Großbritannien Theresa May – die neue Premierministerin?

Nach dem Rückzug von Andrea Leadsom dürfte Innenministerin Theresa May künftig Großbritannien regieren. Mitarbeiter beschreiben die 59-Jährige als diszipliniert, kompetent und freundlich. Das Pfund legt bereits zu.

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Die Innenministerin wird die zweite Premierministerin Großbritanniens. Quelle: dpa

London Innenministerin Theresa May (59) dürfte die neue britische Premierministerin werden. Ihre einzige verbliebene Konkurrentin, Energie-Staatssekretärin Andrea Leadsom, zog sich überraschend aus dem Rennen um die Nachfolge von Regierungschef David Cameron zurück. „Es sieht so aus, als würde Theresa May mit Sicherheit die nächste Premierministerin werden“, meinte der Sender BBC. Leadsom begründete ihren Rückzug mit mangelnder Unterstützung in der Partei.

Unklar war am Montag, wann May in Downing Street 10 einziehen werde. Cameron hatte seinen Rückzug bis Oktober angekündigt, nachdem die Briten beim Referendum am 23. Juni mehrheitlich für einen EU-Austritt Großbritanniens stimmten.

Die 59-jährige May - die nun die zweite Premierministerin nach Margaret Thatcher werden kann - will den Austritt durchsetzen, obwohl sie sich vor dem Referendum im Gegensatz zu Leadsom für einen EU-Verbleib ausgesprochen hatte. „Als Premierministerin werde ich sicherstellen, dass wir die Europäische Union verlassen“, betonte May, die eine erneute Abstimmung ablehnt: „Brexit bleibt Brexit.“ Sie wolle bei den Verhandlungen mit der EU darauf hin arbeiten, „die besten Konditionen“ für ihr Land herauszuschlagen. Die designierte Regierungschefin will sich außerdem stark machen „für ein Land, das für alle da ist, nicht nur für die wenigen Privilegierten“.

Die Finanzmärkte reagierten erleichtert auf die Nachricht, dass ein wochenlanger Wahlkampf zwischen den beiden Frauen ausbleibt und in einer Phase erhöhter wirtschaftlicher Unsicherheit durch den Brexit nicht auch noch ein Führungsvakuum entsteht. Der Kurs des Pfund Sterling kletterte in der Spitze auf ein Vier-Tages-Hoch von 1,3017 Dollar. Das entspricht einer Aufwertung von einem halben Prozent.

May präsentiert sich als Versöhnerin, die die tief zerstrittenen Tories einigen könne. Sowohl Leadsom als auch Justizminister Michael Gove, der ebenfalls Ambitionen auf das Premieramt hatte, kündigten ihre Unterstützung für May an.

Damit könnte sich der Amtswechsel in London schneller vollziehen als zunächst geplant, meinte der Sender BBC. Cameron hatte nach seiner Niederlage beim Brexit-Referendum seinen Rücktritt für September in Aussicht gestellt. Nach Einschätzung von BBC könnte der Amtswechsel innerhalb von Tagen oder Wochen stattfinden.


„Eiserne Lady im Wartestand“

Theresa May gilt als überaus ehrgeizig. Der „Telegraph“ nannte die Innenministerin schon 2010 einen „aufgehenden Stern“, als „Eiserne Lady im Wartestand“ beschrieb der „Independent“ sie drei Jahre später.

Mit der früheren Premierministerin Margaret Thatcher muss sich fast jede Frau, die es in Großbritannien politisch zu etwas bringt, irgendwann mal vergleichen lassen. So streng und entschlossen, wie die Tochter eines anglikanischen Geistlichen unter dem kinnlangen, grauen Haar oft dreinschaut, scheint der Vergleich in diesem Fall gar nicht mal abwegig.

Über sich selbst redet May - verheiratet, kinderlos und immer wieder wegen ihres extravaganten Schuhgeschmacks in den Schlagzeilen - nicht viel. Mitarbeiter beschreiben sie als diszipliniert und kompetent, freundlich, aber nicht zum Smalltalk neigend. Sie studierte in Oxford (wie Thatcher und Noch-Premier Cameron), arbeitete für die englische Notenbank und stieg in die Lokalpolitik ein, noch bevor sie 30 wurde.

Als seit 2010 amtierende Innenministerin in zwei Cameron-Kabinetten verantwortet May schwierige Themen: Einwanderung, Terrorabwehr, Überwachung, Polizei, Kindesmissbrauch. Kaum jemand hielt sich bisher so lange auf diesem Posten. Im Anlauf zum Brexit-Referendum schlug sie sich zwar auf die Seite von Camerons Pro-EU-Lager, blieb aber zugleich EU-kritisch und hielt sich aus den Querelen weitgehend raus.

May erwartet eine schwierige Amtszeit, denn nach Prognose der meisten Experten drohen Großbritannien bei einem EU-Abschied wirtschaftliche Nachteile. Finanzminister George Osborne befürchtet gar eine „hausgemachte Rezession“: Binnen zweier Jahre könnte die Wirtschaftsleistung um bis zu sechs Prozent niedriger ausfallen als bei einem Verbleib in der EU. Die Bank of England befürchtet einen „merklichen Abschwung“ bis hin zu einer Rezession. Großbritannien riskiert bei einem Brexit seinen Zugang zum EU-Binnenmarkt.

Der noch amtierende Regierungschef Cameron rät deshalb dazu, eine enge Bande zur EU zu knüpfen. „Es ist in unserem fundamentalen nationalen und wirtschaftlichen Interesse, sehr nah an der Europäischen Union zu bleiben“, sagte er. „Deshalb lasst das unser Ziel sein.“

Beim Referendum am 23. Juni sprachen sich 17,41 Millionen Briten für einen EU-Austritt aus, 16,14 Millionen dagegen. Bundeskanzlerin Angela Merkel rechnet nicht vor September mit formellen Verhandlungen der EU mit Großbritannien über den Austritt aus der europäischen Staatengemeinschaft.

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