Noch sitzt Markus Lauber vor weißen Wänden. Ein paar Mappen stapeln sich schon auf seinem Schreibtisch. Bald soll es losgehen. Der Ingenieur gründet gerade für den Stuttgarter Bauprojektierer Drees & Sommer eine Niederlassung in der chinesischen Hauptstadt.
Sein wichtigste Utensil, verrät Lauber, liegt in einem kleinen Tresor: ein kleiner roter Stempel. Denn Unterschriften zählten in China nichts, wenn der rote Stempel fehle. Bei jeder Bank, selbst bei der Post, brauche er ihn. Der rote Stempel, so viel ist klar, wird das Herz der jungen Firma sein. Das kleine Ding stammt vom örtlichen Zivilgericht, sein Abdruck weist auf die ausgebende Behörde und die Firma hin. Ohne ein solches Signet laufen in China so gut wie keine Geschäfte.
China und EU handeln jeden Tag für mehr als eine Milliarde Euro
China und Europa sind voneinander abhängig. Das Reich der Mitte wird in diesem Jahr zum größten Exportmarkt der Europäer aufsteigen und damit die USA überholen. Umgekehrt ist die Europäische Union der größte Abnehmer chinesischer Ausfuhren. Beide Seiten handeln jeden Tag mit Waren im Wert von mehr als einer Milliarde Euro.
Nach einem Zuwachs von 37 Prozent 2010 stiegen die europäischen Ausfuhren nach China im vergangenen Jahr von Januar bis November um 21 Prozent auf 124 Milliarden Euro. Deutschland hat mit deutlichem Abstand und knapp der Hälfte der EU-Ausfuhren nach China den größten Anteil daran, gefolgt von Frankreich und Großbritannien. 60 Prozent der EU-Ausfuhren waren Maschinen und Fahrzeuge.
Während die 27 EU-Länder im Jahr 2010 rund 19,8 Millionen Autos produzierten, waren es in China nicht viel weniger: rund 18,3 Fahrzeuge.
Die Importe aus China kletterten nach einem Anstieg von 31 Prozent 2010 im vergangenen Jahr bis November um weitere fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 244 Milliarden Euro. Seit Jahren gibt es ein großes europäisches Defizit im Handel mit China, das 2010 noch bei 168 Milliarden Euro lag. Aus diesem Überschuss sammelt China die Euros in seinen weltgrößten Devisenreserven im Wert von insgesamt 3,18 Billionen US-Dollar an. Rund ein Viertel sollen Euros sein.
Während die Leistungsbilanz der 27 EU-Länder im vergangenen Jahr bei minus 24 Milliarden Euro lag, konnte China einen deutlich positiven Saldo von 258 Milliarden Euro verbuchen. Auch das BIP der Chinesen war 2011 mit 12.900 Milliarden Euro mehr als doppelt so hoch wie das BIP der EU (5100 Milliarden Euro).
Die Wirtschaftskooperation zwischen Europa und China ist rasant gewachsen. Doch beklagen europäische Unternehmen in China schlechten Marktzugang, ungleiche Wettbewerbsbedingungen, mangelnde Transparenz und Rechtsunsicherheiten.
Schlechter Schutz des geistigen Eigentums ist unverändert ein großes Problem. Sieben von zehn in China tätigen europäischen Unternehmen wurden nach eigenen Angaben schon Opfer von Urheberrechtsverletzungen mit teils erheblichen Verlusten. Mehr als die Hälfte aller Raubkopien, die der Zoll in Europa sicherstellt, stammt aus China.
Die 27 EU-Staaten zählen mit 7,1 Milliarden Euro 2010 zu den fünf wichtigsten Investoren in China - neben Taiwan, Hongkong, USA und Japan. Rund 20 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in China stammen aus Europa. China investiert aber nur sehr zögerlich in Europa. Zwar stiegen die chinesischen Investitionen 2010 von 0,3 auf 0,9 Milliarden Euro, doch stammen nur 1,7 Prozent aller ausländischen Investitionen in Europa aus China.
Doch zu Beginn jedes Einstiegs auf den chinesischen Markt steht für jedes Unternehmen neben dem Kampf um den kleinen Stempel die große Frage nach der passenden Unternehmensform. Eine kleine Repräsentanz, ein Joint Venture oder sogar eine Aktiengesellschaft? Für Drees & Sommer kam nichts davon infrage: Das 1.350-Personen-Unternehmen entschied sich für eine 100-prozentige Tochter – wie die meisten Unternehmen, die derzeit nach China gehen.
Allein stärker
Damit haben sie – anders als in einem Joint Venture mit einem chinesischen Partner – weitgehende Handlungsfreiheit bei Investitionen und im operativen Geschäft. Inzwischen reichen in immer mehr Branchen Genehmigung und der unumgängliche Stempel von der Polizei für eine Unternehmensgründung. Nur noch in wenigen Branchen ist das Joint Venture Pflicht.
Genau die ersten wackeligen Schritte anderer China-Pioniere sind für die Pekinger Niederlassung von Drees & Sommer der Ansatz für das eigene Geschäft. Manager Lauber weiß, wen man wie ansprechen muss, wenn es um den begehrten Stempel oder um eine Baugenehmigung geht. Er hat schließlich schon mehrere Projekte in China in Gang gebracht. Und weil eben zunehmend häufiger ausländische Unternehmen ohne die Unterstützung eines chinesischen Partners im Reich der Mitte starten, müssen sie sich um Grundstücke, Bau und Betrieb der Gebäude selbst kümmern – oder aber einen Immobilienexperten wie Drees & Sommer beauftragen.
Einfacher ist der Weg für ausländische Unternehmen, die nur ihre Waren und Dienstleistungen in China anbieten wollen. „Zum ersten Schnuppern reicht eine Repräsentanz“, sagt Sun Jing, Leiterin der Rechtsabteilung der deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in Shanghai. Zwar sind damit operative Geschäfte verboten. Aber eine Repräsentanz ist vergleichsweise einfach aufzubauen. Eigenkapital ist nicht nötig, die Genehmigungsprozeduren sind unkomplizierter.
Mittelständlern, die mehr in China vorhaben, rät Rechtsexpertin Sun Jing, von Anfang an auf Eigenständigkeit in China zu achten und eine 100-prozentige Tochterfirma zu gründen. Im Fachjargon heißen solche Ableger „Wholly Foreign Owned Enterprises“ (WFOE). Diese haben die Form einer „Limited Company“, vergleichbar mit der deutschen GmbH.
Gemeinschaftsunternehmen heute die Ausnahme
Theoretisch gibt es weitere Möglichkeiten, in China Unternehmen zu gründen, doch Holdings oder Aktiengesellschaften (AG) sind in der Praxis selten. Denn sie sind stärkeren Regulierungen unterworfen. So muss man für einen Börsengang ein Stammkapital von 30 Millionen Renminbi (umgerechnet rund 3,8 Millionen Euro) vorweisen. Für den GmbH-Verschnitt WFOE reichen 30.000 Renminbi.
Mit der freien Wahl des Status und der Rechtsform müssen China-Neulinge nicht mehr die Fallen fürchten, in die mancher ihrer Vorgänger tappte. Bis 2001 führte der Weg ins Reich der Mitte nahezu zwangsläufig in ein Joint Venture, also einen Zusammenschluss mit einem chinesischen Unternehmen. Nach Zahlen des Wirtschaftsprüfers Deloitte waren in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts noch 90 Prozent der ausländischen Investoren von Joint Ventures abhängig. Heute laufen nur noch zwölf Prozent der deutschen Investitionen über Gemeinschaftsunternehmen.
Ärger mit Partnern
Etwa ein Drittel der deutschen Unternehmen, schätzt AHK-Rechtsexpertin Sun, versuche derzeit, ein Joint Venture aufzulösen oder den Partner auszubezahlen. „Nur wenn ein Marktzugang sonst nicht möglich ist, lohnt sich ein Joint Venture“, sagt Sun. Etwa im Automobilbau oder im Verlagswesen lässt die chinesische Regierung Alleingänge ausländischer Investoren noch immer nicht zu. Dabei seien friedliche Trennungen selten, sagt Dirk Hällmayr, bei Deloitte für das China-Geschäft zuständig. „Meist endet es in Schlammschlachten.“
Matthias Gundermann kennt solche verfahrenen Situationen allzu gut. Der Ingenieur und China-Kenner springt als Interimsmanager ein, wenn ausländische Unternehmen im Reich der Mitte Probleme mit ihren regionalen Partnern haben. Einer seiner Kunden war der Chef eines mittelständischen deutschen Zulieferers für Aufzüge mit mehreren Hundert Mitarbeitern. Nach zähen Verhandlungen, die sich über Jahre zogen, hatte der China-Neuling endlich einen Joint-Venture-Vertrag mit einem chinesischen Partner unterschrieben, der die gemeinsame Fabrik hochziehen sollte.
Doch bald fingen die Schwierigkeiten an. Beim Besuch der Baustellen entdeckte der deutsche Mittelständler, dass die Chinesen falsche Materialien verwendeten. Metallplatten waren nur halb so dick wie auf den Bauplänen vorgegeben. Als bei einer Überprüfung klar wurde, dass Teile des Geldes ohne Rechnung ausgegeben worden waren, holte der verzweifelte Firmenchef Gundermann an Bord. „Ich habe empfohlen, eine eigene Firma zu gründen“, erinnert sich der Retter. Sodann half Gundermann dem Mittelständler bei der Neugründung einer eigenen Firma.
Streit mit Anwälten
Glücklicherweise war der Aufzugsbauer in der komfortablen Situation, dass er zuvor mit mehreren Anbietern von Grundstücken verhandelt hatte. Dadurch gelang es dem Mittelständler, schnell ein neues Grundstück zu finden und die Genehmigungsprozeduren durchzuziehen. Zehn Monate nach Gundermanns Empfehlung, ein eigenes Werk zu bauen, lief die neue Produktion der Aufzugseile an. Während sich die Anwälte noch um die Auflösung des Joint Ventures stritten, arbeitete das neu gegründete Unternehmen in Alleinbesitz schon einwandfrei.
Nicht immer ist böser Wille im Spiel, wenn chinesische und deutsche Unternehmer in gemeinsamen Geschäften scheitern. Oft fehlt westlichen Managern und Unternehmern die Kenntnis der chinesischen Kultur und genügend Geduld beim Aufbau der persönlichen Beziehung, die gerade in China Basis geschäftlicher Zusammenarbeit ist.
Neulingen unter die Arme greifen
Ein idealer Ort, um von Erfahrungen anderer deutscher Joint-Venture-Geschädigter oder Alleingründer zu lernen, ist das German Centre am Rande der Pekinger Innenstadt. Die Einrichtung gehört der Landesbank Baden-Württemberg und bietet flexibel mietbare Büros inklusive Beratungsservice, der Unternehmen den Markteintritt in China erleichtert. Hier sitzt auch Ingenieur Lauber von Drees & Sommer, der künftig deutschen Mittelständlern bei den ersten Schritten in China hilft.
Und sollte ein deutscher Gründer vor lauter Problemen mit chinesischen Partnern und Behörden den Blues bekommen, winkt Linderung in der elften Etage des German Centre. Dort gibt einen echten süddeutschen Bäcker, der zehn Flugstunden von zu Hause ein Stück Heimat bietet – Laugenbrezeln und Puddingteilchen.