Großbritannien ringt um Handelsabkommen Global Britain, nur ein bisschen kleiner?

Wie steht es um das Projekt Global Britain? Quelle: imago images

Während in Asien das größte Freihandelsabkommen der Welt unterzeichnet wird, kämpft Großbritannien darum, nächstes Jahr nicht mit komplett leeren Händen dazustehen. Dabei gäbe es eine wichtige Rolle für das Land.

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Seit dem EU-Referendum pochen führende britische Politiker und viele Brexit-Unterstützer darauf, dass der EU-Austritt nur der erste Schritt sei auf dem Weg zu einem „globalen Britannien“. Großbritannien werde, so die Vorstellung, wieder seinen gebührenden Platz auf der Weltbühne einnehmen, wenn es sich erst einmal von seinen europäischen Fesseln befreit hat. Man war ja schließlich mal eine Weltmacht.

In einer Rede Ende 2016 drückte es Boris Johnson, damals noch als Außenminister, so aus: „Als ‚Global Britain‘ ist unsere Reichweite nicht länger auf das unmittelbare europäische Hinterland beschränkt. Wir sehen den Aufstieg neuer Mächte.“ Damit meinte er China.

Führende Tory-Politiker versprachen in den Wochen nach dem Referendum Dutzende Handelsabkommen, die „in der Sekunde nach dem Brexit“ unterzeichnet werden sollten. Das Handelsabkommen mit der EU werde „das einfachste in der Geschichte der Menschheit werden“, versprach Liam Fox, damals Minister für Internationalen Handel. Die Euphorie über die immensen Möglichkeiten kannte keine Grenzen.

Nun hat Großbritannien die EU formell schon Ende Januar verlassen. Bis zum Ende der Übergangszeit, während der im Wesentlichen alles beim Alten geblieben ist, sind es nur noch wenige Wochen. Wie steht es um das Projekt Global Britain?

Zunächst einmal steckt Großbritannien derzeit, wie weite Teile der Welt, in der Coronakrise. Doch die hat das Land besonders schwer getroffen: Großbritannien hat mehr Corona-Tote zu beklagen als jedes andere europäische Land. Johnsons Regierung hat ihre Antwort auf die Pandemie dermaßen verpatzt, dass die Wirtschaft stärker eingebrochen ist als in allen anderen Industrienationen. Johnson selbst erkrankte an dem Virus so schwer, dass er intensivmedizinisch betreut werden musste. Derzeit sitzt der glücklose Premier wieder in Quarantäne. Ein Tory-Abgeordneter hat die Krankheit vor wenigen Tagen in die Downing Street geschleppt. An große finanzielle Sprünge für den Ausbau globaler Beziehungen ist derzeit nicht einmal ansatzweise zu denken.

Auch die Verhandlungen mit dem europäischen Hinterland haben sich als schwieriger erwiesen als im Brexit-Lager erhofft. Fast viereinhalb Jahre nach dem EU-Referendum droht das mühevoll ausgefeilschte Abkommen zwischen London und Brüssel noch immer an wichtigen Detailfragen zu scheitern. Daran dürfte auch der spektakuläre Herauswurf von Johnsons Chefberater Dominic Cummings, einer wichtigen Brexit-Figur, vor wenigen Tagen kaum etwas ändern. Unter Umständen könnte Brüssel sogar bald Strafmaßnahmen gegen Großbritannien verhängen: Und zwar dann, wenn Johnson an einem geplanten Gesetzentwurf festhält, mit dem London Teile des bereits unterzeichneten Austrittsabkommen mit der EU brechen würde. Da sich die betreffenden Passagen ausgerechnet um Nordirland drehen, könnte die Reaktion darauf weite Kreise ziehen.

Abhilfe schaffen (und den Druck auf Brüssel erhöhen) sollte ein weitreichendes Handelsabkommen mit den USA. Die Aussicht darauf sahen auch prinzipiell gar nicht so schlecht aus. Schließlich hat der noch amtierende US-Präsident Donald Trump nie einen Zweifel daran gelassen, wie wenig er von der EU hält. Den Brexit lobte er dagegen ausdrücklich und streckte seine Hand in Richtung London aus. Doch Trump ist eben auch der „America first“-Präsident. Und so haben die amerikanischen Verhandlungsführer schnell auf umfassende Zugeständnisse etwa beim Export vom Agrarprodukten und auf eine Öffnung des britischen Gesundheitssystems gedrängt. Beide Themen sind in Großbritannien äußerst heikel. Und so kamen auch diese Verhandlungen in den vergangenen Monaten nur schleppend voran.

Trumps Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen hat die Aussichten auf ein rasches Abkommen weiter geschmälert. Weder der zukünftige Präsident Joe Biden noch Vizepräsidentin Kamala Harris haben eine allzu gute Meinung von Boris Johnson. Ein Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich soll auf Bidens langer To-do-Liste weit nach unten gerutscht sein. Und Biden, der großen Wert auf seine irischen Wurzeln legt, hat Johnson auch schon ermahnt: Er solle nichts unternehmen, was das Karfreitagsabkommen gefährden könnte, welches den Frieden nach Nordirland gebracht hat. Johnson umstrittener Gesetzentwurf könnte auch einen Deal mit den USA platzen lassen.

Bliebe noch die dritte große Wirtschaftsmacht, die Johnson so angepriesen hat: China. Da hat Johnsons Vorvorgänger David Cameron reichlich Vorarbeit geleistet. Er umwarb Peking nach Kräften. Während eines Besuchs in der chinesischen Hauptstadt 2015 sprach der damalige Schatzkanzler George Osborne gar von einem bevorstehenden „goldenen Jahrzehnt“ in den britisch-chinesischen Beziehungen. „Keine andere westliche Volkswirtschaft ist so offen für chinesische Investitionen wie Großbritannien“, schwelgte Osborne damals.

Wo wird sich Großbritannien einordnen?

Im Gegenzug für milliardenschwere Investitionen aus dem Reich von Präsident Xi Jinping (etwa für den Bau eines chinesischen Atomkraftwerks) trat Großbritannien der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank bei, Pekings Konkurrenzprojekt zur Weltbank. Auch Chinas immer aggressivere Vorstöße im Südchinesischen Meer, der Streit um umstrittene Abwertungen der chinesischen Währung und Vorwürfe von Hacking-Attacken überging London nonchalant. In Washington kam das nicht gut an. Dabei saß damals noch Barack Obama im Weißen Haus.

Nach Donald Trumps Einzug 2016 war irgendwann klar: Johnson würde sich auf eine Seite schlagen müssen. So beschloss London im Sommer nach längerem Zögern (und großem Druck aus Washington), den Tech-Giganten Huawei in Zukunft vom Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes auszuschließen. Der chinesische Botschafter in London, Liu Xiaoming, warnte daraufhin, dass der Handel darunter leiden werde, wenn Huawei seine Komponenten nicht länger nach Großbritannien verkaufen dürfe.

Dann drückte Peking sein umstrittenes Sicherheitsgesetz in Hongkong durch. In seiner Antwort darauf gelang es Großbritannien, vergleichsweise stark zu kontern: Mehr als drei Dutzend Staaten (unter ihnen Deutschland, Frankreich, die USA, Australien und Kanada) schlossen sich London in seiner Kritik an der chinesischen Regierung an. Die EU schränkte den Export von Gütern nach Hongkong weiter ein, die zur Niederschlagung von Protesten oder zur Überwachung der Kommunikation genutzt werden können. London bot rund drei Millionen ehemaligen britischen Untertanen in der früheren Kronkolonie die Einbürgerung an. Peking reagiert äußerst verärgert. Zwischen beiden Ländern herrscht seitdem eine diplomatische Eiszeit. An ein Handelsabkommen ist in absehbarer Zeit nicht zu denken.



Einer weiteren Integration des Asien-Pazifikraums hat der Streit um Hongkong jedoch offenbar keinen Abbruch getan. Und so haben sich vor wenigen Tagen die Staaten Südostasiens gemeinsam mit China, Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea zur größten Freihandelszone der Welt zusammengeschlossen. Der Mammut-Wirtschaftsraum umfasst rund ein Drittel der Weltbevölkerung und macht etwa ein Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung aus.

Wo genau sich Großbritannien in Zukunft zwischen den Wirtschaftsblöcken Nordamerika, Europa und dem Asien-Pazifikraum als führende globale Ordnungsmacht einordnen möchte, ist eher unklar.

Vollkommen erfolglos war die britische Regierung in ihren Bestrebungen jedoch nicht. Erst vor wenigen Wochen gelang London nach nur dreimonatigen Verhandlungen die Unterzeichnung des britisch-japanischen Freihandelsabkommens. Es wird Anfang des kommenden Jahres in Kraft treten. Im Kern handelt es sich dabei zwar um eine Fortführung des Freihandelsabkommens EU-Japan. Das Abkommen enthält aber einige wichtige Erweiterungen, die den Warenaustausch und Dienstleistungen betreffen. Die Errungenschaften für die Wirtschaft sind eher marginal: So geht die Regierung nur von einem Zuwachs in Höhe von 0,07 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus - und das über einen Zeitraum von 15 Jahren. Aber es ist ein symbolischer Erfolg, der in der Brexit-lastigen Presse (etwas überdreht) gefeiert wurde.

Japan macht sich zudem für die Aufnahme Großbritanniens in das Handelsabkommen CPTPP stark, dem elf Pazifik-Anrainerstaaten angehören. Das Abkommen entstand aus den Trümmern der Transpazifischen Partnerschaft (TPP), die scheiterte, als Donald Trump 2017 aus dem Abkommen ausstieg. Da auch China nicht Teil des Abkommens ist, gäbe es keine allzu großen Stolpersteine, die einer Aufnahme im Weg stehen könnten. Damit wäre Großbritannien seiner erhofften globalen Rolle näher - wenn auch in kleineren Maßstab als erhofft.


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Immer mehr Analysten glauben jedoch, dass das genau der Ausweg aus dem Großmächte-Dilemma sein könnte: Und zwar die Einsicht, dass man zwar nur eine Mittelmacht ist, die jedoch (wie sich im Streit mit Peking gezeigt hat) über die diplomatischen Kanäle und Beziehungen einer ehemaligen Großmacht verfügt.

So schrieb das Online-Magazin World Politics Review dazu kürzlich: „Das ist es, was ‚Global Britain‘ sein kann: ein mittelgroßes Land, das die regelbasierte internationale Ordnung durch enge Allianzen mit den USA und der EU und durch neue, tiefere Verbindungen zu den Demokratien im Asien-Pazifikraum aufrecht erhält .“ Großbritannien könne eine „entscheidende Rolle dabei spielen, das multilaterale System zu stärken.“

Boris Johnson dürfte bestimmt einen Weg finden, um seinen Landsleuten eine solche Rolle als größtmöglichen Erfolg zu verkaufen.

Mehr zum Thema: Mitten in der Pandemie wächst das Brexit-Chaos. Viele britische Unternehmer wissen nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht.

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