Günther Oettinger Ein Großsprecher wird kleinlaut

Günther Oettinger hat sich für seinen verbalen Rundumschlag gegen Chinesen, Homosexuelle und Wallonen entschuldigt – wohl weniger aus Einsicht, mehr aus Notwendigkeit. Die Empörung über den EU-Kommissar war zu groß.

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Ehrlich, offen und frei von Leber weg – mit diesem Redestil kommt Oettinger bei Veranstaltungen meistens sehr gut an. Allerdings nicht bei allen Zuhörern. Quelle: AP

Brüssel Der Sinneswandel kam binnen 48 Stunden. Noch am Dienstag hatte Günther Oettinger keinen Grund gesehen, sich für seine verbalen Ausfälle gegen Chinesen („Schlitzaugen“), Schwule („Pflicht-Homoehe“) und die belgische Region Wallonie („Mikroregion“) zu entschuldigen. Wer ihn danach fragte, wurde kurz abgefertigt mit Sätzen wie: „Es ist alles gesagt“ oder „Das ist kein Skandal“.

Zwei Tage später dann die Kehrtwende: „Ich hatte Zeit, über meine Rede nachzudenken und kann nun sehen, dass die von mir benutzten Worte Ärger verursacht haben und Menschen verletzt haben könnten. Ich entschuldige mich für jede Bemerkung, die nicht so respektvoll war, wie sie hätte sein müssen“, verkündete der deutsche Kommissar in einem offiziell von der EU-Kommission verbreiteten Statement. Was dann folgt, erinnert in seiner unfreiwilligen Komik an Oettingers Brüsseler Startphase vor sechs Jahren, als sich der Schwabe mit der englischen Sprache noch sehr schwer tat. „I was frank and open – it was not a speech read-out, but „frei von der Leber” as we say in German”, rechtfertigte sich Oettinger.

Ehrlich, offen und frei von Leber weg – mit diesem Redestil kommt Oettinger bei Veranstaltungen meistens sehr gut an – zumal er sich den Bedürfnissen des jeweiligen Publikums anzupassen weiß. Ende Oktober bei Hamburger Unternehmern war der CDU-Politiker in Hochform. Mal lästerte er über mit „schwarzer Schuhkrem gekämmte“ Chinesen, mal über Ex-Kanzler Gerhard Schröder („Die Frau ist weg“). Das bescherte ihm zunächst die Lacherfolge, auf die er spekuliert hatte.

Amüsiert haben sich aber nicht alle Zuhörer. Manche waren auch unangenehm berührt von einem Redner, der Vorurteile bedient und Schadenfreude befördert. Ein Gast stellte Teile der Rede deshalb ins Netz – Pech für Oettinger. Seither schlägt eine weltweite Welle der Empörung über dem Kommissar zusammen. Die chinesische Regierung beschwerte sich, wallonische Politiker reagierten verärgert und rund um den Erdball berichten die Medien – von der „New York Times“ bis zur spanischen Zeitung „El Pais“. Letztere stellte zusammen, welche verbalen Ausfälle sich Oettinger in den vergangenen Jahren sonst noch geleistet hat.

Da kommt einiges zusammen. Als Oettinger 2011 nach dem Atomunfall von Fukushima von einer „Apokalypse“ sprach, reagierte nicht nur Japan, sondern auch die Atomnation Frankreich irritiert. Wegen ihres dauerhaft hohen Haushaltsdefizits rückte Oettinger Frankreich Ende 2014 in die kriminelle Ecke von „Rückfall“-Tätern – was in Paris gar nicht gut ankam. Italien, Rumänien und Bulgarien mussten sich von dem Deutschen gar als „unregierbar“ bezeichnen lassen.

Die rhetorischen Ausfälle waren Oettingers Reputation in Frankreich und Südeuropa nicht zuträglich. Anders als in Deutschland gilt er dort als schlechter EU-Kommissar. Politisch hat ihm das aber nicht geschadet, zumal die Bundeskanzlerin Angela Merkel an ihm festhält. Auch dieses Mal bekam Oettinger von Regierungssprecher Steffen Seibert Rückendeckung – zumindest offiziell. Hinter den Kulissen war Merkel vielleicht doch nicht so begeistert davon, dass sich Oettinger unmittelbar vor einem wichtigen Besuch des deutschen Wirtschaftsministers in Peking abfällig über die Chinesen äußerte.

Für Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist das lockere Mundwerk des Deutschen noch ärgerlicher. Juncker hatte Oettinger in der Kommission gerade erst aufgewertet mit einem neuen, wichtigen Zuständigkeitsbereich: Der Schwabe soll sich künftig um den EU-Haushalt kümmern – in Zeiten des Brexit eine sehr wichtige Aufgabe. Obendrein stellte Juncker Oettinger die Beförderung zum Vizepräsidenten in Aussicht. Nun muss der Kommissionschef den Schaden begrenzen, den sein deutscher Kommissar ohne Not anrichtete. Viel spricht dafür, dass Juncker Oettinger dringend zu einer Entschuldigung geraten hat.

Der CDU-Mann muss sich nämlich erst einmal im Europaparlament in einer Anhörung rechtfertigen, bevor er seinen neuen Posten antreten kann. Sozialisten und Grüne in der EU-Volksvertretung haben seine Eignung für hohe politische Ämter schon angezweifelt. Selbst bei Oettingers Parteifreunden von der christdemokratischen EVP ist Ärger spürbar. „Oettinger wird sich in der Anhörung sehr unangenehmen Fragen stellen müssen“, prophezeit eine EVP-Abgeordnete.

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