracht hat, mag eher auf eine Verzweiflungstat als nächsten Schritt deuten denn auf den Sieg der Vernunft hoffen zu lassen.

Die Türkei war im vergangenen Jahrzehnt so interessant, weil Erdogan das Land wirtschaftlich erfolgreich und zu einem globalen Akteur gemacht hat. Und weil es eine Demokratie war. Denn es gilt: Länder mit junger Bevölkerung und einem soliden, verlässlichen Wachstumsplan, politisch wie ökonomisch, locken Kapital an. Wenn das ökonomische Kapital schmilzt, schmilzt in Konsequenz auch das politische Interesse. Ankara hat sich selbst in diese Zwickmühle manövriert.

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