Griechenland Ewig gefangen im Schuldenstrudel?

Griechenland schuldet seinen Gläubigern mehr als 328 Milliarden Euro, das Achtfache der Jahreswirtschaftsleistung. Doch das ist nur die Spitze des Schuldenbergs. Die Griechen stecken in einem Teufelskreis.

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Eine griechische Flagge weht auf der Akropolis in Athen. Quelle: dpa

Der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos hat es eilig: Sein Land brauche Zusagen zu Schuldenerleichterungen, und zwar „in den nächsten Wochen“, drängt der Athener Kassenwart. Eine Schuldenregelung werde den Weg für Investitionen ebnen und Griechenland zum Wachstum zurückführen. Die krisengebeutelte Europäische Union könne Vertrauen nur zurückgewinnen, wenn sie Probleme löse statt sie zu vertagen, argumentiert Tsakalotos.

Doch seinen deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble kann er damit nicht überzeugen. Wer Athen jetzt Schuldenerleichterungen zugestehe, der leiste den Griechen einen „Bärendienst“, weil dann der ohnehin schwache Reformeifer völlig erlahme, fürchtet der Bundesfinanzminister. Schäuble will das unpopuläre Schuldenthema auf keinen Fall vor der Bundestagswahl behandeln. Denn neue Zugeständnisse an Athen könnte die AfD für ihren Wahlkampf instrumentalisieren.

Aber in der Eurozone mehren sich die Rufe, den Griechen endlich die bereits im Sommer 2015 in Aussicht gestellten Schuldenerleichterungen zu gewähren. Sie könnten beispielsweise in längeren Laufzeiten für die bereits gewährten Hilfskredite, dauerhaft festgeschriebenen Niedrigzinsen und zusätzlichen tilgungsfreien Jahren bestehen. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hält Griechenlands Staatsschulden nicht für tragbar und drängt auf eine Schuldenregelung. Davon macht der IWF sogar seine weitere Beteiligung an der Griechenlandrettung abhängig. Schäubles Dilemma: Er will keine Schuldenerleichterungen – aber den IWF im Griechenlandprogramm unbedingt an Bord behalten.

Alexis Tsipras und die Schuldenkrise

Befürworter einer Schuldenregelung argumentieren, man hätte schon zu Beginn des ersten Hilfsprogramms 2010 einen Schuldenschnitt vornehmen müssen, statt sich erst 2012 zu einem Schuldenschnitt durchzuringen. Damals mussten die privaten Gläubiger Griechenland Schulden von 105 Milliarden Euro erlassen.

Doch der Effekt ist längst verpufft. Tatsächlich stünde das Land heute wohl besser da, hätte man den Schnitt früher und tiefer vorgenommen. Griechenland hat heute mehr Verbindlichkeiten als vor Beginn der Rettungsprogramme. Der Berg der Staatsschulden wuchs von 262 Milliarden Euro vor Ausbruch der Krise im Herbst 2009 auf 328,4 Milliarden Ende Juni 2016. Das entspricht einem Anstieg um 25 Prozent.

In Griechenland schuldet jeder jedem

Von den griechischen Staatsschulden entfallen fast zwei Drittel auf die Euro-Rettungsfonds EFSF und ESM sowie auf bilaterale Kredite von Eurostaaten, die im Rahmen des ersten Hilfsprogramms gewährt wurden. Jeweils fünf Prozent seiner Verbindlichkeiten schuldet Griechenland dem IWF und der Europäischen Zentralbank, der Rest entfällt auf andere Gläubiger.

Was die griechische Schuldendynamik besonders gefährlich macht: Seit Beginn der Krise schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 237 auf 177 Milliarden Euro, also um ein Viertel. In Relation zur Wirtschaftskraft wuchs die Schuldenlast folglich weitaus stärker als nominal: Die Schuldenquote stieg von 116 auf 182 Prozent des BIP.

Aber in Wirklichkeit ist die finanzielle Lage des Landes noch viel prekärer. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beziffert die Verschuldung des griechischen Privatsektors auf weitere 140 Prozent des BIP. Viele Unternehmen und Familien sitzen auf Schulden, die sie niemals zurückzahlen können.

Überdies steht der griechische Staat auch bei seinen eigenen Bürgern in der Kreide – nach Berechnungen der EU-Kommission mit immerhin gut acht Milliarden Euro. Dabei handelt es sich um teils seit Jahren unbezahlte Rechnungen von Lieferanten und Dienstleistern, fällige Steuererstattungen und offene Rentenansprüche. Diese offenen Forderungen entziehen der Wirtschaft dringend benötigte Liquidität.

Doch nicht nur der Staat häuft immer mehr Schulden an. „In Griechenland schuldet jeder jedem, es ist ein Teufelskreis“, sagt der Anwalt Pavlos Pappas. Er vertritt rund ein Dutzend Firmen, die auf unbezahlten Rechnungen von zusammen etwa sechs Millionen Euro sitzen. Kunden vertrösten ihre Lieferanten, Bauherren ihre Handwerker, Mieter ihre Vermieter. Vier von zehn Privathaushalten, so eine Studie des staatlichen Statistikamtes Elstat, können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen. Wann immer möglich, lässt man anschreiben: beim Gemüsehändler an der Ecke, bei der Apotheke, beim Zahnarzt. Der überwiegend staatseigene Stromversorger DEI hat mittlerweile Außenstände von rund 2,7 Milliarden Euro angehäuft. 260 Millionen davon gehen auf das Konto öffentlicher Kunden.

Schlechte Zahlungsmoral belastet Staat und Banken


Auch die griechischen Banken kämpfen gegen den Schuldenstrudel. Sie haben an ihre Kunden Kredite von 200 Milliarden Euro ausgereicht. Davon wird die Hälfte nicht mehr bedient. Zum Vergleich: Vor Beginn der Krise lag die Quote der notleidenden Darlehen nur bei 4,8 Prozent. Etwa 57 Prozent der faulen Kredite entfallen auf kleine und mittelgroße Firmen, 28 Prozent auf Hypothekendarlehen. Die restlichen 15 Prozent sind Verbraucherkredite: Fast zwei Millionen Griechen können ihre Kreditkartenrechnung, die Raten für das Auto, den Fernseher oder die Waschmaschine nicht mehr abbezahlen.

Infolge der siebenjährigen Rezession, fallender Einkommen und der Massenarbeitslosigkeit sind viele Familien tatsächlich in echter Not. Andere nutzen die Krise als Vorwand und zahlen nicht, obwohl sie es könnten. Bank-Experten schätzen, dass ein Fünftel der faulen Kredite auf das Konto solcher „strategischer Schuldner“ geht.

Auch der Staat leidet unter der schlechten Zahlungsmoral. Die Griechen schulden dem Fiskus festgestellte Steuern und Abgaben von 93 Milliarden Euro. Das entspricht dem 1,8-Fachen der gesamten letztjährigen Haushaltseinnahmen. Weitere 25 Milliarden entfallen auf nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge. Die Zahl der Schuldner beläuft sich auf gut vier Millionen. Das bedeutet: Fast vier von zehn Bürgern, vom Baby bis zum Greis, schulden dem Staat Geld.

Zwar hat der Fiskus nach einer dieses Jahr verabschiedeten Gesetzesänderung die Möglichkeit, die Bankkonten säumiger Schuldner auch ohne Gerichtsbeschluss zu pfänden. Aber Fachleute des griechischen Finanzministeriums wissen: Von den ausstehenden 93 Steuer-Milliarden werden sie nur einen Bruchteil eintreiben können – optimistische Schätzungen gehen in eine Größenordnung von zehn Milliarden. Denn die Forderungen reichen zum Teil Jahrzehnte zurück.

Viele Schuldner sind längst tot - oder pleite. Beispiel: Der größte Steuerschuldner Griechenlands ist das Brokerhaus „Akropolis“. Die Firma schuldet dem Finanzamt einschließlich Strafgeldern und Verspätungszuschlägen mittlerweile 8,5 Milliarden Euro. Aber das Unternehmen ist seit Jahren bankrott. Die früheren Inhaber sitzen wegen Betrugs im Gefängnis. Da ist für den Fiskus wohl nichts mehr zu holen.

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