Griechenland Tsipras beruft seinen Vizepremier ins Wirtschaftsressort

Neuer griechischer Wirtschaftsminister wird ein alter Bekannter: Giannis Dragasakis gilt als Urgestein des Linksbündnisses Syriza.

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Um das Programm abzuschließen, muss die Regierung bis zum Sommer 88 Reform- und Sparvorgaben umsetzen. Quelle: Reuters

Athen Alexis Tsipras verliert keine Zeit. Einen Tag nach dem Rücktritt des Wirtschaftsministers Dimitris Papadimitriou und dessen Gattin Rania Antonopoulou, der Vizeministerin für Arbeit und Soziales, hat der griechische Premier am Mittwochabend sein Kabinett umgebildet. Er ersetzte nicht nur das ausgeschiedene Minister-Ehepaar, das trotz Millionenvermögen einen staatlichen Mietzuschuss kassierte und darüber am Montag stolperte. Auch das für die Flüchtlingspolitik zuständige Migrationsministerium bekommt einen neuen Chef.

Insgesamt sechs personelle Veränderungen gab Staatsminister und Regierungssprecher Dimitris Tzanakopoulos am Mittwochabend bekannt. Sie haben einen gemeinsamen Nenner: Tsipras signalisiert, dass er den Reformkurs fortsetzen, das Anpassungsprogramm fristgerecht im Sommer beenden und sein Land an den Kapitalmarkt zurückführen will. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist politische Kontinuität.

Vor allem dafür steht der neue Wirtschaftsminister Giannis Dragasakis. Er war bereits bisher Vizepremier und übernimmt nun die Führung des Wirtschaftsministeriums in Personalunion. Damit unterstreicht Tsipras, welche Bedeutung er dem Ressort beimisst. Das Ministerium für Wirtschaft und Entwicklung, wie es offiziell heißt, gilt als wichtigste Anlaufstelle für ausländische Investoren. Und die braucht Griechenland dringend, wenn es die achtjährige Krise hinter sich lassen und auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkehren will.

Der 70-jährige Dragasakis gilt als ein Urgestein des Linksbündnisses Syriza. Wie viele führende Syriza-Politiker und auch Regierungschef Tsipras selbst kommt er aus der stalinistischen Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) und war Mitglied im Zentralkomitee der griechischen Kommunisten, bis er sich 1991 der reform-kommunistischen Bewegung Synaspismos anschloss, die später in Syriza aufging. Seit 2015 ist Dragasakis Vizepremier und einer der engen Berater des Ministerpräsidenten. Ihm oblag bisher vor allem die Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Fachlich kann Dragasakis, der an der renommierten London School of Economics Volkswirtschaftslehre und politische Wissenschaften studierte, für das Wirtschaftsressort als qualifiziert gelten. Freunde beschreiben Dragasakis als „überzeugten Marxisten“, aber auch als Pragmatiker, der „auf dem Boden der Realität“ stehe.

Pragmatismus und nüchterner Realitätssinn sind jetzt in Athen mehr denn je gefragt. Griechenland befindet sich auf der Zielgeraden des Reform- und Sparkurses, den das Land im Frühjahr 2010 einschlagen musste, um mit Milliardenkrediten der Euro-Partner und des Internationalen Währungsfonds den drohenden finanziellen Zusammenbruch abzuwenden. In dieser Woche hat die vierte und letzte Prüfrunde des Anpassungsprogramms begonnen, das Tsipras im Sommer 2015 mit den Geldgebern als Bedingung für ein neues Rettungsprogramm vereinbaren musste.

Um das Programm abzuschließen, muss die Regierung bis zum Sommer 88 Reform- und Sparvorgaben umsetzen. Viele davon gehören zum Verantwortungsbereich des Wirtschaftsministers. Für Tsipras war es deshalb wichtig, nach dem erzwungenen Rücktritt des bisherigen Ressortchefs Papadimitriou den Posten so schnell wie möglich neu zu besetzen. Dragasakis war schon bisher in die meist schwierigen Verhandlungen mit den Vertretern der Gläubigerinstitutionen eng eingebunden. Er kennt die Materie. Insofern wird er keine lange Einarbeitung benötigen.

Offen bleibt, wie der neue Wirtschaftsminister die Aufgabe meistern wird, ausländische Investoren zu akquirieren. In internationalen Wirtschafts- und Finanzkreisen war Papadimitriou dank seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Ökonomieprofessor in den USA gut vernetzt. Dragasakis ist hingegen international kaum bekannt. Dafür hat er als enger Tsipras-Vertrauter das Ohr des Premiers. Das kann für Investoren wichtig sein.

Einen Wechsel gibt es auch an der Spitze des Ministeriums für Migration. Der bisherige Ressortchef Giannis Mouzalas geht, teils aus gesundheitlichen Gründen, wie man hört. Er stand wegen der menschenunwürdigen Zustände in vielen Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aber auch international zunehmend in der Kritik. Seine Nachfolge tritt Dimitris Vitsas an, der schon in seiner bisherigen Rolle als Vize-Verteidigungsminister mit der Organisation der Flüchtlingsunterkünfte zu tun hatte. Das Migrationsministerium hat besondere Bedeutung: Wie kein anderer Staat in der EU ist Griechenland darauf angewiesen, dass der Flüchtlingspakt mit der Türkei nicht zusammenbricht. Sonst droht den Griechen eine neue Flut von Kriegsflüchtlingen und Armutsmigranten.

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