Griechenland Kriegt Athen die Kurve?

Grexit war gestern. Jetzt konzentriert sich Griechenland auf den Ausstieg aus dem Ende August 2018 endenden Rettungsprogramm. Die Griechen bleiben allerdings noch lange unter Aufsicht der Gläubiger.

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Die griechische Premierminister hat sich lange gegen die Reformen für sein Land gesträubt. Quelle: AP

Athen Selten dürfte der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos so entspannt zu einer Sitzung der Euro-Gruppe nach Brüssel gereist sein wie an diesem Montag. Nicht etwa, weil der strenge Wolfgang Schäuble nicht mehr mit am Tisch sitzt. Und selbst wenn: Sogar der strikte Schäuble hätte jetzt wohl wenig Grund zur Kritik. Die Griechenlandrettung scheint endlich auf einem guten Weg. Reisten die Vertreter der vier Gläubigerinstitutionen – des Euro-Stabilitätsfonds ESM, der Europäischen Zentralbank, der EU-Kommission und des Internationalen Währungsfonds – früher oft verdrossen oder sogar im Streit aus Athen ab, beendeten die Inspekteure vor einer Woche ihren jüngsten Besuch an der Akropolis klaglos.

Nachdem sich der Abschluss der zweiten Prüfrunde des Anpassungsprogramms um mehr als ein Jahr verzögerte, läuft die Umsetzung der Spar- und Reformvorgaben jetzt deutlich zügiger. „Das Verhandlungsklima ist konstruktiv, und auch in der Sache sehen wir greifbare Fortschritte“, berichtet der Vertreter einer Gläubigerinstitution. Die griechische Regierung habe „offensichtlich die Dringlichkeit erkannt“, ergänzt ein anderer Verhandlungsteilnehmer.

Bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen liegt Athen sogar vor dem Plan. Statt eines Überschusses in der Primärbilanz des Haushalts (die den Schuldendienst ausklammert) von 1,75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird Finanzminister Tsakalotos in diesem Jahr voraussichtlich ein Plus von 2,8 Prozent erwirtschaften. Einen Teil des zusätzlichen Überschusses von rund 1,1 Milliarden Euro will die Regierung als „soziale Dividende“ zu Weihnachten an Bedürftige verteilen – mit Billigung der Kreditgeber. Die Gläubigervertreter haben auch den Haushaltsplan für das kommende Jahr abgenickt, der jetzt im Athener Parlament beraten wird. Das gesetzte Ziel eines Primärüberschusses von 3,5 Prozent des BIP im Jahr 2018 scheint realistisch.

Lange sträubte sich der griechische Premier Alexis Tsipras gegen die Auflagen der Geldgeber. Strukturreformen wie die Privatisierungen, die Öffnung des staatlich dominierten Energiemarktes oder die Anpassung des Arbeitsrechts gehen ihm und seinem Bündnis der radikalen Linken (Syriza) ideologisch völlig gegen den Strich. Inzwischen hat Tsipras aber eingesehen: Athen muss jetzt die Kurve kriegen. Nur wenn er die Vorgaben zügig umsetzt, kann er sein Land vom Tropf der Hilfskredite lösen und an den Kapitalmarkt zurückführen. Viel Zeit bleibt ihm nicht: Das im Sommer 2015 vereinbarte Rettungsprogramm läuft planmäßig am 20. August 2018 aus. Ein viertes Hilfspaket, das weiß Tsipras, wird es nicht geben. Es wäre in der Euro-Gruppe politisch nicht durchsetzbar.

In der letzten November-Woche werden die Vertreter der Gläubigerinstitutionen wieder in Athen erwartet. Bis dahin muss die Regierung mit Hochdruck an der Reformagenda arbeiten. Von den 95 Vorgaben der dritten Prüfrunde sind rund 60 noch nicht abgehakt. Ihre Umsetzung ist weniger eine politische als eine organisatorische Herausforderung, weil innerhalb von nur drei Wochen Dutzende Gesetze, Verordnungen und Durchführungsbestimmungen auf den Weg gebracht werden müssen.

Die Regierung hofft, die laufende Prüfrunde bis zur letzten Sitzung der Euro-Gruppe in diesem Jahr am 4. Dezember abschließen zu können. Damit würde auch der Weg geebnet für die Auszahlung einer weiteren Kreditrate – In Athen rechnet man mit rund 5,5 Milliarden Euro. In Kreisen der Gläubigervertreter hält man diesen Zeitplan allerdings für sehr ambitioniert.


Athen will den Anleihemarkt testen

Weitaus schwieriger als die Umsetzung der Reformvorgaben wird sein, das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen. Bereits im Juli war das Land zum ersten Mal seit 2014 mit einer fünfjährigen Anleihe an den Markt zurückgekehrt. Bis zum Ende des Anpassungsprogramms im August 2018 will die Regierung die Stimmung unter den Anlegern mit weiteren Emissionen testen.

Die Renditen der griechischen Anleihen sind zwar in den vergangenen Wochen gefallen. Sie liegen mit rund fünf Prozent für den zehnjährigen Bond inzwischen auf dem niedrigsten Niveau seit Beginn der Hilfsprogramme vor acht Jahren, sind aber im Vergleich zu den anderen Euro-Krisenländern immer noch sehr hoch. Im Finanzministerium am Athener Syntagmaplatz hofft man, dass ein zügiger Abschluss der dritten Prüfung die Risikozuschläge weiter drücken wird.

In Athener Finanzkreisen wird erwartet, dass die staatliche Schuldenagentur noch im November mit einem Anleihetausch einen weiteren Schritt zur Rückkehr an den Markt tut. 20 kleinere Emissionen im Gesamtvolumen von 29,7 Milliarden Euro, die mit dem Schuldenschnitt im Februar 2012 begeben wurden, sollen in vier oder fünf neuen, größeren Bonds zusammengefasst werden. Mit dem Tausch soll die Handelbarkeit der Anleihen, die Restlaufzeiten zwischen sechs und 25 Jahren haben, verbessert werden.

Ziel des Finanzministeriums ist es, bis zum Auslaufen des Hilfsprogramms im nächsten August ein Finanzpolster von zwölf bis 15 Milliarden Euro aufzubauen, um auch für widrige Umstände gewappnet zu sein. Denkbar wäre auch, dass die europäischen Geldgeber eine Art Sicherheitsnetz für Athen aufspannen, um die Märkte zu beruhigen. Von den 86 Milliarden Euro, die im dritten Rettungspaket bereitgestellt wurden, hat Griechenland bisher erst 40,2 Milliarden erhalten. Überdies kommt es Athen entgegen, dass der Refinanzierungsbedarf in den kommenden Jahren überschaubar ist. Bis 2022 sind keine größeren Rückzahlungen fällig.

Wenn es Tsipras gelingt, das laufende Anpassungsprogramm planmäßig bis Ende August 2018 abzuschließen, wäre das für ihn ein bedeutender politischer Erfolg. Sein Versprechen, das Land aus der Aufsicht der internationalen Geldgeber zu befreien, kann Tsipras aber nicht einlösen. Athen wird noch auf Jahrzehnte unter Beobachtung stehen. Nach den drei Hilfsprogrammen liegen rund 80 Prozent der griechischen Staatsschulden bei den öffentlichen Gläubigern. Die Fälligkeiten dieser Kredite reichen bis ins Jahr 2059.

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