Großbritannien vor der Wahl Das ungleiche Fernduell

Großbritanniens Premierministerin Theresa May wollte kein TV-Duell mit Labour-Chef Jeremy Corbyn. Doch es half nichts: In einer getrennten TV-Befragung übertraf Corbyn die Erwartungen, May gab sich dagegen erneut vage.

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Duell nacheinander, nicht gegeneinander: Die britische Premierministerin Theresa May (l.) trat am Montagabend nach ihrem Herausforderer Jeremy Corbyn zum Interview mit dem Journalisten Jeremy Paxman an. Quelle: AP

London Irgendwann lacht das Publikum im Fernsehstudio sie einfach nur aus. Großbritanniens Premierministerin Theresa May weicht erneut einer Frage aus und versucht stattdessen, die oppositionelle Labour-Partei anzugreifen: Deren Zahlen im Wahlprogramm würden einfach nicht aufgehen und keinen Sinn ergeben, sagt sie. Ein Zwischenrufer aus dem Publikum unterbricht sie: „Sie haben in Ihrem Wahlprogramm gar keine Zahlen.“ Daraufhin bricht lautes Gelächter aus. Die Premierministerin schaut verdattert.

Spätestens an diesem Punkt in der Fernsehübertragung ist klar: Es läuft nicht gut für Theresa May an diesem Montagabend – eineinhalb Wochen vor der Wahl. Bereits in den Tagen zuvor hat sie in Umfragen ihren einst komfortablen Vorsprung vor Labour-Chef Jeremy Corbyn eingebüßt. Dieser ist von mehr als 20 auf fünf Prozentpunkte zusammengeschmolzen. Deshalb muss sie diesen Fernsehauftritt nutzen, um wieder in die Offensive zu gehen. Doch das misslingt.

May wirkt erneut eher hölzern, teilweise unehrlich und vage – im Gegensatz zu Corbyn. So kommentiert der einstige BBC-Starjournalist Robert Peston am Ende über den Kurznachrichtendienst Twitter: „Ich glaube, jeder – mich eingeschlossen – hat die verführerische Kraft von Corbyns erstaunlich gutem Humor unterschätzt.“ Von May habe man dagegen nichts, aber auch gar nichts Neues dazugelernt.

Der Fernsehsender Sky hat beide Politiker an diesem Abend getrennt voneinander interviewt und von einem Studiopublikum befragen lassen. Auf ein echtes Duell wollte sich May nicht einlassen. Eine Münze entschied über die Reihenfolge: Corbyn ist zuerst dran, dann erst kommt die Premierministerin an die Reihe.

Corbyn erscheint ruhig und konzentriert, er geht auf die Fragen aus dem Publikum ein – darauf, dass er angeblich mit der irischen Terrorgruppe IRA sympathisiert haben soll. Nein, wehrt er entschieden ab, er habe sich stets nur für einen Dialog mit den IRA-Mitgliedern eingesetzt, um ein Friedensabkommen zu erreichen.

Auch mit Kritik an seiner Person setzt sich Corbyn auseinander, etwa den angeblich fehlenden Führungsqualitäten, die einer der Zuschauer anprangert: Zu Führungsqualitäten gehöre auch die Fähigkeit zuzuhören und nicht nur anderen zu sagen, was zu tun sei, antwortet Corbyn. Das quittieren die Zuschauer mit Applaus.

Ähnlich reagieren sie auch bei anderen Antworten – auch wenn sie weniger konkret ausfallen als erhofft. So will ein Zuschauer wissen, ob Corbyn ähnlich wie Theresa May eine konkrete Zahl nennen könnte, wie hoch denn künftig die Nettoeinwanderung ausfallen werde. Nein, man werde die Einwanderung steuern und sie werde wahrscheinlich sinken, aber auf eine konkrete Zahl könne er sich nicht festlegen.

Auch später beim Gespräch mit dem legendären Interviewer Jeremy Paxman, der für seine kritischen Fragen bekannt ist, schlägt sich Corbyn besser als gedacht und bringt die Zuschauer immer wieder zum Lachen – etwa bei dieser Frage: Warum denn seine Überzeugung, man müsse die Monarchie abschaffen, sich nicht im Wahlprogramm seiner Partei finde? „Es steht da nicht drin, weil wir dies nicht tun werden“, sagt Corbyn und fügt an: „Ich hatte übrigens mal eine sehr nette Unterhaltung mit der Queen.“

Paxman versucht Corbyn immer wieder zu unterbrechen, sobald dieser Luft holt. Doch der Labour-Chef lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Geduldig versucht er immer wieder die Fragen zu beantworten. Paxmans Angriffe gehen meist ins Leere.


„Haben Sie Ihre Meinung zum Brexit geändert?“

May versucht dagegen in erster Linie ihre Standardantworten an den Mann zu bringen und lässt sich kaum auf die Fragen ein – so auch bei dem einen Thema, das wohl maßgeblich für ihre sinkenden Umfragewerte verantwortlich ist.

Ursprünglich hatte May in ihrem Wahlprogramm angekündigt, dass Rentner die Pflege im Alter in stärkerem Maße als bisher selbst finanzieren müssten. Als klar wurde, dass diese Entscheidung wichtige Stimmen bei der Wahl am 8. Juni kosten könnte, ruderte sie zurück und versprach eine Obergrenze für den geplanten Eigenbetrag.

Von einer Kehrtwende will May aber dennoch nichts hören. Sie habe ihre Politik einfach präzisiert, sagt sie bei jeder Gelegenheit. Allerdings hat sie keine Antwort auf die Frage, wie hoch die Obergrenze jener Eigenbeteiligung künftig ausfallen soll. Man werde ein Diskussionspapier dazu vorlegen und verschiedene Meinungen einholen, sagt sie dem Publikum.

Auch in der anschließenden Fragerunde mit Jeremy Paxman weicht May aus. Fast ein halbes Dutzend Mal fragt der Interviewer, ob May ihre Meinung zum Brexit geändert habe – schließlich habe sie vor dem Referendum dagegen argumentiert und jetzt sei sie dafür. „Ich will ausführen, wofür die Menschen gestimmt haben“, antwortet May. „Die Menschen haben ein Recht darauf, dass die Regierung tut, was die Menschen wollen.“

May kennt kein Erbarmen. So hartnäckig Paxman auch fragt, so hartnäckig wiederholt die Premierministerin Antworten auf Fragen, die nicht gestellt wurden. Paxman versucht es noch einmal: „Haben Sie Ihre Meinung zum Brexit geändert?“ May: „Ich glaube daran, dass man aus dem Brexit einen Erfolg machen kann.“

Paxman bringt ebenfalls Mays Kehrtwende bei der Reform der Pflegekosten zur Sprache – zumal es nicht das erste Mal sei, dass May ihre Meinung änderte. So ruderte sie auch bei der zunächst geplanten Erhöhung der Sozialversicherung für Selbstständige zurück. „Wenn ich in Brüssel wäre, würde ich denken, dass Sie eine Wichtigtuerin sind, die beim ersten Anzeichen eines Artilleriefeuers das Weite sucht“, sagt der Interviewer. Die Zuhörer applaudieren, bevor May sich zur Wehr setzt. „In anderen Verhandlungen habe ich bekommen, was ich wollte“, sagt sie.

Nach und nach kommt sie besser in Form, etwa beim Thema EU-Austritt. So urteilt am Ende Tom Shipman, der für die eher Labour-kritische „Sunday Times“ arbeitet: „Corbyn hat die Erwartungen an ihn erneut übertroffen, und May hat größere Ausrutscher vermieden.“

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