Griechenland Der verrückte Streit um den Namen Mazedonien

Es geht um nationale Gefühle: Griechenland und Nachbarland Mazedonien streiten über den Namen. Auch für Europa ist das wichtig – aus Sicherheitsgründen.

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In Griechenland protestierten Hunderttausende gegen Zugeständnisse im Namensstreit mit Mazedonien. Quelle: dapd

Athen Manolis hat eine lange Reise hinter sich. Fast 20 Stunden war er unterwegs von seinem Bergdorf Floria auf der Insel Kreta nach Athen. Jetzt ist er hier, am Syntagmaplatz, vor dem Parlamentsgebäude. „Ich habe noch nie in meinem Leben an einer Demonstration teilgenommen“, sagt der 78-Jährige, „aber jetzt ist es so weit.“

Er trägt die traditionelle Tracht der Kreter: Hohe Lederstiefel, eine Pluderhose, eine schwarze Weste und auf dem Kopf den Sariki, das charakteristische Fransentuch. Aus seinem Dorf hat er eine große griechische Nationalflagge mitgebracht. Mehr als 600 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Kreta und Mazedonien. Aber heute ist auch der Kreter Manolis ein Mazedonier: „Wenn unser nationales Erbe in Gefahr ist, müssen wir zusammenhalten.“

Hunderttausende Menschen versammelten sich am Sonntag bei frühlingshaften 18 Grad auf dem Athener Syntagmaplatz und in den umliegenden Straßen. Sie schwenkten Fahnen, entrollten Transparente und stimmten Sprechchöre an: „Hände weg von Mazedonien – es gibt nur ein Mazedonien, und das ist griechisch.“ Aufgerufen zu der Kundgebung hatten patriotische und nationalistische Organisationen. Auch die orthodoxe Kirche war mit von der Partie.

Der Namensstreit ist für viele Griechen ein hoch emotionales Thema. Außerhalb der Balkanregion wird er in der Öffentlichkeit oft belächelt und selten verstanden. Dafür nehmen Sicherheitspolitiker das Thema umso ernster. Denn es geht um die Stabilität des Balkans – und um die Rivalität Russlands mit der Nato in der Region.

Seit fast drei Jahrzehnten schwelt der Konflikt. Aber jetzt zeichnet sich eine Einigung ab: Unter Vermittlung des Uno-Beauftragten Matthew Nimetz verhandeln die Regierungen in Athen und Skopje über einen Kompromiss. Eine Einigung sei in greifbarer Nähe, meint Nimetz. Griechenlands Außenminister Nikos Kotzias will eine rasche Einigung. Dann könnte die Nato im Juni über eine Aufnahme Mazedoniens entscheiden, die Griechenland seit 2008 mit seinem Veto blockiert.

Welche Brisanz das Thema in Griechenland hat, zeigte sich schon im Vorfeld der Kundgebung. Die linksextreme Anarchistengruppe Rubikon warnte, es werde bei der Kundgebung zu Blutvergießen kommen. Außenminister Kotzias erhielt vergangene Woche Morddrohungen. Anarchisten beschmierten das Haus des Komponisten Mikis Theodorakis, der als Hauptredner bei der Kundgebung angekündigt war, mit roter Farbe und Hassparolen. Der 92-Jährige, schon zu Lebzeiten eine Legende, ließ sich nicht einschüchtern. Er sehe „dunkle Wolken“ über Griechenland heraufziehen, warnte Theodorakis in seiner Rede. Ziel der Nachbarn sei es, sich das griechische Mazedonien einzuverleiben. Theodorakis fürchtet eine „nationale Katastrophe“.

Die Kontroverse begann 1991 mit dem Zerfall Jugoslawiens. Damals erklärte die Teilrepublik Mazedonien ihre Unabhängigkeit - unter dem Namen „Republik Mazedonien“. Die Griechen sahen darin Ansprüche auf die nordgriechische Provinz Mazedonien und ihr kulturelles Erbe. Die Nachbarn im Norden schürten diese Ängste. Ultra-Nationalisten in Skopje brachten Landkarten in Umlauf, die große Teile Griechenlands bis hinunter nach Thessalien als Teil eines künftigen „Groß-Mazedonien“ zeigen. 1993 stimmte Griechenland zwar der Aufnahme des Nachbarlandes unter dem sperrigen Namen „Frühere jugoslawische Republik Mazedonien“ (Fyrom) in die Uno zu, aber nur als Übergangslösung. Seither sind die Fronten verhärtet.

Mit der Ablösung des national-konservativen Regierungschefs Nikola Gruevski durch den Sozialdemokraten Zoran Zaev im vergangenen Mai kam Bewegung in den festgefahrenen Streit. Zaev will eine Lösung finden, „die der Würde beider Länder gerecht wird“. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos sondierten Zaev und der griechische Premier Alexis Tsipras Annäherungsmöglichkeiten. Im Gespräch sind Kompromissformeln wie Nordmazedonien, Neumazedonien oder Slawomazedonien.

Regierungschef Zaev will den Griechen entgegenkommen und einige Passagen der Verfassung ändern, aus denen sich Gebietsansprüche gegenüber Griechenland herauslesen lassen. Mazedonien braucht gute Beziehungen zu Griechenland, nicht nur wegen des angestrebten Beitritts zur Nato und EU. Das Land wickelt auch einen Großteil ihres Außenhandels über den Hafen von Thessaloniki ab.

Tsipras steht unter großem Druck der USA, das griechische Veto gegen Mazedoniens Aufnahme in die Nato zurückzuziehen. Davon verspricht man sich eine Stabilisierung des unruhigen Balkans. Mazedonien soll an den Westen gebunden und der Einfluss Moskaus in der Region, der unter der Willkürherrschaft des prorussischen Premiers Gruevski stark gewachsen war, zurückgedrängt werden.
Für Tsipras wäre es ein bemerkenswerter außenpolitischer Erfolg, wenn es ihm gelingt, den seit 27 Jahren ungelösten Konflikt beizulegen. Der Athener Premier weiß: Die Zeit arbeitet gegen Griechenland. Rund 140 Länder haben das Nachbarland bereits als Republik Mazedonien anerkannt, darunter die USA, Russland und China. Scheitert der Einigungsversuch, wird sich diese Bezeichnung unwiderruflich durchsetzen.

Die Frage entzweit allerdings die Athener Koalition. Tsipras‘ rechtspopulistischer Partner Panos Kammenos will keinem Namen zustimmen, der das Wort Mazedonien oder Ableitungen davon enthält. Tsipras wird also im Parlament auf Unterstützung aus den Reihen der Opposition angewiesen sein. Auch wenn die Koalition daran nicht zerbrechen dürfte, wäre eine solche Abstimmung doch eine schwere Belastung für das Regierungsbündnis.

Tsipras muss überdies fürchten, dass seine wegen des Sparkurses ohnehin angegriffene Popularität weiter leidet: Laut einer Umfrage vom Januar sind sieben von zehn Griechen dagegen, dass die Nachbarn das Wort Mazedonien in ihrem Staatsnamen führen.
Der griechische Außenminister Kotzias gibt sich dennoch zuversichtlich: Bis zum Juni werde der Streit gelöst, hofft er. Proteste wie die Kundgebung in Athen sieht Kotzias als Beweis einer lebendigen Demokratie. Er weiß um die Befürchtungen vieler Griechen. Doch er mahnt: „Wir dürfen uns nicht zu Gefangenen der Geschichte machen.“

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