Griechenland Streit um Tsipras' Weihnachtsgeschenke

Mit einer „sozialen Dividende“ will der griechische Premier Alexis Tsipras Bedürftige bedenken – und sein Image aufbessern. Aber überschattet wird die Bescherung von der schweren Flutkatastrophe im Westen von Athen.

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Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras beim Sozialgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Göteborg. Zuhause in Griechenland möchte Tsipras noch vor Weihachten Geldgeschenke an seine Bürger verteilen, um aus dem Umfragetief herauszukommen. Quelle: dpa

Athen Es musste schnell gehen: Am vergangenen Dienstag legte die Regierung den Gesetzentwurf dem Parlament vor, bereits am Donnerstag sollten die Abgeordneten im Eilverfahren die Vorlage verabschieden. Rechtzeitig vor Weihnachten will Premierminister Alexis Tsipras 1,4 Milliarden Euro als „soziale Dividende“ an rund 3,4 Millionen Bedürftige verteilen.

Doch dann brach das Tief „Numa“ über Griechenland herein. Meteorologen warnten vor einem „Medicane“, einem Hurrikan-ähnlichen Tropensturm im östlichen Mittelmeer. Im Westen der griechischen Hauptstadt Athen verwandelten schwere Wolkenbrüche Straßen in reißende Ströme. Die braune Flut riss Pkws, Busse und Lastzüge mit, zerstörte Häuser, überflutete Geschäfte und Fabriken. Mindestens 19 Menschen starben. Am Samstag suchten die Rettungsmannschaften noch nach sechs Vermissten. Premier Tsipras rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Die Parlamentsabstimmung über die „soziale Dividende“ soll nun erst am Montag stattfinden.

720 Millionen Euro will die Regierung als steuerfreie Zuschüsse an Arbeitslose und einkommensschwache Familien verteilen. Bedacht werden Einzelverdiener mit bis zu 9000 Euro Jahreseinkommen und Familien, deren Einkommen 18.000 Euro im Jahr nicht übersteigt. Die Zahl der Begünstigten beläuft sich nach Regierungsangaben auf 3,4 Millionen. Sie erhalten Einmalzahlungen zwischen 250 und 900 Euro. 315 Millionen Euro sollen außerdem als Rückerstattung von Krankenversicherungsbeiträgen an Rentner fließen. Mit weiteren 360 Millionen will Tsipras Stromtarife subventionieren.

Das Geld stammt aus dem für dieses Jahr erwarteten Primärüberschuss im Haushalt. Er wird die Vorgabe von 1,75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts deutlich übersteigen. Finanzminister Euklid Tsakalotos erwartet 2,8 Prozent Überschuss, was zusätzlichen 1,9 Milliarden Euro entspricht. Davon will die Regierung 500 Millionen als Reserve zurückstellen, falls der Haushaltsüberschuss am Jahresende doch geringer ausfällt als veranschlagt.

Mit dem Eilverfahren im Parlament will Tsipras nicht nur sicherstellen, dass die Empfänger ihre Weihnachtsgratifikation rechtzeitig erhalten. Er möchte auch Fakten schaffen, bevor die Geldgeberinstitutionen Einspruch erheben. Finanzminister Tsakalotos hatte am vergangenen Montag mit den Vertretern der Gläubiger vereinbart, darüber zu sprechen, wie der Überschuss verwendet werden soll.

Doch noch am Montagabend überrumpelte Tsipras die Geldgeber und kündigte in einer überraschend angesetzten TV-Ansprache das Sozialpaket an. Die Gläubiger drängen darauf, der Staat solle erst einmal seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen: Der Finanzminister schuldet rund fünf Milliarden Euro für unbezahlte Rechnungen, Rentenansprüche und Steuererstattungen.

Tatsächlich hat es mit dem hohen Primärüberschuss, den Finanzminister Tsakalotos jetzt stolz präsentiert, seine besondere Bewandtnis. Trotz – oder gerade infolge - massiver Steuererhöhungen lagen die Haushaltseinnahmen in den ersten zehn Monaten um 2,8 Milliarden Euro unter dem Plan. Statt erwarteter 43,4 Milliarden kamen nur 40,6 Milliarden in die Kassen des Fiskus.

Um die mit den internationalen Kreditgebern vereinbarten Haushaltsziele zu erreichen, musste Finanzminister Tsakalotos die Ausgaben beschneiden. Nur weil der Minister die öffentlichen Investitionen in den ersten zehn Monaten massiv von 3,1 auf knapp unter zwei Milliarden Euro kürzte, kommt überhaupt der hohe Primärüberschuss zustande.


Scharfe Kritik der Opposition

Die Opposition spricht von „Betrug“. Tsipras wolle mit der „sozialen Dividende“ vor allem seine angeschlagene Popularität aufbessern, heißt es. In den Meinungsumfragen liegt das Tsipras-Linksbündnis Syriza weit hinter den Konservativen. Die Regierung gebe nur einen winzigen Teil des Geldes zurück, das sie den Griechen zuvor mit höheren Steuern und Rentenkürzungen aus den Taschen gezogen habe, sagt der liberale Oppositionspolitiker Stavros Theodorakis. Weitere Steuererhöhungen und neue Einschnitte bei den Renten hat die Regierung bereits für die Jahre 2019 und 2020 beschlossen. Der Sozialdemokrat Andreas Loverdos warf Tsipras vor, er nehme den Menschen ihr Haus weg, schenke ihnen ein Zelt und erwarte dafür auch noch Dankbarkeit. Nikos Dendias, Fraktionssprecher der konservativen Nea Dimokratia (ND) sagt, Tsipras verteile Geld, das ihm gar nicht gehöre, „wie ein Kaiser ein Almosen“.

Dabei schwimmt die Regierung keineswegs im Geld, wie die jüngsten Haushaltsdaten zeigen. Den sicherheitshalber zurückgestellten Finanzpuffer von 500 Millionen Euro wird Minister Tsakalotos wohl dringend benötigen. Denn infolge der Flutkatastrophe kommen erhebliche Belastungen auf den Haushalt zu. Die Wassermassen haben in Athener Vororten wie Megara, Mandra, Magoula, Nea Peramos und Eleusis Straßen unterspült, Brücken weggerissen sowie Wasser- und Stromleitungen zerstört.

Die Höhe dieser Schäden an der Infrastruktur ist noch gar nicht absehbar. Auch Tausende Obdachlose und geschädigte Geschäftsleute erwarten Entschädigungen. Als Soforthilfe stellte Finanzminister Tsakalotos für die Flutopfer fünf Millionen bereit. Das wird aber bei weitem nicht reichen. Unter dem Strich dürfte es um viele hundert Millionen Euro gehen.

Nachdem der konservative Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis bereits die betroffene Region besucht hatte, machte sich auch Premier Tsipras ein Bild von der Lage, allerdings nur flüchtig. Der Premier und seine Entourage hätten das eigentliche Katastrophengebiet gar nicht betreten, klagt Ioanna Kriekouki, die Bürgermeisterin der vom Hochwasser verwüsteten Gemeinde Mandra: „Ich habe den Ministerpräsidenten eingeladen, aber er ist nicht gekommen.“ Nach einer Stippvisite auf einer abgesperrten Ausfallstraße am Rand der betroffenen Region und im Lagezentrum der Feuerwehr eilte Tsipras zum EU-Sozialgipfel nach Göteborg.

Anlässlich des Tsipras-Besuchs tauchte auch die Regionalgouverneurin Rena Dourou auf. Sie gehört der Regierungspartei Syriza an. Dourou steht jetzt wegen möglicher Versäumnisse beim Katastrophenschutz im Zentrum der Kritik. Im Fernsehsender „Skai“ musste die Gouverneurin einräumen, dass es seit Jahren Pläne zum Hochwasserschutz für die Gemeinde Mandra gebe, die aber bisher wegen bürokratischer Hindernisse nicht umgesetzt wurden sondern „in der Schublade liegen“.

Die Flutkatastrophe wird auch die für Montag angesetzte Parlamentsdebatte über das Sozialpaket überschatten. Trotz aller Kritik will die konservative ND allerdings für die „soziale Dividende“ stimmen. Offenbar möchte Oppositionschef Mitsotakis so kurz vor der Bescherung nicht als Spielverderber dastehen.

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