
Athen Griechenland steht am Scheideweg: Schon in der kommenden Woche könnte sich entscheiden, ob das krisengeschüttelte Land in eine unkontrollierte Staatspleite stürzt – oder noch einmal mit Milliardenkrediten gerettet wird. Die EU verlangt vor der Auszahlung weiterer Hilfsgelder schriftliche Konsolidierungszusagen sämtlicher führenden Politiker. Alle sind dazu bereit – bis auf einen: Der konservative Parteichef Antonis Samaras will nicht unterschreiben. Er wird damit zur Schlüsselfigur im Schuldendrama.
Griechenlands parteiloser Übergangspremier Lukas Papademos warb gestern in Luxemburg bei Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker und in Frankfurt beim EZB-Präsidenten Mario Draghi um Vertrauen für seine Konsolidierungspolitik – und um die Auszahlung der nächsten Kreditrate von acht Milliarden Euro. Juncker sagte nach dem Gespräch, die Euro-Finanzminister würden am kommenden Dienstag über die Hilfsgelder entscheiden. Er sei „optimistisch, dass wir dann eine positive Entscheidung treffen können“ – sofern bis dahin die geforderten schriftlichen Erklärungen vorliegen.
EU-Präsident José Manuel Barroso hatte bereits am Montag nach einem Treffen mit Papademos erklärt, wenn die EU Athen weiter helfen solle, müsse man sicher sein, dass Griechenland „eine nachhaltige Anstrengung unternimmt“, und zwar über das Ende der Regierung Papademos hinaus, die nur bis Februar amtieren soll.
Aber Samaras, dessen Nea Dimokratia an der Regierung Papademos beteiligt ist, will sich nicht festlegen. Samaras werde nicht unterschreiben, sagte ND-Parteisprecher Giannis Michelakis. Das sei „ein Thema der nationalen Würde“.
Der wahre Grund dürfte freilich ein anderer sein: Samaras will nach den für Februar geplanten Wahlen, die er zu gewinnen hofft, mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) das gesamte Rettungspaket neu aushandeln. Doch das könnte bis dahin längst vom Tisch sein. Denn an Samaras’ Unterschrift hängt jetzt nicht nur die Auszahlung der nächsten Kreditrate, sondern auch das neue Hilfsprogramm von 130 Milliarden Euro und der Schuldenschnitt, über den Griechenland derzeit mit den privaten Gläubigern verhandelt.
Laut Finanzministerium sind die Staatsschulden Ende September auf 360,3 Milliarden Euro und 165,3 Prozent der diesjährigen Wirtschaftsleistung gestiegen. Am Freitag wollen Deutschland, die Niederlande und Finnland in Berlin über die Griechenland-Hilfen beraten. Der niederländische Finanzminister Jan Kees de Jager betonte, „wir wollen eine Unterschrift von diesem Herrn Samaras, andernfalls werden sie kein Geld bekommen, unter keinen Umständen“.
Das Euro-Finanzministertreffen am Dienstag könnte damit zum Schicksalsdatum werden. Bleibt Samaras bei seiner Weigerung, droht der Absturz. Das Geld in der Staatskasse reicht noch bis Mitte Dezember. In der zweiten Dezemberhälfte werden Staatsanleihen von rund drei Milliarden Euro fällig.
Es gibt zwar Überlegungen, die Papiere mit der Ausgabe kurzfristiger Schatzwechsel zu refinanzieren. Aber selbst wenn das gelingen sollte, wird der Staat Anfang Januar keine Gehälter und Renten mehr zahlen können. Die Zeitung „Kathimerini“ prognostizierte bereits, was in diesem Fall passieren wird: „Der einzige Ausweg wäre dann, Geld in einer eigenen Währung zu drucken“ – also die Rückkehr zur Drachme.