Großbritannien Warum Liz Truss länger regieren könnte als Margaret Thatcher

Eiserne Lady 2.0: Warum Liz Truss noch länger als Margaret Thatcher regieren könnte. Quelle: dpa Picture-Alliance

Nach der Erschütterung des Landes durch den Tod der Queen beginnt für die neue Premierministerin Liz Truss der politische Alltag. Um längerfristig an der Macht zu bleiben, braucht Truss politische Flexibilität, schreibt der britische Ökonom Jim O´Neill in einem Gastbeitrag.

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Jim O'Neill ist ehemaliger Vorsitzender von Goldman Sachs Asset Management und Mitglied der Paneuropäischen Kommission für Gesundheit und nachhaltige Entwicklung.

Liz Truss ist die nunmehr dritte Person im Amt des britischen Premierministers, seit die britischen Wähler im Juni 2016 der EU-Ausstieg beschlossen haben. Bis zu den nächsten Parlamentswahlen bleibt Truss nun nur noch zwei Jahre und wenige Monate Zeit zur Profilierung. Ihre Leistung (und damit ihre politische Zukunft) wird also auf einer extrem kurzfristigen Basis beurteilt werden, die übliche Schonfrist der „ersten hundert Tage“ entfällt. Um politisch zu überleben, muss Truss daher nun schnell eine lange Liste politischer Herausforderungen bewältigen, ihre tief gespaltene Partei einen und mehr Menschen für sich gewinnen. Keine leichte Aufgabe angesichts der Tatsache, dass ihr Vorgänger zweieinhalb Jahre nach Erreichen einer Mehrheit von 80 Sitzen aus dem Amt getrieben wurde.

Im Werben um die rund 180.000 Mitglieder der Konservativen Partei hat sich Truss als moderne Margaret Thatcher präsentiert, die für niedrigere Steuern für Privatpersonen und Unternehmen sowie für Deregulierung eintritt – das klassische Mitte-Rechts-Rezept zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums. Da die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs jedoch aktuell mit dringenderen Problemen konfrontiert ist, bleibt abzuwarten, ob sie diese Versprechen einlösen wird, kann oder sogar sollte.

Truss hat seit 2010 verschiedene Regierungsämter bekleidet, und eine hervorstechende Eigenschaft war stets ihre Anpassungsfähigkeit. Nachdem sie in der Brexit-Kampagne zunächst die „Remain“-Befürworter unterstützt hatte, wechselte sie die Seiten und schaffte es, sich in zwei stark pro Brexit ausgerichteten Kabinetten zu halten. Zunächst unter Theresa May. Dann unter Boris Johnson

Ihre Geschmeidigkeit hat sie im Wahlkampf um die Tory-Führung erneut unter Beweis gestellt. Auf die Frage, wie man auf die gegenwärtige Energie- und Lebenshaltungskostenkrise reagieren sollte, erklärte Truss wiederholt, sie stehe nicht für Almosen. Doch nun hat sie einen auf zwei Jahre ausgelegten Energiepreisdeckel verkündet.

Ein Einfrieren der Energiepreise birgt große fiskalische Risiken – vor allem, wenn Truss weiterhin beabsichtigt, die nationale Versicherungssteuer zu senken, eine geplante Erhöhung der Körperschaftssteuer zurückzunehmen und die Verteidigungsausgaben auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Politisch gesehen ist es jedoch wahrscheinlich die richtige Entscheidung, wenn sie einen guten Start hinlegen will.

Truss zeigt sich auch flexibel, wenn es um die Zinssätze der Bank of England (BoE) geht. Nachdem sie die BoE während des gesamten Wahlkampfs beschimpft und angedeutet hatte, auf eine Änderung von deren Mandat drängen zu wollen, gab sie jüngst eine weit konventionellere Antwort: Es sei nicht ihre Aufgabe, sich über die richtige Höhe der Zinssätze zu äußern. Dies sei Sache der unabhängigen Zentralbank.

Will sich Truss jedoch einer breiten Wählerschaft als Führungspersönlichkeit empfehlen, die es verdient, Ende 2024 (oder früher) wiedergewählt zu werden, muss sie mehr tun, als Anpassungsfähigkeit zu demonstrieren. Sie kann ihrer Partei bei den Parlamentswahlen keine Mehrheit sichern, wenn sie nicht einige Sitze in den so genannten Red-Wall-Bezirken (traditionell Labour-nahe Bezirke) in den Midlands, Nordengland und Wales gewinnt. Die Wähler dort dürften jedoch andere politische Präferenzen haben als die kleine Schar überzeugter Tories, die Truss an die Macht gebracht haben. Viele Bürger dort würden zweifellos mehr Regulierung sowie höhere Steuern zur Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen befürworten.

Womöglich muss sich Truss also von ihrem eng gefassten Programm von niedrigeren Steuern und Deregulierung lösen. Sie kann immer noch für niedrigere Steuern und weniger Regulierung sein, aber sie sollte nicht zulassen, dass diese Präferenzen notwendige Maßnahmen bei dringenderen Problemen wie der Lebenshaltungskostenkrise ausschließen.

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Wenn Truss die dringlichsten Bedürfnisse des Landes angehen will, muss sie sich voll auf die Steigerung der Produktivität konzentrieren, insbesondere in den vielen Bereichen, in denen diese nach wie vor schwach ist. Wenn ihr das gelänge, könnte sie länger im Amt bleiben als selbst Margaret Thatcher oder Tony Blair. In einer zunehmend unsicheren Welt könnte sich Truss' bewiesene Flexibilität angesichts großer wirtschaftlicher und geopolitischer Entwicklungen als genau das erweisen, was das Land braucht.

Copyright: Project Syndicate 2022

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