Großbritannien May verliert ihre Innenministerin – und hat nun ein doppeltes Problem

Der Rücktritt von Innenministerin Amber Rudd destabilisiert die britische Premierministerin. Rudds Nachfolger stärkt die Brexit-Fraktion im Kabinett.

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London Am Ende sah Amber Rudd wohl keinen anderen Ausweg mehr. Am Sonntag wurden neue Dokumente an die Presse durchgestochen, die sie im Windrush-Skandal schlecht aussehen ließen. Am Montag drohte die nächste peinliche Befragung im Innenausschuss des Unterhauses. Da trat die britische Innenministerin lieber zurück.

Ihre Entscheidung wurde am späten Sonntagabend verkündet, am Montag wurde sogleich Sajid Javid zu ihrem Nachfolger ernannt. Der Rücktritt garantiert eine weitere turbulente Woche für Premierministerin Theresa May, der Abgang ihrer loyalen Innenministerin könnte kaum ungünstiger kommen.

Zunächst einmal ist es der vierte Ministerrücktritt in einem halben Jahr. Nach Verteidigungsminister, Entwicklungshilfeministerin und ihrem Vizepremier verliert May ein weiteres sehr prominentes Kabinettsmitglied. Die schiere Zahl der Ministerrücktritte verstärkt den Eindruck, dass es in dieser Regierung drunter und drüber geht.

Doch Rudds Abgang ist aus zwei Gründen besonders gefährlich für May. Mit der Innenministerin verliert die Regierungschefin ihren menschlichen Schutzschild im Windrush-Skandal: Rudd hatte in den vergangenen Wochen ihr Gesicht hinhalten müssen, als täglich neue Vorwürfe auftauchten.

Nun ist die Premierministerin die Einzige, die für die außer Kontrolle geratene Einwanderungspolitik verantwortlich gemacht werden kann.

Die Windrush-Einwanderer aus der Karibik waren zwischen 1948 und 1971 auf Einladung der britischen Regierung ins Land gekommen, um beim Wiederaufbau nach dem Weltkrieg zu helfen. Sie erhielten damals eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis, wurden aber nicht mit entsprechenden Papieren ausgestattet.

Als die Einwanderungspolitik ab 2012 unter der damaligen Innenministerin May verschärft wurde, wurden viele der legalen Karibik-Einwanderer und ihre Nachfahren plötzlich wie Illegale behandelt. Unzählige verloren ihre Jobs, ihre Krankenkassen- und Rentenansprüche, manche wurden sogar abgeschoben – und das obwohl sie seit Jahrzehnten in Großbritannien lebten.

Opposition nimmt May ins Visier

Rudd hatte in dem immer größer werdenden Skandal eine unglückliche Figur gemacht. Sie hatte sich von der Politik ihres eigenen Hauses distanziert, was die Beamten prompt mit Durchstechereien quittierten. Neu aufgetauchte Dokumente legen nahe, dass Rudd entgegen ihrer Aussagen vor dem Unterhaus doch von internen Abschiebequoten wusste.

Sie zahlt nun den Preis für die kompromisslose Einwanderungspolitik, die ihre Vorgängerin May zu ihrem Markenzeichen gemacht hatte.

Die Labour-Opposition hat ihr Feuer bereits auf May gerichtet, die Premierministerin wird diese Woche wohl noch einmal Rede und Antwort stehen müssen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass der Skandal mit Rudds Abgang vorbei ist.

Der neue Innenminister Sajid Javid dürfte allerdings einen anderen Ton anschlagen. Der Sohn pakistanischer Einwanderer hatte am Wochenende bereits erklärt, seine Familie hätte auch ein Windrush-Opfer werden können.

May wird Rudd diese Woche noch aus einem anderen Grund vermissen: Am Donnerstag soll das Kabinett über die Streitfrage der irischen Grenze beraten und ob Großbritannien eventuell doch in einer Zollunion mit der EU bleibt. Die Innenministerin war eine der entschiedensten Gegnerinnen des Brexit und hatte May den Rücken gegen Hardliner wie Boris Johnson und Liam Fox gestärkt.

Die Balance im Kabinett steht nun in Frage, die Brexiteers scheinen im Vorteil. Der neue Innenminister Javid ist deutlich weniger Brexit-kritisch als Rudd. Er hatte beim Referendum zwar auch für den Verbleib in der EU gestimmt, aber unmittelbar danach schon gesagt, man müsse das Ergebnis respektieren.

Auf der anderen Seite kann Rudd außerhalb der Kabinettsdisziplin nun freier agieren: Sie kann sich zu den Tory-Rebellen auf den hinteren Bänken im Unterhaus gesellen und den weichen Brexit auf diesem Wege sicherstellen.

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