Großbritannien Ungeordneter Brexit kostet halbe Million Jobs

Ökonomen aus Cambridge haben fünf Brexit-Szenarien durchgerechnet: Im Fall eines ungeordneten Brexit drohen harte Konsequenzen für Jobs und Wachstum. Londons Bürgermeister warnt vor einem „verlorenen Jahrzehnt“.

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Brexit: Ungeordneter EU-Austritt würde 500.000 Jobs kosten Quelle: Reuters

London Sollte Großbritannien im März 2019 ohne Anschlussabkommen aus der EU ausscheiden, müsste das Land einen hohen wirtschaftlichen Preis zahlen. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie im Auftrag des Londoner Bürgermeisters Sadiq Khan. Im Jahr 2030 wäre das britische Wirtschaftswachstum um rund drei Prozent niedriger, als wenn das Land in der EU geblieben wäre. Es gäbe landesweit 482.000 Arbeitsplätze weniger, die Investitionen lägen um 15 Prozent oder 46,8 Milliarden Pfund niedriger.

Die Ökonomen von Cambridge Econometrics analysierten fünf Szenarien – vom weichesten Brexit, in dem Großbritannien in Binnenmarkt und Zollunion bliebe, bis hin zum härtesten Brexit ohne Übergangsperiode und ohne neues Handelsabkommen. „Die Analyse zeigt: Je härter der Brexit, desto größer die Auswirkungen auf Jobs, Wachstum und Lebensstandards“, sagte Khan.

Der Londoner Bürgermeister gab die Studie in Auftrag, weil die konservative Regierung von Premierministerin Theresa May sich weigert, die Brexit-Kosten zu beziffern. Khan ist der ranghöchste regierende Labour-Politiker im Land. Die Forscher analysierten die Auswirkungen des EU-Ausstiegs auf neun Branchen. Im Fall des ungeordneten Brexit verlöre der Finanzsektor landesweit 119.000 Arbeitsplätze, in Wissenschaft und Technologie gingen 92.000 Jobs verloren, im Baugewerbe 43.000 und in der Kreativbranche 27.000.

Die britische Hauptstadt käme in allen Szenarien noch am besten weg, doch die Kosten wären auch hier erheblich. Im Fall des ungeordneten Brexit verlöre London 87.000 Arbeitsplätze, das Wachstum läge 2030 um zwei Prozent niedriger.

„Der ungeordnete Brexit ist immer noch ein sehr reales Risiko“, warnte Khan. Er rief die Regierung auf, ihren Kurs zu ändern und Großbritannien in Binnenmarkt und Zollunion zu halten. Sonst drohe ein „verlorenes Jahrzehnt“.

Auch die anderen Brexit-Optionen würden die britische Wirtschaft treffen: Sollte Großbritannien nach einer Übergangsperiode im Binnenmarkt bleiben und nur die Zollunion verlassen, drohten immer noch 176.000 Arbeitsplätze landesweit verloren zu gehen, davon 31.000 in London. Die Wirtschaftsleistung läge 2030 um 18,6 Milliarden Pfund niedriger, die Investitionen gingen um 20 Milliarden Pfund zurück.

Die Ökonomen selbst wiesen darauf hin, dass die Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind, weil sich in dem langen Zeitraum viele Faktoren ändern können. Doch die Erkenntnis, dass der Brexit erhebliche Kosten verursacht, hat sich inzwischen auch in London durchgesetzt. Die britische Regierung ist längst auf Schadensbegrenzung aus. Finanzminister Philip Hammond appellierte am Mittwochabend in Berlin an die EU-Partner, einen Kompromiss zu finden, mit dem beide Seiten leben könnten. Zum Tangotanzen brauche es immer zwei, sagte der Minister auf einer Konferenz der Zeitung „Die Welt“.

Bereits jetzt zeigen sich die Auswirkungen der Brexit-Entscheidung der Briten: Angetrieben durch das billige Pfund stieg die Inflationsrate im Jahresvergleich um mehr als drei Prozent. Das Wirtschaftswachstum für Großbritannien wird nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds 2017 bei knapp 1,7 Prozent liegen. Ökonomen schätzen, dass es ohne die Austrittsentscheidung etwa ein Prozent höher gewesen wäre.

Die britische Regierung drängt vor allem darauf, dass die Investmentfirmen der Londoner City auch künftig größtmöglichen Zugang zu Kunden in der EU haben. EU-Unterhändler Michel Barnier schließt bislang aus, dass ein künftiges Freihandelsabkommen auch für Finanzdienstleistungen gilt.

Premierministerin May empfängt am Donnerstag die CEOs von mehreren Banken und Versicherungen in der Downing Street zum Brexit-Austausch. Sie werden noch einmal betonen, wie wichtig der ungehinderte Zugang zum Binnenmarkt ist.

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