Gründen in Goma Kann ein Inkubator im Ost-Kongo Frieden stiften?

Gründen in Goma Quelle: Jonas Gerding

In Teilen des Ostkongos herrscht Krieg. Der Leiter eines Start-up-Zentrums hofft, daran etwas ändern zu können. Doch so manchem Gründer kommen Zweifel.

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Von Gründerzentrum in Goma bis ins Krisengebiet sind es gerade einmal 70 Kilometer. Wenn Chris Ayale seine Großeltern besuchen möchte, fährt er über eine holprige Piste nach Rutshuru. Entlang der Strecke haben Soldaten der Armee ihre Posten bezogen, um Rebellengruppen abzuschrecken. Doch noch immer überfallen die Rebellen Dörfer, entführen und töten Zivilisten, insbesondere in abgelegeneren Orten wie dem seiner Großeltern. Einfache Landwirte, die auf den fruchtbaren Vulkanböden Kartoffeln, Mais und Reis anbauen.

„Stell dir vor, du hast heute etwas angebaut und nach zwei Tagen ist auf deinem Feld bereits ein Lager der Rebellen. Das ist ein Totalverlust“, sagt Ayale. Er ist 28 Jahre jung und ein Unternehmensgründer, der sich dennoch nicht abbringen lässt von seiner Geschäftsidee: den regionalen Handel mit Nahrungsmitteln zu digitalisieren.

Seit mehr als 20 Jahren herrscht Krieg in weiten Teilen der Provinz Nord-Kivu im Osten des Kongos. Eine komplexe Gemengelage mit dutzenden Milizen, die mal politisch, mal ethnisch motiviert, oft aber einfach nur auf der Suche nach dem schnellen Geld sind. Kapital ist rar in der hügeligen Gegend, die Kaufkraft schwach, Vertrauen gering und das Geschäftsrisiko hoch. Alles andere als ein Hotspot für junge Unternehmer, sollte man meinen. Doch auch hier schwelt ein wenig Start-up-Spirit. Das Gründerzentrum Kivu Entrepreneurs fördert junge Unternehmer wie Ayale mit Know-How und einem Coworking Space. Die Initiatoren treibt die Überzeugung voran, dass eine mutige Gründergeneration das Land schon irgendwie voranbringen wird. Die Gründer selbst spüren jedoch immer wieder im Alltag, wie ambitioniert dieses Unterfangen ist.

Mit seinem Start-up KivuGreen möchte Chris Ayale im Kongo den regionalen Handel mit Nahrungsmitteln digitalisieren. Quelle: Jonas Gerding

Digitale Plattform für Bohnen und Maismehl

Im Gründerzentrum sind viele dieser Probleme nicht so präsent – zumindest auf den ersten Blick. Ayale sitzt mit einer Mitarbeiterin an einem schmalen Tisch an der Fensterfront des Gründerzentrums und bespricht mit ruhiger Stimme die Finanzen seines Startups KivuGreen. Dessen Schriftzug prangt auch auf dem schwarzen T-Shirt, das der schmächtige Gründer trägt. Der Lärm der Motorradtaxis und Straßenhändler des Geschäftsviertels von Goma ist in der zweiten Etage des Bürogebäudes nur noch gedämmt zu vernehmen. Ayale ist in der einst beschaulichen Provinzhauptstadt geboren, die durch die Flüchtlinge vom Land zu einer Millionenstadt angewachsen ist und heute als einigermaßen sicher gilt. Es liegt nun bereits sechs Jahre zurück, dass Rebellen aus der Stadt vertrieben wurden und seitdem nicht wieder Fuß fassen konnten.

Hier kann Ayale in Ruhe sein Thinkpad aufklappen, sich mit dem Wlan verbinden und weiter an seinem Business arbeiten. Als ein Teilnehmer des Inkubatorprogramms trifft er sich regelmäßig mit seinen Coaches. „Ich bin immer auf das Problem gestoßen, nicht zu wissen, wie ich aus etwas ein profitables Business machen soll“, sagt er über die Apps, die er während des Grundstudiums der Wirtschaftsinformatik entwickelte.

Bei Kivu Green läuft alles professioneller. Seit dem Start im vergangenen Jahr habe er bereits 250 Kunden. Die können über das Bestellformular seiner Webseite Bohnen, Maismehl oder Tomatenmark von etwa 50 Produzenten der Gegend bestellen.

Online bestellen statt gefährlicher Wege

Eine davon ist Lafille Sivirwa Belcruise. Keine Viertelstunde braucht Ayale, um einen Mototaxifahrer vom Gründerzentrum aus über die steinigen Wege zu ihr nach Majengo zu lotsen. Er selbst wohnt nicht weit und kennt jede Ecke des Viertels, das auf der erkalteten Lava errichtet wurde, nachdem der angrenzende Vulkan Nyiragongo im Jahr 2001 ausbrach und weite Teile der Stadt Goma begrub, darunter auch das Haus seiner Familie. Heute sind die schwarzen Vulkansteine zu Mauern geschichtet und trennen die Grundstücke einstöckiger Holzbauten voneinander.

Belcruise lädt zum Gespräch in ihr Wohnzimmer ein. Auf dem Sofa neben ihr steht ein Korb, in dem ihr Baby unter einem Moskitonetz schläft. Die 24-Jährige trägt ein rot-blaues Kleid in traditionellem Muster. Im Radio erfuhr sie von Kivu Green. „Das ist etwas, an das man hier nicht gewohnt ist“, sagt sie. Aber sie gab der digitalen Anwendung vor einem halben Jahr einen Versuch. „Ich war schwanger, habe einfach meine Bestellungen mit dem Handy aufgegeben“, berichtet sie, noch heute etwas verblüfft.

Lafille Sivirwa Belcruise ist Kundin bei KivuGreen. Quelle: Jonas Gerding

Sie selbst blieb daheim, ließ sich kiloweise Kartoffeln bis vor die Türe liefern. „Für mich hat das den Vorteil, dass ich sehr viel Zeit spare“, sagt sie. Sie müsse weder zum Feilschen auf die lokalen Gemüsemärkte, noch den riskanten Weg zu den Bauern aufs Land hinaus wagen.Und das Geschäft ist für sie günstiger. Für umgerechnet 36 Cent kauft sie ein Kilogramm Kartoffeln ein, das sei rund ein Drittel weniger in diesen Tagen auf den lokalen Märkten.

„Dank unserer Plattform bringen wir die Produzenten mit den Endkunden direkt in Kontakt“, erklärt Ayale den Unterschied. Normalerweise gäbe es überall Zwischenhändler: in den Dörfern, auf den nächstgelegenen Märkten, für den Transport nach Goma, den Depots und Märkten der Stadt. „Wir überspringen die gesamte Kette“, sagt Ayale.

Gründungen als Friedensstifter

So ganz stimmt das nicht. Auch er kommt nicht ohne Mittelsmänner am Produktionsort aus, die einen Teil der Kommission von zehn Prozent bekommen, die Ayale mit jeder Transaktion verdient. Ihr Job ist es, die Landwirte zu überprüfen und sich darum zu kümmern, dass die Ware zum Transporteur gelangt. Hier beginnt gerade in den umkämpften Gebieten der heikle Part. Ayale überlässt das lokalen Spediteuren, die nicht er, sondern der Endkunde bezahlt.

Leute wie Ayale, die den Markt umkrempeln wollen, sind es, die Joël Tembo für sein Gründerzentrum sucht. Er selbst hat 2008, damals 27 Jahre alt, das erste private Abfallunternehmen der Stadt gegründet, da die Verwaltung die Müllberge liegen ließ. „Man kann nicht alles vom Staat erwartet“, sagt der heute 38-Jährige in einem der Besprechungsräume seines Gründerzentrums. „Wir sind in einer Zeit, in der der Privatsektor die Entwicklung in die Hand nehmen muss“.

Aber wie viel kann umgekehrt von der Privatwirtschaft erwartet werden unter einem Staat, dem nicht nur der Müll herzlich egal ist, sondern auch der Zustand von Krankenhäusern, Schulen, Straßen und des Nahverkehrs? Tembo trägt Anzug, er lächelt viel, redet routiniert, spricht von der „Wiederherstellung des Friedens durch das Unternehmertum“, wie er es auch gegenüber Geldgebern aus der Entwicklungshilfe macht, die sein Gründerzentrum mitfinanzieren. Dazu gehört beispielsweise das niederländische Königshaus. Andere Partner, wie das örtliche Festival Amani, vergeben im Rahmen eines Gründerwettbewerbs Stipendiaten für Ayale und andere Teilnehmer des Inkubators.

Gründen in Goma Quelle: Jonas Gerding

Selbst die Rebellen, die in der Region ihr Unwesen treiben, würden durch die Förderung von Gründern geschwächt werden. „Die meisten Jugendlichen sind bei den bewaffneten Gruppen, weil es ihnen an Zukunftschancen mangelt“, sagt Tembo. „Es ist die große Rolle von Kivu Entrepreneurs, Hoffnung unter den Jugendlichen zu verbreiten“. Und konkreter: „Jemand, der sich von den bewaffneten Milizen angezogen fühlt, könnte ebenso auch Chef einer Firma werden!“

Design-Thinking gegen die Unsicherheit

300 Personen hätten seit 2014 Unternehmertum-Schulungen unter ihm durchlaufen, einige bereits vor der eigentlichen Gründung des Zentrums im Jahr 2017. 60 Start-ups seien daraus hervorgegangen. Darunter sind Apps wie eine Kommunikationsplattform für Schulen – aber auch viele klassische Firmengründungen: Verarbeiter von Nahrungsmitteln beispielsweise, bei denen Wertschöpfung stattfindet, allerdings nicht unbedingt aufgrund digitaler Geschäftsmodelle. Aber auch sie profitierten von den Tricks, die das Gründerzentrum ihnen mit auf den Weg gab: in Sachen Online-Marketing, Buchführung, Team-Leading, Design-Thinking und dem Pitchen vor potenziellen Investoren.

Auf die unternehmerische „Wiederherstellung des Friedens“ angesprochen, klingt Ayale weniger optimistisch. Ja, auch sein Start-up würde Arbeit und Perspektiven schaffen - für seine vier Firmenkollegen, lokale Mittelsmänner und Transporteure. „Es lässt sich kein Business egal welcher Art angesichts der Unsicherheit entwickeln“, regt er sich dann jedoch über den Krieg auf dem Land auf, der zwar allgegenwärtig, aber von vielen Menschen wie Ayale nicht beim Namen genannt wird. „Da hängen so viele Dinge dran, denn dort, wo es bewaffnete Gruppen und Kidnapping gibt, hat jeder Angst zu sterben. Wer geht noch aufs Feld, wenn einem alles gestohlen wird?“, fragt ausgerechnet der junge Gründer, der den Unternehmenserfolg in riskanten Gegenden sucht. Als wolle er den Beweis antreten, dass es doch irgendwie geht.

Nicht nur ausländische Investoren, auch Technologien, die es in anderen Teilen der Welt ganze Märkte abräumen, haben es in Ländern wie dem Kongo schwer. Und genau darin liegt wiederum auch eine Chance für heimische Unternehmer. Ayale ist ein großer Fan von Jack Ma, dem Alibaba-Gründer. Wie auch Amazon und Ebay lässt sich die Handelsplattform im Kongo online aufrufen. Nur genutzt würden solche Seiten kaum, sagt Ayale: „In der Technologiewelt gibt es Lösungen, die in Europa funktionieren aber in Afrika scheitern“, sagt er. „Es ist sehr wichtig, Lösungen zu entwickeln, die zu den Bedürfnissen der Bevölkerung passen“.

In einem Kriegsgebiet würde es an Vertrauen mangeln, bei anonymen Fremden online zu kaufen. Und Paypal und Kreditkarten kenne auf dem Land niemand. Deshalb können Käufer die Zahlungen bei Kivu Green per Mobile Money tätigen, in Form eines Art Handyguthabens, das sich am lokalen Kiosk auszahlen lässt. „Das ist wirklich einfach geworden“, sagt Ayale.

Und so kommt es auch, dass Ayala die Reise in die riskante Region außerhalb Gomas vor allem dann auf sich nehmen muss, wenn er seine Großeltern besuchen möchte. Um Geschäfte mit Händlern und Produzenten im Kriegsgebiet abzuwickeln, reicht ihm heute sein Smartphone.

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